Wenn Ideen wie Funken sprühen

Wir alle brauchen Strom – jeden Tag und rund um die Uhr. Damit die Versorgung reibungslos läuft, sind Leistungsschalter notwendig. Sie schützen die Netze weltweit, denn sie verhindern Schäden, die beispielsweise durch Blitzschlag auftreten würden. Die Kehrseite: Diese Leistungsschalter enthalten bislang klimaschädliche Gase.

Sylvio Kosse und Paul Gregor Nikolic von Siemens Energy in Erlangen arbeiten an einer klimafreundlichen Alternative. Sie haben einen Weg gefunden, die sogenannte Vakuumschalttechnik aus dem Mittelspannungsbereich in den Hochspannungsbereich zu übertragen. Und statt klimaschädlicher Gase verwenden sie reine Luft. Ihr Prototyp schaltet CO2-neutral. Dafür werden sie als Erfinder des Jahres 2020 in der Kategorie „Herausragende Erfindung“ ausgezeichnet. Die Patentanmeldungen, für die sie ausgezeichnet werden, sind Teil eines rund 50 Patentfamilien umfassenden IP-Portfolios, das die Technologien der Siemens Energy für SF6-freie Schaltgeräte schützt. „Schwefelhexafluorid, kurz SF6, ist das State-of-the-Art-Gas, das in der Hochspannungstechnik als Medium eingesetzt wird, um zu isolieren und Lichtbögen zu löschen“, erklärt Sylvio Kosse. Er leitet eine standortübergreifende Forschungsgruppe von Siemens Energy, mit Mitarbeitern in Erlangen und Berlin. „SF6 garantiert eine sichere Unterbrechung des Stroms und ist ein sehr guter Isolator“, erklärt er. Allerdings sei es enorm schädlich für das Klima, wenn es in die Atmosphäre gelange: „Ein Kilogramm SF6 hat die 23.000-fache Wirkung auf die Klimaerwärmung von einem Kilogramm CO2.“ Die Wissenschaft weltweit arbeitet laut Kosse deshalb schon seit den Achtzigerjahren daran, diese Gefahr für die Umwelt zu reduzieren oder, noch besser, ganz abzuschaffen. „Es gibt alternative Gase, die in der Hochspannungstechnik ebenfalls gut funktionieren“ erklärt Paul Gregor Nikolic, Forscher im Team von Sylvio Kosse. Ein Ansatz bestehe darin, die Eigenschaften dieser Gase durch Beimischungen zu verbessern. „Dadurch können jedoch ungewünschte Eigenschaften auftreten: Einige Optionen sind gefährlich für die menschliche Gesundheit oder ebenfalls schlecht für die Umwelt.“

Gemeinsam wollten Kosse und Nikolic es schaffen, einen komplett anderen Weg zu gehen, den Nikolic so beschreibt: „Anstatt – im übertragenen Sinne – bei einem Auto mit Verbrennungsmotor auf einen anderen Brennstoff zu setzen, um etwas zu verändern, haben wir die Antriebstechnologie komplett anders aufgesetzt und einen Prototypen entwickelt, der für unsere Kunden wirtschaftlich ist.“ Die CO2-neutrale Schalttechnik der Erfinder von Siemens Energy bringt zwei Sachen zusammen: Sie kombiniert die Vakuumschalttechnik damit, zur Isolation normale Luft zu verwenden. Bestrebungen, dies zu erreichen, indem man die sogenannte Vakuumschalttechnik aus dem Mittelspannungsbereich in den Hochspannungsbereich überführt, bestehen laut Kosse seit mehr als 20 Jahren. „Die für höhere Spannungsebenen notwendigen Vakuumschaltröhren existieren aktuell nur in Laboren“, erklärt er. „Eine steht bei uns im Labor in Erlangen. Wir konnten zeigen, dass das geht.“

„Die zündende Idee kam mir auf einer Autofahrt“, erinnert sich Nikolic. „Im Auto sitzend, mit Blick auf Hochspannungsleitungen, wurde mir plötzlich klar, dass unsere Vakuumschaltröhren wie Kolben auf einer Kurbelwelle sitzen müssten. Und auch, dass der Antrieb anders werden müsste als bisher.“ Zurück in Erlangen, lässt er die entscheidenden Teile von einem 3-D-Drucker ausdrucken. „Das 3-D-Drucken hat Gregor bei uns eingeführt“, betont Kosse. „Ich war perplex: Über Nacht haben wir Teile, aufgrund derer wir uns einfach viel besser vorstellen können, ob und wie unsere Ideen funktionieren. Das hat unseren Entwicklungsprozess enorm beschleunigt.“ 

Kosse sagt, er schätze es, wenn Kollegen aus dem Team Eigeninitiative ergriffen und eigene Perspektiven einbrächten: „Gregor ist Elektrotechniker, ich bin gelernter Funkmechaniker und studierter Physiker. Wir stellen unterschiedliche Fragen.“ Gemeinsam könnten sie manchmal schnell erstaunliche Schritte vorwärts machen: „In solchen kreativen Phasen – sei es in der Teeküche am Standort oder bei einem Feierabendgetränk – müssen wir uns nichts erklären. Wir verstehen uns einfach.“ Wenn die bei der Siemens Energy entwickelte Kombination von Vakuumschalttechnik und Luftisolation zum Standard wird, wird sie Geschichte schreiben.