Wasserstoff für die Bahn

Übermannsgroß stehen sie da, ihr stromlinienförmig geschnittener Kopf blickt aus dem geöffneten Tor eines Backsteinbaus auf dem Werksgelände von Siemens Mobility in Krefeld. Hier werden Mireo-Züge montiert. Ab Januar 2022 werden einzelne von ihnen mit einer Technologie ausgestattet, die den Umschwung für das Bahnwesen bedeuten kann, hin zu einem emissionsfreien Schienenverkehr. Gemeinsam mit der Deutschen Bahn arbeitet Siemens Mobility daran, Wasserstoff als Energielieferant für Triebzüge nutzbar zu machen. Ein Mireo-Zug wird dafür mit Brennstoffzellen ausgestattet. Ab dem Jahr 2024 soll das Modell mit Namen Mireo Plus H in den Fahrgastbetrieb gehen.

„Ich bin überzeugt, dass im grünen Wasserstoff noch sehr viel Potenzial steckt, unsere Emissionen aus dem Verkehrswesen zu reduzieren“, sagt De-Niang Maria Peymandar während sie in der Montagehalle eine Eisentreppe hinaufgeht, die sie auf eine Galerie führt. Hier blickt man auf das Dach der Züge, auf jenen Bereich also, auf den künftig die Brennstoffzellen montiert werden. Maria Peymandar ist promovierte Chemikerin und als Konstruktionsverantwortliche bei Siemens Mobility in Krefeld tätig. Das Team, mit dem sie zusammenarbeitet, arbeitet an der von Brennstoffzellen gestützten Stromerzeugung an Bord von Mireo-Zügen. 

Als Konstruktionsverantwortliche ist De-Niang Maria Peymandar für die Prüfung, Abnahme und die Integration des Systems auf dem Fahrzeug verantwortlich. Für ihre Ideen und Patente im Zusammenhang mit dieser Innovation wird sie als Siemens „Erfinderin des Jahres 2021“ in der Kategorie Newcomers ausgezeichnet. „In unserem aktuellen Projekt geht es darum, ein völlig neues Gesamtsystem aus einem wasserstoffbetriebenen Zug und einer neu konzipierten Tankstelle zu erproben“, erzählt die Preisträgerin. „Dafür benötigt man Brennstoffzellen. Denn der Wasserstoff wird in der Brennstoffzelle in elektrische Energie umgewandelt. Diese Energie wird dann in einer Batterie zwischengespeichert und unter anderem als Antriebsenergie genutzt.“ Bei der Entwicklung für die Deutsche Bahn sei das Ziel, das Zusammenspiel aus Wasserstoff- und Batteriesystem so zu gestalten, dass möglichst hohe Reichweiten möglich werden. „Wir gehen davon aus, dass wir in zukünftigen Projekten Reichweiten von 1000 Kilometern erreichen könnten“, sagt Peymandar. „Damit sind die Züge ideal für den Betrieb im Regionalverkehr.“

Welch großes Potenzial in dem Ansatz steckt, zeigen Zahlen: In Europa sind bislang 46 Prozent der Bahnstrecken nicht elektrifiziert. Umweltfreundlichere Antriebstechniken – darunter jene mit grünem Wasserstoff – könnten auf allen Strecken, die noch von Dieseltriebzügen befahren werden, CO2-Emissionen reduzieren.  

„Als wir den Prototypen für das Projekt mit der Deutschen Bahn entwickelt haben, sind in meinem Hinterkopf Ideen entstanden, was wir noch verbessern könnten“, erzählt Maria Peymandar. In den Händen hält sie eine technische Zeichnung. Darauf ist ein Zug zu sehen und die Skizze eines Bauteils, das mehrere Schichten hat. „Das sind die Bipolarplatten einer Brennstoffzelle“, erklärt sie. 

„Ich habe eine Idee entwickelt und patentieren lassen, bei der die Platten so montiert sind, dass sie während der Fahrt des Zuges von der Umluft gekühlt werden. Die Luft wird über einen Luftkanal aus der Umgebung des Zuges zugeführt. Das hätte eine sensationelle Auswirkung: Es würde die Brennstoffzelle effizienter, günstiger und letztlich auch ‚grüner‘ machen, da wir weniger Energie für die Kühlung aufwenden müssten.“ Laut Peymandar ließe sich dadurch sogar möglicherweise die Kühlpumpe komplett eliminieren. Das würde den Zug leichter machen und Wartungskosten senken.

„Die Idee für meine patentierte Erfindung ist im Gespräch mit Kollegen entstanden, die in direktem Kontakt mit Kunden stehen“, erzählt sie. „Ohne die Kenntnis der realen Kundenbedürfnisse wäre für mich vielleicht gar nicht die Frage entstanden, wie wir die Brennstoffzelle noch ‚grüner‘, bezahlbarer und damit attraktiver machen könnten.“ 

Die Kreativität des gesamten Teams sei etwas, das sie trage und motiviere. „Manchmal hat man mitten in der Nacht eine Idee, ist begeistert, erzählt es am nächsten Tag – und dann bekommt man tolles, konstruktives Feedback, das einen weiterbringt. Wir haben eine Gesprächskultur, in der man Ideen ohne Angst erzählen kann.“