Vom Drucker auf die Schiene

Die Instandhaltung und Reparatur von Zügen soll möglichst rasch vonstattengehen, damit die Fahrzeuge schnell wieder einsatzbereit sind. Um die Beschaffung von Ersatzteilen zu beschleunigen, setzt Siemens Mobility künftig in seinen Instandhaltungsdepots weltweit 3D-Drucker ein, mit denen Ersatzteile im Handumdrehen angefertigt werden. Die Fertigungszeit für ein Bauteil fällt so um bis zu 95 Prozent geringer aus. Welche weiteren Vorteile das mit sich bringt, zeigt sich bereits im neuen Rail Service Center in Dortmund.

 

von Tim Schröder

Wer gelegentlich in einer anderen Stadt mit der Straßenbahn oder S-Bahn unterwegs ist, merkt schnell, dass die Bahnen in verschiedenen Orten ganz unterschiedlich aussehen. In manchen Städten sind Niederflurbahnen mit besonders niedrigem Einstieg unterwegs. Anderswo halten die Fahrzeuge an hohen Bahnsteigen. Es gibt eine Fülle verschiedener Bahnen, denn jedes Nahverkehrsunternehmen hat seine ganz eigenen Anforderungen. Auch Siemens bietet eine Palette verschiedener Schienenfahrzeug-Typen und -Varianten an. Diese Vielfalt macht die Reparatur und Instandhaltung der Fahrzeuge in den Depots allerdings zu einer Herausforderung. Denn sie bringt es mit sich, dass viele verschiedene Ersatzteile benötigt werden.

 

Die Nahverkehrsunternehmen möchten, dass ihre Fahrzeuge schnell gewartet und zügig wieder einsatzbereit sind. Idealerweise sollten sie spätestens am folgenden Tag wieder auf der Schiene sein. Das heißt auch, dass Ersatzteile schnell verfügbar sein müssen. Anders als bei einem Auto aber sind Komponenten für Bahnen oftmals komplexe Bauteile, die in kleiner Auflage gefertigt werden. Größere Mengen an Ersatzteilen werden nicht vorproduziert, sondern nach Bedarf hergestellt, gegossen oder gefräst. Von der Bestellung bis zur Auslieferung eines solchen Ersatzteils können leicht mehrere Wochen oder gar Monate vergehen. Für Nahverkehrsunternehmen aber wäre das unzumutbar. 

Drucker statt Ersatzteillager

Bei Siemens Mobility, der Bahnsparte von Siemens, war es deshalb bislang üblich, besonders mobilitätskritische Ersatzteile vorzufertigen und in den Instandhaltungsdepots zu lagern. Dadurch erreicht man aktuell bei der Instandhaltung eine Ersatzteil-Verfügbarkeit von bis zu 100 Prozent. Doch das war kostspielig, nicht zuletzt, weil viele dieser Teile letztlich gar nicht benötigt wurden. Siemens Mobility hat deshalb einen neuen Weg eingeschlagen. Es möchte seine Instandhaltungsdepots nach und nach mit modernen Industrie-3D-Druckern ausrüsten, die Ersatzteile bei Bedarf innerhalb weniger Stunden herstellen. Ein Anfang ist gemacht: Im neuen Instandhaltungsdepot, dem RRX Rail Service Center, das Siemens Mobility im Frühjahr 2018 in Dortmund eröffnet hat, ist ein solcher 3D-Drucker im Einsatz. Unter anderem wurden dort bereits Ersatzteile für den SkyTrain am Düsseldorfer Flughafen gedruckt, eine Hängebahn von Siemens, welche die Terminals miteinander verbindet. Auch individuelle Werkzeuge und Vorrichtungen, die für die verschiedenen Züge benötigt werden, liefert der 3D-Drucker. 

„Wir werden in den kommenden Jahren an unseren Standorten weltweit ein ganzes Netz an digitalen Druckern aufbauen."

„Wir werden in den kommenden Jahren an unseren Standorten weltweit ein ganzes Netz an digitalen Druckern aufbauen und mit unserer Zentrale in Erlangen verbinden, wo wir ein eigenes Kompetenzzentrum für 3D-Druck betreiben“, sagt Michael Kuczmik, Leiter der additiven Fertigung bei Siemens Mobility. Insgesamt 88 solcher Instandhaltungsprojekte gibt es aktuell weltweit. „In Erlangen fertigen wir schon seit einiger Zeit Ersatzteile, die bisher an die Depots verschickt werden.“ Durch den Versand aber geht Zeit verloren. Mit dem Drucker vor Ort lässt sich jetzt der Instandhaltungsprozess verkürzen. „Mit der Einführung von 3D-Druckern in unseren Depots gehen wir nun einen weiteren wichtigen Schritt.“ Letztlich erwarten Kuczmik und seine Kollegen aufgrund der günstigeren Beschaffung erhebliche Kostenreduktionen. So mussten bislang zum Beispiel bei den Lieferanten Bauteile mit einer Mindestbestellmenge abgenommen werden. Dank des 3D-Drucks ist weniger Lagermaterial nötig – Ersatzteile sind dennoch schneller verfügbar. Ganz autark ist die Anlage in Dortmund aber nicht. Kuczmik: „Das Engineering eines Ersatzteils machen wir nach wie vor hier in unserem Center of Competence – etwa mit der Siemens-Software NX. Die fertige Datei schicken wir dann nach Dortmund, wo das Teil ausgedruckt wird.“

