„Wer wartet, verpasst den Anschluss“
Mirko Meboldt, Professor für Produktentwicklung und Konstruktion an der ETH Zürich, ist ein international ausgewiesener Experte für additive Fertigung. Im Interview spricht er über die Chancen dieser Technologie für die Industrie.
Hubertus Breuer
Wann ist Ihnen additive Fertigung das erste Mal begegnet?
Mirko Meboldt: 2003, als ich zu Beginn meiner Promotion ein Wasserfiltersystem entwickelt habe. Wir brauchten ein Kartuschensystem, das sonst mit Spritzguss gefertigt wird. Wir haben den Filter gedruckt – mit einem Feingewinde, das auf Anhieb gepasst hat. Ich war begeistert.
Man sagt, die additive Fertigung wird eine Revolution in der Fertigung auslösen.Wie schätzen Sie das Potential ein?
Meboldt: Das Besondere an der Technologie ist, dass man zwischen virtueller und realer Welt fast nahtlos wechseln kann und werkzeuglos fertigt. Seit gut 20 Jahren ist die additive Fertigung als „Rapid Prototyping“ aus der Produktentwicklung nicht mehr wegzudenken. Heute ermöglicht die Technologie komplett durchdigitalisierte Fertigungsrouten, an deren Ende Serienprodukte stehen, die nur durch 3D-Druck realisiert werden können. Vom Nutzen dieser Produkte, nicht von der Technologie selbst, hängt der industrielle Erfolg additiver Fertigung letztlich ab.
Können Sie ein paar Beispiele nennen?
Meboldt: Natürlich – das Verfahren wird bereits dort eingesetzt, wo diese Vorzüge einen klaren Wettbewerbsvorteil bringen. Bei Dentalimplantaten etwa hat sich das Verfahren durchgesetzt. Das Unternehmen Tailored Fits stellt maßgeschneiderte Skischuhe her – auch das geht nur dank 3D-Druck. Das Start-up Vectoflow produziert Strömungssonden für Prüfständer, die kleiner und robuster als zusammengesetzte Sensoren sind. Solche Beispiele finden Sie heute überall. Und es gibt immer mehr Anwendungsgebiete. Überall dort, wo additive Fertigung eine schnelle oder kostengünstigere Herstellung, wo sie leistungsfähige, innovative Produkte ermöglicht.
"Dieses Verfahren eröffnet bisher ungeahnte Möglichkeiten. In punkto Design, Funktionalität und bei der massiven Einsparung von Kosten."
Manche Unternehmen beklagen aber, dass die Technologie oft noch nicht für serienreife Produkte taugt.
Meboldt: Dann denken Sie mal an Feinguss – der wurde bereits im alten Ägypten praktiziert. Die Erfahrung mit 3D-Druck ist im Vergleich dazu extrem kurz – und leistet trotzdem bereits Beachtliches. Das ist also kein Argument gegen dieses Verfahren, das zudem ständig verbessert wird. Hinzu kommt: Wenn ich 3D-Druck erfolgreich in der Serienfertigung einsetze, kann ich bestehende Bauteile nicht einfach kopieren. Man muss das Design und die Wertschöpfungskette von Grund auf neu denken. Aber hat man sich die Mühe gemacht, eröffnet dieses Verfahren bisher ungeahnte Möglichkeiten. Und zwar nicht nur in punkto Design oder Funktionalität – sondern auch bei der massiven Einsparung von Entwicklungs- und Herstellungszeiten und Kosten.
Inwieweit erfüllt Siemens die Voraussetzungen für die Industrialisierung additiver Fertigung?
Meboldt: Siemens hat alle Kompetenzen, ein Treiber additiver Fertigung zu sein – und zeigt heute schon, welche Vorteile dieses Verfahren mit sich bringt. Das Unternehmen verbindet dabei drei wichtige Elemente: Prozesssteuerung, die Software und Anwendungsfelder, etwa Gasturbinen, für die ja bereits Bauteile wie Gasturbinenschaufeln gedruckt werden. Man muss freilich darauf achten, trotz der Größe des Konzerns flexible Entscheidungsprozesse zu ermöglichen.
