Metall fräsen mit Robotern

Wenn der Fräsroboter seinen Arm auf die Metallplatte senkt und loslegt, dann fliegen die Späne in alle Richtungen davon. Wenige Minuten später befindet sich in der Platte ein Relief, eine Miniaturlandschaft aus terrassierten Hängen unterschiedlicher Form, die miteinander über Kanäle verbunden sind. Die Mini-Landschaft ist ein wichtiger Beweis dafür, dass Roboter Sachen können, die ihnen lange niemand zugetraut hatte.

„Wenn Roboter Metall fräsen, dann wirken enorme Kräfte auf sie“, sagt Birgit Obst. Für Roboter sei es schwierig gewesen, sehr genau ihre Bahn zu halten oder solche Aufgaben auch dann wiederholen zu können, wenn unterschiedliche Kräfte auf sie wirken. „Sie konnten die Kräfte nicht in Echtzeit kompensieren.“ Obst arbeitet als Technologietreiberin bei Siemens Technology in München. Gemeinsam mit Dirk Hartmann, der bei Technology als Leitender Wissenschaftler tätig ist, und Florian Schnös hat sie einen Weg gefunden, wie Roboter solche Aufgaben übernehmen können. Schnös war zum Zeitpunkt der Zusammenarbeit Dokotorand an der Technischen Universität München (TUM) und arbeitet mittlerweile für die KUKA AG. 

Mittels Simulation konnten die drei Wissenschaftler zeigen, dass Roboter solche Aufgaben übernehmen können – so präzise wie die massiven Werkzeugmaschinen, die bislang das Alleinstellungsmerkmal für solche Aufgaben hatten. Dafür werden sie als Siemens „Erfinder des Jahres 2021“ in der Kategorie Open Innovation ausgezeichnet.

„Roboter sind ein wichtiger Baustein der Industrie 4.0“, sagt Dirk Hartmann, „aber sie konnten einfach ein paar Aufgaben nicht erledigen, die in der Welt der industriellen Fertigung entscheidend sind.“ Nicht nur beim Fräsen von Metall, auch bei vielen anderen Prozessen wirkten starke Kräfte, und für Roboter war es schwierig, sehr genau ihre Bahn zu halten und Aufgaben präzise zu wiederholen. „Wir Menschen machen das den ganzen Tag“, ergänzt Florian Schnös. „Wir gleichen Kräfte, die auf uns wirken, aus – meist, ohne groß darüber nachzudenken.“

Roboter brauchen dafür konkrete Informationen – und zu Beginn ihres Projektes hätten sie oft gehört, dass sie „mit so einem Roboter“ nicht fräsen könnten, erinnert sich Hartmann. „Konnten wir dann doch, mit Simulation“, sagt er, und die Freude ist ihm anzusehen. Die Wissenschaftler haben dafür physikalisches Wissen und numerische Algorithmen verwendet. „Numerische Algorithmen können die Kräfte, die während des Fräsprozesses entstehen, vorhersagen“, sagt Birgit Obst. „Das bedeutet: Anhand eines noch zu produzierenden Bauteils berechnen diese Algorithmen entlang der Bahn, die gefräst wird, auch die zu jeder Zeit zu erwartenden Kräften, die auf den Fräskopf wirken, eine Abdrängung bewirken würden und nun aber kompensiert werden können.“ 

Zudem konnte das Team jene Daten nutzen, die während der Bearbeitung automatisch erfasst werden, wie beispielsweise das Drehmoment an der Spindel. Durch einen Abgleich der gemessenen Daten mit den vorhergesagten Drehmomenten aus der Simulation, können sie erkennen, ob noch zusätzliche Abweichungen der Realität vom Plan vorliegen. „Und dann können wir das in Echtzeit anpassen“, sagt Obst.

Für das Projekt hätten sie sehr eng mit Kollegen von Siemens Digital Industries zusammengearbeitet, erzählt Dirk Hartmann. So hätten sie das Domänenwissen und die bereits entwickelten Produkte und Schnittstellen von Siemens nutzen können, insbesondere jenes von Sinumerik - Run my Robot /Direct Control und Run MyCC /ROCO (RObot COmpensation). Run MyRobot ist eine Lösung für die einfache Inbetriebnahme und optimale Einstellung eines Roboters mit Sinumerik. Basierend auf einem Algorithmus berücksichtigt ROCO die Physik des Roboters und erhöht dessen Präzision. "Unsere Simulation liefert zusätzlichen Input für dieses Modul", sagt Birgit Obst. „Sie berücksichtigt die Kräfte, die der Fräsprozess auf den Roboter ausübt." Run MyCC/ ROCO kompensiere diese Kräfte und schiebe den Roboter auf seine ursprüngliche Bahn zurück. „Wir sind in der virtuellen Welt an unsere Grenzen gegangen, um die Produktion in der realen Welt effizienter zu gestalten." Die Prototypen sind bereits im Einsatz. Sie können die gesamte Prozesskette durchgängig abbilden und das mit den beim Kunden bereits etablierten Siemens-Tools wie NX CAM und SINUMERIK.

Die drei Projektpartner freuen sich, Kunden einen echten Mehrwert bieten zu können – und zwar einfach durch ein Software-Update. Dirk Hartmann sagt: „Ich denke, so sollte ‚Software-as-a-Service‘ für die Industrie im Idealfall funktionieren – ähnlich, wie wir es aus der Unterhaltungsindustrie kennen: Du hast ein Produkt gekauft, und ein schlichtes Softwareupdate macht das Produkt – in unserem Falle die industrielle Fertigung – besser.“