In diesem Tunnel laufen viele Fäden zusammen

Fünf Jahre dauerte es, bis der neue Stadttunnel der Lausanner Regionalbahn LEB erstellt war. Als Mitglied eines Konsortiums für den Innenausbau lieferte Siemens einen Grossteil der elektrischen Anlagen – und musste dabei nicht nur technische, sondern auch sprachliche Hürden meistern. Seit mehr als einem halben Jahr ist der Tunnel in Betrieb und wird von 160 Zügen pro Tag ohne Probleme durchfahren.
Wenn Fabian Jabas begeistert von „seinem“ Tunnel erzählt, dessen Innenausbau er als Projektleiter von Siemens / Yunex Traffic in den vergangenen Jahren auf Schritt und Tritt begleitet hat, lässt sich erahnen, wie viel Herzblut alle Involvierten in den neuen Tunnel der LEB-Regionalbahn in Lausanne investiert haben. Fünf Jahre Bauzeit, 166 Millionen Franken und die Arbeit unterschiedlichster Spezialisten waren nötig, um das neue Herzstück des Lausanner Regionalverkehrs zu vollenden. „Beim LEB-Tunnel müssen die unterschiedlichsten Gewerke kombiniert werden und eng miteinander zusammenarbeiten“, erzählt Jabas, Projektleiter bei Yunex Traffic in der Schweiz, einem Anbieter von Verkehrsmanagementlösungen, der bis Ende Juni 2022 zu Siemens gehörte und verselbständigt wurde.
Der Tunnel wurde gebaut, um eine ungünstige Verkehrssituation in der Waadtländer Metropole zu beheben. Die Lausanne-Echallens-Bercher-Bahn, kurz LEB, bringt Pendler:innen vom nördlichen Umland in die Stadt. Bloss: Wenn die Überlandbahn auf den letzten beiden Kilometern ins stark frequentierte Zentrum einfuhr, häuften sich gefährliche Situationen und Unfälle mit Autos, Velofahrer:innen oder Passant:innen. Die Lösung: Eine Verlängerung des 500 Meter langen Erdtunnels von der Startstation Lausanne-Flon um rund 1200 Meter bis zur Station Union-Prilly. So weicht die LEB dem dichten Stadtverkehr unter der Erde aus und taucht erst jenseits der Stadtgrenze wieder auf. 2017 begannen die Bauarbeiten, gemäss ursprünglicher Planung sollte der Tunnel 2020 in Betrieb gehen.
2018 schrieb die Bahnbetreiberin Transports publics de la région lausannoise, kurz TL, den Auftrag für den Innenausbau aus. „Das Spezielle daran war, dass der Kunde die gesamte Bahntechnik – vom Gleisbau über die Fahrleitungen bis zur Brandmeldeanlage – von einem Anbieter wollte“, erzählt Fabian Jabas. „Wohl auch deshalb, um in der hektischen Endphase des Tunnelbaus einen einzigen Ansprechpartner zu haben, der die Verantwortung trägt.“ Da gemäss Jabas keine Firma in der Schweiz eine solche Palette an Dienstleistungen abdecken kann, formierten sich drei Konsortien, die sich um den Auftrag mit einem Volumen von insgesamt rund 30 Millionen Franken bewarben.
Den Zuschlag erhielt ein Konsortium, gebildet aus der Baufirma Implenia, der Installationsfirma Cablex, der italienischen Gleisbaufirma GCF und Siemens für die elektrischen Anlagen. Innerhalb von Siemens waren verschiedene Abteilungen involviert: Yunex Traffic in Zürich / Renens war für die Tunnelleittechnik und die Steuerung der Entrauchungslüftung zuständig, Siemens Smart Infrastructure, Renens für Brandmeldeanlagen, Steuerung der Raumlüftung, Zutrittsüberwachung und Gegensprechanlage, Siemens Rail Electrification im deutschen Erlangen für die Deckenstromschiene und Siemens Mobility im zürcherischen Wallisellen für die Weichenantriebe.
Sprachprobleme und Lockdown
Der fordernde Job von Siemens-Projektleiter Fabian Jabas: Er musste nicht nur die Zusammenarbeit dieser unterschiedlichen Abteilungen koordinieren, sondern auch sicherstellen, dass alle Siemens-Teilprojekte mit den anderen Konsortiumspartnern abgestimmt war und sich in den minutiös ausgearbeiteten Terminplan einfügten. Schnell stellte Jabas fest, dass vor den technischen, zuerst sprachliche Hürden zu meistern waren. „Die welschen Kollegen von Smart Infrastructure konnten natürlich problemlos mit der Bauherrschaft und auf der Baustelle kommunizieren“, sagt Jabas. „Und in den Siemens-Abteilungen in der Deutschschweiz fand sich immer jemand, der sich mit Hand und Fuss verständigen konnte.“ Bei den Weichenspezialisten in Wallisellen wiederum war ein italienischer Muttersprachler dabei, der für die Kommunikation mit der italienischen Gleisbaufirma ausgewählt wurde. Formeller ging es bei der Projektdokumentation zu und her: Diese war auf Französisch verfasst, und der Auftraggeber TL legte Wert auf fehlerfreie Formulierungen. Also schrieb Jabas, der zwar Deutschschweizer ist, aber in Lausanne studiert hat und seit zwei Jahrzehnten in der Romandie lebt, viele dieser Berichte selbst. In speziellen Fällen zog man ein spezialisiertes Übersetzungsbüro bei.