Fertige Bauteile statt Prototypen

Siemens hat schon lange profunde Erfahrung mit der additiven Fertigung. Früher als viele andere schaffte die zentrale Forschung Corporate Technology bereits 1989 den ersten 3D-Drucker an. Vor einigen Jahren brachte der Bereich Power Generation dann das erste industriell gefertigte 3D-Druck-Bauteil auf den Markt: Brennerspitzen für Gasturbinenbrenner. „Für uns bei Mobility war das ein Signal“, sagt Michael Kuczmik. „Wir dachten uns: Wenn sich die additive Fertigung für derart extreme Anwendungen eignet, müssten sich damit auch sicherheitskritische Ersatzteile für Bahnen herstellen lassen.“ Vor gut fünf Jahren startete Mobility hierzu eine Machbarkeitsstudie. Seitdem werden in Erlangen Teile aus Kunststoff und Metall konstruiert und gefertigt.

 

Dabei mussten die Erlanger zunächst eine Hürde nehmen: Für additiv gefertigte Bahn-Komponenten gab es bis dahin noch keine Normen. „Wir haben daher zunächst intensive Studien durchgeführt“, sagt Kuczmik, „und den Prozess über ein ganzes Jahr intensiv qualifiziert, um sicherzugehen, dass die Fertigung stabil läuft und eine gleichbleibende Qualität liefert.“ Damit konnte der TÜV Süd überzeugt werden: Er hat Siemens Mobility als einem von nur zwei Herstellern in Deutschland eine Zertifizierung als „industriellen Lieferanten für die additive Fertigung“ erteilt. Kuczmik: „Man darf nicht vergessen, dass mit 3D-Druckern oftmals nur Prototypen gefertigt werden. Bei uns aber geht es um einsatzbereite, teils sicherheitskritische Bauteile für den rauen Alltagseinsatz.“

Vorerst werden in Dortmund nur Bauteile aus Kunststoff hergestellt. Der Grund: Der dafür verwendete industrielle Drucker der Firma Stratasys ist leicht zu bedienen. Die Maschinen zur Verarbeitung von Metall hingegen setzen Fachkenntnis voraus. Daher kommen sie derzeit nur in Erlangen zum Einsatz. Der in Dortmund eingesetzte Drucker arbeitet nach dem Fused-Deposition-Modeling-Verfahren, bei dem ein Kunststoff Schicht für Schicht aufgeschmolzen wird und zur 3D-Struktur emporwächst. „Stratasys gilt als Entwickler dieser Methode. Wir halten das System daher für am ausgereiftesten“, sagt Kuczmik.

 

Künftig sollen damit in Dortmund unter anderem auch Teile von Fahrzeuginnenverkleidungen hergestellt werden. Diese werden benötigt, wenn zum Beispiel nach einem Fußballspiel randalierende Fans die Verkleidungen zerstören und nicht alle benötigten Teile auf Lager sind. „Das RRX Rail Service Center in Dortmund garantiert seinen Kunden eine hohe Fahrzeugverfügbarkeit“, sagt Kuczmik. „Das heißt für uns, dass die Bahnen schnell wieder einsatzbereit beim Kunden sein müssen.“ Und das gilt nicht nur für reguläre Instandhaltungen, sondern auch für unerwartete Ereignisse wie Unfälle oder Vandalismus. Dank des Kunststoffdrucks kann man in Dortmund schnell reagieren und den Schaden beheben. Dauerte früher die Fertigung eines Ersatzteils bis zu mehreren Wochen, liefert der Drucker das Stück heute in nur wenigen Stunden. Oder anders ausgedrückt: Die Fertigungszeit für ein Bauteil fällt so um bis zu 95 Prozent geringer aus.

Auch in den USA und Russland soll die Instandhaltung von Schienenfahrzeugen in nächster Zeit um die additive Fertigung ergänzt werden. Noch werden die Bauteile in Erlangen ausgedruckt und dann in die USA verschickt. „Doch das soll künftig schneller gehen, indem wir auch dort Drucker aufstellen, die dann unser wachsendes Netzwerk ergänzen“, sagt Michael Kuczmik.

21.11.2018

Tim Schröder 

Abonnieren Sie unseren Newsletter

Bleiben Sie auf dem Laufenden: Alles was Sie über Elektrifizierung, Automatisierung und Digitalisierung wissen müssen.