Additiver Erfolg
Das rasante Wachstum des industriellen 3D-Drucks basiert zentral auf der durchgängigen Digitalisierung aller Prozessschritte und der engen Zusammenarbeit verschiedenster Unternehmen. Siemens hebt die additive Fertigung jetzt auf ein neues Level, indem es alle Produktionsschritte in einer digitalen Plattform integriert und so die Kooperation für alle erleichtert.
von Hubertus Breuer
Eine Boeing 747 hebt bei 280 Stundenkilometern vom Boden ab. Das kann sich der Supersportwagen Bugatti Chiron nicht leisten, wenn er mit weit über 400 km/h über die Straßen fährt – im Gegenteil, das ganze Bestreben seiner Erbauer musste es sein, die Bodenhaftung des Fahrzeuges auch unter diesen Extrembedingungen jederzeit sicherzustellen. Dafür sorgt ein hydraulisch aktuiertes Steuerungssystem, das den Anpressdruck reguliert, indem es den Heckflügel nach Bedarf ausfährt und ausrichtet, die Luftkanäle an der Unterseite des Wagens – sogenannte Diffusoren – öffnet und schließt und die Federfußpunkte des Fahrwerks verfährt, um damit den Abstand und den Winkel des Fahrzeugs zur Fahrbahn stets optimal zu halten.
3D-Druck-Titankomponenten mit reduziertem Windwiderstand - und im Gesamtsystem 53 Prozent leichter als bisherige Komponenten.
Diese in der Fahrzeugtechnik einmalige aktive Aerodynamik, welche auch schon beim Vorgänger des Chiron, dem Veyron, zum Einsatz gelangte, stellte Bugatti bislang mit traditioneller Fertigungstechnologie her. Auf der Basis einer langjährigen, umfassenden Erfahrung gerade im Bereich des CFK-Leichtbaus aber auch des generativen Fertigens im Bereich der Metalle, entwickelte der Automobilhersteller jetzt in enger Zusammenarbeit mit der Siemens-Division Digital Factory bionische, 3D-gedruckte Titanbauteile und ultraleichte, dünnwandige Kohlenstofffaserrohre, und zwar entlang einer digitalen Prozesskette.
Die Bugatti-Ingenieure optimierten dazu erst das Design anhand eines „digitalen Zwillings“. Dann simulierten sie im Rechner die komplette additive Titan-Fertigung und den CFK-Wickelprozess, die abschließend digital überwacht wurden. Das Ergebnis: 3D-Druck-Titankomponenten mit reduziertem Windwiderstand und Hochmodulfaser-CFK-Bauteile - im Gesamtsystem 53 Prozent leichter, als die bisherigen Komponenten.
Ermöglicht hat diesen Erfolg neben der Kooperation mehrerer Firmen die Digitalisierung. „Additive Fertigung bedeutet heute, die Fertigung vom Design bis zur Nachbearbeitung in eine digitale Produktionskette einzubinden“, sagt Karsten Heuser von der Siemens-Division Digital Factory. „Diesen Prozess haben wir jetzt mithilfe unseres Software-Portfolios auf eine homogene Plattform gehoben, die den kompletten Produktionsprozess nahtlos abbildet und vereinfacht. Statt sich mit Software zeitintensiv zu beschäftigen, können sich Ingenieure und Designer ganz auf ihr Produkt konzentrieren.“
Gasturbinen-Brenner aus dem 3D-Drucker
3D-Druck, mit dem sich nahezu jede erdenkliche Form in Metall, Kunststoff oder Keramik verwirklichen lässt, kommt heute in der Industrie immer öfter zum Einsatz. Der Markt, 2017 mit einem Volumen von fast zehn Milliarden Euro, soll sich bis 2021 auf rund 26 Milliarden vergrößern. Der industrielle 3D-Druck geht dabei über Bauteile, wie die prototypische Bugatti-Heckflügelmechanik, längst hinaus.
So fertigt Siemens heute bereits additiv komplexe Gasturbinen-Brenner in Serie und Bugatti setzt im Chiron eine Aluminium-Konsole mit integrierter Kühlung bereits seit dem SOP des Fahrzeugs in Serie ein. In weit größeren Stückzahlen druckt der Kosmetikkonzern Chanel Mascara-Bürstchen. Und der Sportartikelhersteller Adidas bietet neuerdings hochpreisige Edel-Sneaker mit additiv gedruckter Sohle an, die trotz ihrer 3D-Herstellung „Future Runner 4D“ heißen.