Kaum waren die Sprachprobleme geklärt, mussten sich die Projektverantwortlichen Anfang 2020 einer noch grösseren Herausforderung stellen: Corona. „Im ersten Lockdown war alles «on hold»: Die Materialbestellungen, die Sitzungen“, erzählt Jabas. Diese mussten nun virtualisiert werden. „Für Siemens war das einfach, weil wir bereits weitgehend papierlose Büros betrieben“, sagt Jabas. „Baustellennahe Betriebe mussten da erst aufrüsten.“ Als sämtliche Partner ihre Prozesse angepasst hatten, konnte es weitergehen.
Angst vor einem Rückstand im Zeitplan musste Fabian Jabas aber nicht haben, denn der Tiefbau war schon vorher ins Hintertreffen geraten. Erst wurde unter dem Parc de la Brouette, wo der Tunnel durchführt, ein alter Friedhof entdeckt, der archäologisch gesichert werden musste. Harter Fels und Schwefelgas verzögerten den Vortrieb weiter. Zudem verhinderte der Lockdown auch hier die Bauarbeiten. Für Jabas und sein Team kein Nachteil: „So hatten wir genügend Zeit zur Programmierung und Vorbereitung.“ Als sich das Innenausbau-Konsortium schon überlegte, das Projekt aus Kostengründen für einige Monate auf Eis zu legen, konnte ein ersehnter Zusatzauftrag finalisiert werden: die TL wollten nun, dass auch die elektrischen Einrichtungen im bestehenden Tunnel auf den Stand des Neubaus gebracht werden.
Unterschiedliche Arbeitsweisen
Nun kam das Projekt wieder in Fahrt; die involvierten Siemens-Abteilungen bestellten zusätzliches Material und machten sich an die Planung. Bald darauf war der neue Tunnelabschnitt fertig. Im Frühling 2021 übernahm das Konsortium den Rohbau und machte sich an dessen Fertigstellung. Als Jabas das konkrete Zusammenspiel der verschiedenen Gewerke koordinierte, stellte er fest, dass auch innerhalb der Siemens-Familie verschiedene Arbeitsweisen herrschten, und diese für dieses Projekt in Einklang gebracht werden mussten.
Die Verkehrsspezialisten von Yunex Traffic etwa waren sich gewohnt, massgeschneiderte Anlagen zu entwerfen. Also bauten sie das Tunnelleitsystem zuerst in Zürich komplett auf und testeten es dort, bevor es nach Lausanne geliefert wurde. „Im Werk Fehler zu beheben ist weitaus praktischer als im Staub der Baustelle“, sagt Jabas dazu. Die Kollegen von Smart Infrastructure in Renens hingegen, fährt Jabas fort, ziehen es eher vor, ihre in Serie gebauten und alltagsgetesteten Produkte direkt vor Ort einzubauen. „Aber mit gegenseitigem Zuhören fand man hier ein gemeinsames Vorgehen.“
Als Gleise und die elektrischen Anlagen im neuen Tunnel eingebaut waren, wurde im Herbst 2021 der Verkehr im bestehenden Tunnel ab Lausanne-Flon für einige Monate stillgelegt, um dort die Technik zu erneuern. „Im Gegensatz zum vorherigen Ausbau verfügt der Tunnel nun über hochmoderne elektrische Anlagen“, erklärt Jabas. „Zuvor musste das Licht etwa von Hand und vor Ort an- und abgestellt werden. Wegen der kurzen Distanz gab es zudem weder Brandmelder noch Lüftungsanlagen.“ Nun sind nicht nur diese vorhanden – auch etwa die Zutrittskontrolle wurde auf Vordermann gebracht. „Der Tunnel ist nun mit unsichtbaren Laserschranken ausgestattet“, erklärt Jabas. „Sollte also ein Passagier die Idee haben, zu Fuss den Tunnel zu betreten, wird sofort ein Alarm ausgelöst.“
Tunnelsysteme funktionieren auch autonom
Gebündelt werden sämtliche Gewerke in der Tunnelleitzentrale im 20 Kilometer entfernten Echallens. Von dort aus kann von den Lüftungsanlagen bis hin zur Stromversorgung alles überwacht und ferngesteuert werden. Fabian Jabas betont jedoch, dass die vitalen Gewerke im Tunnel per direkter Verkabelung so programmiert sind, dass sie auch bei einem Komplettausfall der Zentrale funktionieren. „Geht etwa der Brandalarm los, wird automatisch auch die Notbelüftung und Notbeleuchtung aktiviert“, sagt Jabas.
Aufgrund von Planänderungen ergaben sich zudem regelmässig Änderungswünsche, denen Siemens termingerecht nachkam. Während den hektischen Schlussarbeiten im Frühling 2022 galt es beispielsweise, in einem Notausgang mit einer 30 Zentimeter zu tief gebauter Decke, eine alternative Befestigung für einen Ventilator zu finden – und dabei nicht der Löschwasserleitung und der Notbeleuchtung in die Quere zu kommen. Die Uhr tickte: „Die Strafzahlungen waren bei diesem Projekt hoch, so dass einige Tage Verzögerung schnell einmal mehr als 100’000 Franken betragen hätten“, erklärt Jabas.
Doch die präzise Vorbereitung und die schrittweise Inbetriebnahme zahlten sich aus: Die zweiwöchigen Tests verliefen erfolgreich, womit das Tunnelsystem bereit für Testfahrten sowie eine Evakuationsübung war. Am 14. Mai 2022 konnte das Bauwerk schliesslich eingeweiht werden. Tags darauf fuhr der erste reguläre LEB durch die neue Tunnelstrecke. Die Mühe und der Einsatz haben sich gelohnt: Schon jetzt ist die Pendlerbahn zwei Minuten schneller unterwegs als zuvor. Durch das zusätzliche Gleis hat sich der Betreiber zum Ziel gesetzt, die Frequenz von vier Zügen pro Stunde auf sechs Züge pro Stunde im Jahr 2030 zu erhöhen.