Schlauer Assistent für die Produktion

Ein Assistenzsystem für Fertigungsanlagen nutzt integrierte Simulationsmodelle, um bei Problemen rasch Lösungen zu finden.

Simulationen von Fertigungsanlagen helfen den Betreibern, optimale Betriebsabläufe zu finden. Als integrierter Teil eines Digitalen Zwillings können sie auf die aktuellen Datenströme zurückgreifen und rasch klare Entscheidungsoptionen für die Anlagenbetreiber finden, wenn es Probleme gibt.

Etwas ist faul in der Fischertechnik-Minifabrik im Siemens Digital Machines Lab in München. Es rattert, surrt, fiept, brummt und summt. Blaue, rote und weiße Werkstücke wandern aus einem Hochregal über Förderbänder, Greifroboter sortieren sie nach Farben. Blaue werden in einem Puffer zur Seite geschoben, Rote und Weiße wandern weiter zu einer Multiprozess-Station, an der sie erhitzt, gebohrt und gefräst werden. Doch während die Bauteile so durch die Fabrik ruckeln, blinkt auf dem Tablet in den Händen des danebenstehenden Siemens-Simulationsexperten Jan Christoph Wehrstedt ein rotes Lämpchen auf. Grund: Ein Stau droht vor der Multiprozess-Station, der Produktionsfluss könnte ins Stocken geraten.

Doch warum? Eine mitlaufende Simulation, die ständig den Ist- mit dem Sollzustand der Anlage vergleicht, hat das Problem identifiziert: Die roten Werkstücke benötigen länger als geplant, erhitzt zu werden. Gleichzeitig hat die Simulation einen Weg berechnet, wie der Produktionsprozess so gestaltet werden könnte, dass alles wieder reibungslos läuft. Auf dem Tablet erscheint ein Fenster, das diese Option anbietet. Wehrstedt klickt sie – das rote Lämpchen erlischt, und die grau-rot-schwarze Fabrik klappert weiter.

Assistenzsystem tauglich für Nicht-Experten

Vergleichbare Probleme wie in der Minifabrik gibt es auch in realen automatisierten Produktionsanlagen. Sie müssen meist nicht nur rund um die Uhr laufen, Qualitäts-, Zeit- und Kostenvorgaben einhalten, sondern es gilt auch immer öfter, kleine Stückzahlen flexibel zu produzieren. Folglich müssen die Abläufe in so einer Anlage öfter angepasst werden und sollen dabei gleichzeitig möglichst optimal bleiben, um etwa, wie in der Minifabrik, Staus zu vermeiden. Für die Betreiber ein komplexes Problem, denn eine Änderung der Abläufe zeigt sich mitunter erst nach einiger Zeit an einer möglicherweise völlig unerwarteten Stelle. In die Produktion integrierte Simulationsmodelle können da helfen.

Ein Team aus der Simulation & Digitaler Zwilling-Arbeitsgruppe der Siemens Forschungseinheit Technology hat daher ein intuitiv zu bedienendes Assistenzsystem entwickelt, das ein solches Modell nutzt und Schichtleitern, Wartungsingenieuren oder Technikern die Möglichkeit gibt, auf Produktionsprobleme kurzfristig zu reagieren. „Die App ist intuitiv bedienbar, sie liefert klare Optionen, wie weiter verfahren werden kann“, sagt die mit Wehrstedt zusammenarbeitende Simulationsexpertin Annelie Sohr. „Das komplexe Simulationstool – das früher nur für Experten gedacht war – läuft im Hintergrund und braucht die Nutzer nicht zu bekümmern.“

Langfristig vollautomatisch

Diese Echtzeitsimulationen werden mit verschiedensten Sensor-und Betriebs-Daten gespeist und erlauben so schnelle Fehleranalysen und ‚Was-wäre-wenn‘-Szenarien. Der drohende Stau wird also erkannt, bevor sich die Steine stapeln. „Bei unserer Minifabrik kommt so etwa der Vorschlag, die Reihenfolge zu ändern, in der die Werkstücke bearbeitet werden“, sagt Sohr. „Ein Anlagenmanager hat so blitzschnell die Option an der Hand, die Produktion anzupassen.”

Dabei ist natürlich denkbar, die Datenquellen noch auszweiten – die Simulation könnte auch die Auftragslage der nächsten Wochen, den Lagerbestand oder anstehende Instandhaltungsarbeiten miteinbeziehen. Voraussetzung hierfür – wie bei allen Datenanalysen – ist es jedoch, dass alle relevanten Daten in eindeutig definierten Formaten vorliegen. „Längerfristig ist denkbar, dass die meisten dieser Entscheidungen automatisch fallen“, sagt Wehrstedt. „Betreiber würden dann nur noch allgemeine Zielvorgaben formulieren, etwa, was die Qualitätssicherung oder ressourcenschonende Produktion angeht.“

Heute schon im Einsatz

Teile dieses Assistenzkonzepts werden heute bereits umgesetzt, zum Beispiel auch in einem Infrastrukturumfeld. So hilft die Siemens-Kanalnetzsteuerungs-App SIWA Sewer, Entwässerungssysteme mithilfe von Simulationen optimiert zu betreiben. In einem Pilotprojekt in einem Abwassernetz in Nordrhein-Westfalen nutzt sie ein Simulationsmodell, das sich unter anderem bei Wettervorhersagen bedient. Auf diesem Wege kann SIWA Sewer bei starken Niederschlägen den reibungslosen Betrieb des Netzwerks sicherstellen.

Hubertus Breuer  - November 2020

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