Die Dimensionen sind gewaltig: In einem über 30 Meter hohen Turm produziert die Hochdorf Swiss Nutrition AG im thurgauischen Sulgen Babynahrung in Pulverform. Die aus Schweizer Milch hergestellten Produkte werden welt-weit exportiert. Die hochkomplexe Anlage besticht durch ihre enorme Leistungsfähigkeit sowie modernsteTechnologie aus dem Hause Siemens.
Ein Labyrinth aus unzähligen Chromstahlrohren und farbigen Verkabelungen zieht sich in breiten Bahnen durch die mehrere Meter hohe Halle – alles fein säuberlich beschriftet und blitz-blank sauber. Durch die Rohre werden Prozessluft und Druckluft befördert und Milch von einer Bearbeitungsstufe zur nächsten gepumpt bis zum gewaltigen, 30 Meter hohen Sprühturm, der sich über die gesamte Höhe von Turm 9 der Hochdorf Swiss Nutrition AG in Sulgen erstreckt. Hier wird die eingedickte und homogenisierte Milch aus dem Mischbereich, in dem flüssige und pulverförmige Rohstoffe vereint werden, über Sprühlanzen mit einem Druck von ca. 25 Bar pro Lanze fein zerstäubt und beim Fall durch einen Heissluftstrom pulverisiert. Entscheidend ist eine präzise Prozesskontrolle, damit das Milchpulver am Ende die richtige Konsistenz aufweist: Es darf weder zu Staub zerfallen noch zu feucht bleiben. Zum Schluss wird das Pulver mit Vitaminen, Spurenelementen und Mineralien angereichert – teilweise in Kleinstmengen von wenigen 100 Gramm pro Tonne Milchpulver.
Grosse Herausforderungen
«Die Zusammensetzung von Babynahrung ist stark reglementiert, die Hygiene- und Qualitätsanforderungen sind hoch und jeder Verarbeitungsschritt muss nachverfolgbar sein», erklärt Werksleiter Michael Riffel im Werk Sulgen. Dies waren nur einige der Herausforderungen beim Bau der neuen Produktionsanlage, die Hochdorf Swiss Nutrition AG 2016 in Angriff nahm. Die bestehende Produktion war ausgelastet und konnte die gestiegene Nachfrage, vor allem aus asiatischen Ländern, nicht mehr decken. Die neue Produktion in Turm 9, die bei Vollauslastung jährlich etwa 75 Mio. Liter Milch zu 30 000 Tonnen Babynahrung verarbeitet, ist eine der grössten Anlagen ihrer Art in Europa. «Ein Projekt dieser Dimension ist für alle Beteiligten eine Herausforderung», betont Gesamtprojektleiter Thomas Baumli von der Tophinke Automation & Gebäudetechnik AG. Das Unternehmen ist langjähriger Partner von Hochdorf und war für die gesamte Automation, Elektroplanung und -installation der neuen Produktionsanlage verantwortlich.
Als Siemens Solution Partner erhalten wir bei Bedarf stets schnell und unkompliziert Unterstützung durch Siemens.Heinz Thönen, Projektleiter Tophinke Automation & Gebäudetechnik AG
Einheitliche Systemlandschaft von Siemens
663 digitale und 637 analoge Sensoren erfassen laufend Parameter wie Druck, Temperatur oder Füllstände; 300 Motoren sorgen für den Antrieb und 1700 Ventile regulieren die Ströme. Datenverarbeitung und Automation erfolgen über zehn Simatic-Steuerungen mit 64 Peripheriestationen. Zwei F-Steuerungen dienen ausschliesslich der Sicherheitstechnik und sorgen dafür, dass die Anlage im Notfall kontrolliert und sicher heruntergefahren wird. Zwei Drittel der Peripheriemodule sind so konzipiert, dass sie von beiden Steuerungstypen angesteuert werden können. «Dank dieser Shared-Device-Funktion ist die Anlagenkonfiguration flexibel und der Aufwand für Hardware und Verkabelung geringer», sagt Projektleiter Heinz Thönen von der Tophinke Automation & Gebäudetechnik AG. Um Ausfälle zu verhindern, ist das Profinet-Netzwerk in einer Ringstruktur aufgebaut. So kann das System bei Störungen in einem Teil des Netzes einfach in die andere Richtung kommunizieren. «Bei Siemens können wir von Tophinke auf ein komplettes Angebot zurückgreifen. Als Siemens Solution Partner erhalten wir bei Bedarf stets schnell und unkompliziert Unterstützung durch Siemens und können dem Endkunden eine zukunftssichere und massgeschneiderte Lösung anbieten», betont Thönen.
Sicherheit bis ins Detail
Die Anlage produziert ein bis zwei Wochen kontinuierlich im 24-Stunden-Betrieb. Fünf Mitarbeitende kontrollieren und bedienen die Anlage zentral im Kommandoraum über sechs WinCC Operatorstationen oder vor Ort auf der Anlage über 16 WinCC Thin Clients. Hier werden alle Prozessgrössen laufend aufgezeichnet und wichtige Kenndaten automatisiert auf einen zentralen Server gespeichert. Dieses Vorgehen gewährleistet eine vollständige Rückverfolgbarkeit des gesamten Produktionsprozesses – die Daten sind auch Jahre später noch abrufbar. Zwischen den Produktionsphasen wird die Anlage während zwei Tagen mit Säuren und Laugen gereinigt, sterilisiert und getrocknet. Aus Hygienegründen wird das ganze Gebäude zudem laufend gereinigt inkl. aller Wände, Rohre und Kabel. Letztere sind deshalb in vertikal montierten Gitterkanälen einzeln und in kleinen Abständen verlegt. Was schon beinahe wie Kunst anmutet, sorgt dafür, dass sich zwischen den Kabeln kein Schmutz ansammelt. Ein weiteres Detail, das Tophinke bei der Elektroinstallation beachten musste: Die blauen Kabelbinder enthalten Metallmarker, damit sie detektiert werden können, falls sie in den Verarbeitungsbereich gelangen sollten.
Effiziente Inbetriebnahme dank digitalem Zwilling
Mit Hilfe der Software Simit war Tophinke in der Lage, die komplexen Funktionen der gesamten Anlage im Vorfeld abzubilden. «Mit unserer Simulation haben wir die Anlage quasi bei Tophinke im Haus und konnten schon vor der Installation mögliche Fehlerquellen der Software aufdecken», so Thönen. Die Simulation bildet beispielsweise die Reaktion einer Steuerung ab, wenn ein bestimmtes Ventil aufreisst. Dank diesen umfassenden Vorbereitungsarbeiten konnte die Dauer der Software-Inbetriebnahme der Anlage halbiert werden. Riffel ergänzt: «Unsere Fachleute wurden schon bei Beginn der Inbetriebnahme miteinbezogen und lernten so die Eigenheiten der Anlage kennen. So verlief der Übergang in die Produktion reibungslos.» Trotzdem ist die Inbetriebnahme einer so grossen, komplexen Anlage eine Herkulesaufgabe. Rund vier Monate dauerte allein die Signalprüfung bzw. Testläufe der Sensorik. «Seit Sommer läuft die Produktion, sie wird aber laufend weiter optimiert», erklärt Michael Riffel. Inzwischen wird Babynahrung aus dem Turm 9 in Sulgen in die ganze Welt verschifft – in bester Hochdorf-Qualität.