Remote-Navigation durch digitale Fabrikmodelle

Die Welt der Fertigung ist überaus komplex und wird täglich noch komplexer. Kfz-Hersteller beispielsweise betreiben über die ganze Welt verteilt Dutzende von Fabriken, die sich teilweise über ein bis zwei Quadratkilometer erstrecken. Die Standorte sind angefüllt mit Maschinen, nutzen hochmoderne Informationssysteme und beschäftigen Hunderte von Mitarbeitern. Das Personal und die technischen Anlagen in den Fabriken erzeugen enorme Mengen komplexer Daten. So lässt sich manchmal nur sehr schwer sicherstellen, dass die richtigen Mitarbeiter genau dann die richtigen Informationen zur Hand haben, wenn sie diese benötigen.

Drei Erfinder bei Siemens Digital Industries Software in Israel hatten eine Idee, wie sich diese Komplexität in den Griff bekommen lässt. Die Vision: Eine Lösung, mit der Hersteller ihre Fabriken weltweit im Blick behalten und Informationen dazu jederzeit von jedem beliebigen Standort aus in Echtzeit abrufen können. Aus dieser Idee entstand Intosite, eine cloud-basierte Software-Lösung, die einen 3D-Einstiegspunkt in die digitale Fabrik eröffnet. Intosite kombiniert die Visualisierung von Produktionsstätten mit Fertigungsinformationen und Tools für die Zusammenarbeit der Personen, die in der Fabrik arbeiten oder die Produktion planen. Tali Segall, Eitan Carmi und Rafi Blumenfeld wurden für Intosite als Erfinder des Jahres 2020 in der Kategorie Herausragende Erfindung ausgezeichnet. 

Konzeptuell ist Intosite ein 2D- und 3D-Modell der Fertigung im geografischen Kontext – eine Art Google Earth für den industriellen Bereich, das alle Aspekte sämtlicher Standorte eines Fertigungsunternehmens erfassen kann. „Mitarbeiter von Fertigungsunternehmen können damit virtuell in ein umfassendes 3D-Modell jedes ihrer Standorte springen, dort zu bestimmten Linien oder Maschinen navigieren und die richtigen Informationen per Mausklick abrufen“, erläutert Tali Segall, Innovation Lead bei Siemens Digital Industries Software in Tel Aviv, Israel. „Für Mitarbeiter vor Ort in der Fabrik – wie Produktionslinienleiter, Techniker oder Anlagenfahrer – liefert Intosite anhand von Industrial-IoT-Daten den exakten Status aus dem Produktionsbereich. Wer sich von Konzernseite aus der Ferne zuschaltet, hat mit Intosite den Ist-Zustand der Produktion in Gestalt eines digitalen Zwillings vor sich.“ Auf Grundlage dieser Informationen sind bessere Entscheidungen möglich, betont Segall. Als weitere Stärke hebt sie hervor, dass Intosite eine Schlüsselrolle für die Digitalisierung von bereits bestehenden Fabriken, sogenannten „Brownfield-Anlagen“, spielen kann: „Ausgehend von einem einfachen 2D-Plan lassen sich Schritt für Schritt visuelle und prozessbezogene Informationen hinzufügen. Unsere Lösung integriert diese Schritte in einer virtuellen Fabrik mit Markern, die auf Fertigungsinformationen verweisen.“

Intosite ist aber noch mehr, wie Eitan Carmi erklärt. Seit April 2020 „glücklich im Ruhestand“, war er Innovation Business Partner bei Siemens und Vater des ursprünglichen Gedankens, aus dem schließlich Intosite hervorging. „Die grundlegende Idee kam mir vor einigen Jahren kurz vor einer Geschäftsreise ins Ausland. Ich war fasziniert von der 3D-Visualisierung meines Hotels auf Google Earth.“ Der Besuch wurde damit viel besser planbar, und Carmi dachte sich: „Wir arbeiten bei Siemens, unsere Welt ist der industrielle Bereich. Was wäre, wenn wir auch unsere Fabriken auf diese Weise virtuell zugänglich machen würden?“ 

Carmi sprach darüber mit Rafi Blumenfeld, dem Chief Software Architect in ihrem Business Segment. Dieser beschreibt seine Rolle in Innovationsprojekten als die des „Ideenprüfers“: „Keine wirklich wertvolle Idee ist einfach. Ich sehe mir die Probleme an und versuche, herauszufinden, ob sie lösbar sind oder ob wir damit nur unsere Zeit verschwenden.“ Carmi und Blumenfeld beschlossen, Zeit zu investieren, und stellten ihr Projekt Tali Segall vor. „Sie hat sich entschieden, dabei mitzumachen“, erinnert sich Blumenfeld. Das Projekt wurde damit um ihre Erfahrung in Produktmanagement und R&D bereichert. „Unsere Rollen haben sich im Laufe der Jahre verändert, stellt Segal fest. „Aber zusammen bringen wir umfassende Erfahrung, großes industrielles Know-how und Kundenkontakte ein, und wir wissen, dass wir uns aufeinander verlassen können. Jede Idee wird ernst genommen.“ 

Mittlerweile sprechen die Ergebnisse für sich. Visuelle Marker stellen intelligente Links zu verschiedenen angeschlossenen IT-Systemen her. So wird es beispielsweise möglich, die Bewegungen von wichtigen Ressourcen wie fahrerlosen Transportsystemen (FTS) auf der Kartendarstellung der Fabrik zu verfolgen. Intosite-Kunden können zudem Echtzeit-Informationen wie Status und Alarme abrufen. Als Teil des Siemens Xcelerator-Portfolios von Software und Services kann Intosite in Mindsphere eingebunden werden, die führende industrielle IoT-as-a-Service-Lösung von Siemens. Mindsphere erfasst und analysiert IoT-Daten dann für die Darstellung auf der Intosite-Karte. „Je mehr Ressourcen aus der realen Welt mit der digitalen Welt verbunden werden, desto mehr können wir für unsere Kunden zaubern“, fasst Eitan Carmi zusammen. 

Die Möglichkeit, aus der Ferne auf Fabriken zuzugreifen und vom sicheren Homeoffice aus mit anderen zusammenzuarbeiten, ist in der gegenwärtigen Pandemie für viele Kunden von entscheidender Bedeutung. Intosite bietet aber auch Mehrwert für Unternehmen mit Mitarbeitern, auf die vor Ort im Betrieb nicht verzichtet werden kann. Wie Tali Segall erklärt, lässt sich Intosite mit einem Mitarbeiter-Ortungssystem verbinden, dass auf einer Karte der Fabrik fortwährend Abstände berechnet, um so bei der räumlichen Distanzierung ebenso zu helfen wie bei der Kontaktverfolgung, falls eine Person positiv auf das Virus getestet wird. „Wir können Fabriken helfen, während der Pandemie weiterzuarbeiten und gleichzeitig ihre Mitarbeiter zu schützen.“