Werden die Designs der Zukunft bionisch inspiriert sein?
Meboldt: Fräs-, Dreh- oder Gussverfahren gehen einher mit geometrischen Einschränkungen. Additive Fertigung dagegen gibt mir Designfreiheit. Und wenn ich frei bin, eine Bauteilstruktur zu entwerfen, verwundert es nicht, wenn das Ergebnis organisch wirkt. Die Natur ist schließlich der unbestrittene Meister und das beste Vorbild, wenn es darum geht, Materialien optimal zu nutzen.
Welche Bedeutung kommt dabei der „Co-Creation“ zwischen Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Universitäten zu?
Meboldt: Meboldt: Ohne Kooperation bricht die Prozesskette zusammen – das gilt auch für einen Riesen wie Siemens. Jemand muss zwar das Material liefern, jemand den Drucker, andere die Software. Wenn es aber darum geht, das Design und die Wertschöpfungskette komplett neu zu denken, sind Hochschulen und Forschungsinstitute unschlagbar. Deren Stärke ist es nicht, Bestehendes weiter zu optimieren, sondern zu explorieren, was man mit Technologie sonst noch machen kann, und auszuloten, wo die Grenzen des Möglichen liegen.
"Man darf die additive Fertigung nicht unterschätzen. Wer abwartet, bis der Markt riesig ist, verpasst den Anschluss."
Ein großes Thema für additive Fertigung ist Datensicherheit. Wie sehen Sie das?
Meboldt: Ich halte das für überbewertet. Zum einen ist die Fragestellung nicht neu. Wenn ich eine Fräsmaschine habe und einen Fräsdatensatz, kann ich das Teil produzieren. Aber die Aufgabe, den Prozess zu beherrschen, ist beim 3D-Druck ungleich komplexer. Das allein ist ein riesiger Schutz vor Produktpiraterie. Außerdem ist 3D-Druck nur ein Schritt in einer Prozesskette – jedes Metallbauteil muss ich etwa im Anschluss an die Fertigung nachbearbeiten.
Wo sehen Sie additive Fertigung in den kommenden Jahren?
Meboldt: Normalerweise interessiert sich niemand dafür, wie etwas hergestellt wird. Das ist beim 3D-Druck anders, weil wir eine Technologie haben, die heute gleichzeitig im Kinderzimmer und auf höchster Geschäftsebene eingeführt wird. Das hat einerseits zur Folge, dass die Technologie maßlos überschätzt wird: Es wird nicht dazu kommen, dass alle Teile, die heute mit Gieß-, Fräs- oder Spritzverfahren hergestellt werden, eines Tages additiv produziert werden. Aber das ist auch gar nicht das Ziel. 3D-Druck ist vielmehr ein neues Fertigungsverfahren, das hinsichtlich der Prozesskette, beim Design und beim Material völlig neue innovative Lösungen ermöglicht. Deshalb darf man andererseits die additive Fertigung nicht unterschätzen. Wenn Unternehmen abwarten, bis der Markt riesig ist, verpassen sie den Anschluss.
Nach dem Maschinenbaustudium an der Universität Karlsruhe begann Mirko Meboldt seine berufliche Laufbahn bei dem Werkzeughersteller Hilti in Liechtenstein.
Seit 2012 an der ETH, beschäftigt er sich heute mit der Entwicklung neuer Fertigungstechnologien wie 3D-Druck, mit biomedizinischen Anwendungen und anderen innovativen Produkten.
Im Frühjahr 2018 ist sein mit Koautoren verfasstes Buch „Entwicklung und Konstruktion für die Additive Fertigung“ erschienen.
2018-11-08
Das Gespräch führte Hubertus Breuer
Abonnieren Sie unseren Newsletter
Bleiben Sie auf dem Laufenden: Alles was Sie über Elektrifizierung, Automatisierung und Digitalisierung wissen müssen.