Ehe eine solche additive Fertigung verwirklicht wird, gilt es freilich, Hürden zu nehmen. Firmen müssen Komponenten identifizieren, für die sich der Einsatz des 3D-Drucks anbietet; sie benötigen das Know-how – und letztlich muss das digitale Management der 3D-Fertigung unkompliziert vonstattengehen. Genau das ermöglicht das Digital-Factory-Softwarepakt von Siemens, das vom Design und dem virtuellen Windkanal über den sicheren Datenversand bis hin zu Maschinensteuerung und -überwachung alles umfasst.
Zentral ist für die Digital Factory-Fertigungsroute der durch alle Prozessschritte hindurchgereichte „digitale Zwilling“, der komplexe Geometrien repräsentiert, Simulationen ermöglicht und für unterschiedlichste Druckverfahren eingesetzt werden kann. Zeitaufwendige und fehleranfällige Konvertierungen zwischen verschiedenen Dateiformaten entfallen. Auch finden Änderungen nie isoliert statt: Wird bei einer Simulation erkannt, dass Nachbesserungen nötig sind, wandert diese Information in die digitale Vorlage für den 3D-Druck. Das Resultat: Was früher ein Jahr in Anspruch nahm, ist heute in wenigen Wochen erledigt. Das Ziel, serienreife Produkte schon mit dem ersten 3D-Druck zu ermöglichen – „First time right“ –, gerät in greifbare Nähe.
„Wer in diesem jungen Ökosystem reüssieren will, ist trotz Wettbewerbsinteressen auf Kooperation angewiesen.“
Keine Revolution ohne Kooperation
Siemens setzt sein Digital-Factory-Portfolio natürlich auch selbst ein – neben den Brennern aus Finspång etwa für Gasturbinenschaufeln, die in Großbritannien hergestellt werden. Aber auch andere Unternehmen, etwa der deutsche Hersteller von Präzisionsbauteilen Toolcraft, nutzen die integrierte Software-Suite, um Komponenten zu produzieren, die der 3D-Druck überhaupt erst ermöglicht.
Die Digital-Factory-Programme allein reichen natürlich nicht aus, erfolgreich additive Produkte herzustellen. „Wer in diesem jungen Ökosystem reüssieren will, ist trotz Wettbewerbsinteressen auf Kooperation angewiesen“, erklärt Heuser. Deshalb ist Siemens in vielen Initiativen vertreten, das Unternehmen kooperiert außerdem mit Forschungseinrichtungen wie der RWTH Aachen, Firmen wie Toolcraft und Herstellern von 3D-Druckern wie SLM, Trumpf, HP, DMG Mori und EOS, dessen neuer Metalldrucker M300 auf Steuertechnik von Siemens setzt.
Und auch für die Bugatti-Heckflügelmechanik brauchte es mehrere Kooperationspartner. Siemens stellte seine Digital-Factory-Suite zur Verfügung, mit der Bugatti die ursprüngliche Idee in innovatives Design umsetzte. Die weiteren Arbeiten übernahmen langjährige Bugatti-Partner: das Fraunhofer-IAPT war für den 3D-Druck zuständig, der Luftfahrtbauteileentwickler und Tier-1-Zulieferer EAST-4D stellte die Kohlefaserrohre her und Vogt Engineering, ein Prototypen-Spezialist, führte den Werkzeug- und Vorrichtungsbau und die spanende Endbearbeitung und Montage durch.
Dank solch erfolgreicher enger Kooperationen wird sich der industrielle 3D-Druck Jahr für Jahr weiter etablieren. Nicht nur dank verbesserter, einfach zu handhabender Software. Es wird einfacher zu handhabende Software und verbesserte Druckverfahren geben, innovative Materialien werden auf den Markt kommen, neue Geschäftsmodelle entwickelt und das Lehrangebot an den Hochschulen ausgebaut werden. „Das Ökosystem für 3D-Druck wächst kontinuierlich weiter“, sagt Heuser. „Und das kommt letztlich uns allen zugute.“
09.11.2018
Hubertus Breuer
Bildquellen: von oben: 2. Bild gettyimages
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