Futter für den digitalen Zwilling
Warum treiben Unternehmen die Digitalisierung ihrer Prozesse voran? Um sich im globalen Wettbewerb besser aufzustellen – indem sie flexibel die Produktion auf neue Kundenwünsche umstellen, ein breiteres Fertigungsprogramm bei gleichbleibendem Kosten umsetzen oder die Qualität der Erzeugnisse verbessern. Allerdings sind viele Prozesse, vor allem in der Fertigung, bereits stark automatisiert oder können kaum allein durch Roboter durchgeführt werden. Mit einem intelligenten und leistungsfähigen Lokalisierungs-System gelingt es, auch hier durch Digitalisierung weitere Wettbewerbsvorteile zu nutzen.
von Markus Weinländer
Wie wird ein Fertigungsbetrieb flexibler, besser und gleichzeitig günstiger in seinen Abläufen? Produktionsingenieure tüfteln an neuen Konzepten, die die Möglichkeiten des digitalen Zwillings, also eines computergestützten Abbildes aller Vorgänge und Produktionsobjekte, noch besser ausnutzen. Ein solcher Ansatz ist das Aufbrechen der klassischen Fließfertigungslinien – ein Produktionsverfahren, das lange Jahre zu einer starken Senkung der Stückkosten beigetragen hat. Doch wenn es um schnelle Anpassungen geht oder um spezielle Varianten mit eigenen Bearbeitungsstationen, erweist sich die Linienfertigung als unflexibel bzw. aufwändig. Neue Konzepte setzen deshalb auffahrerlose Transportsysteme (AGV) statt einer fest aufgebauten Fördertechnik. Die Werkstücke werden hier durch Transportfahrzeuge von einer Bearbeitungsstation zur nächsten transportiert. Der Vorteil: Einzelne Abschnitte werden bei einfachen Varianten schlicht übersprungen werden, niederpriore Fertigungsaufwände zu jeder Zeit geparkt. Ist eine Maschine dauerhaft überlastet, wird schlicht eine zweite Maschine dazugestellt und von den AGVs dynamisch, das heißt auslastungsgesteuert, angefahren.
Grundlage für die Realisierung einer solchen flexiblen Fertigung sind funkbasierte Ortungssysteme, die alle Objektbewegungen in Echtzeit erfasst und an das Steuerungssystem beziehungsweise die einzelnen AGVs meldet. Eine solche Lokalisierungsplattform ist Simatic RTLS (Real-Time Locating System) von Siemens. Dadurch erhalten die Fahrzeuge sowohl die eigene Position als auch die Zielkoordinaten und können dynamisch, unter Berücksichtigung der aktuellen Auslastung und der Priorität des Fertigungsauftrags, zu den jeweiligen Bearbeitungsmaschinen navigiert werden. Bei der Simatic RTLS werden dazu in regelmäßigen Abständen sogenannte Anker, Lokalisierungspunkte, in der Fabrik installiert, die ähnlich wie ein WLAN-Netz die gesamte Fläche abdecken. Gemeinsam peilen die Anker die an den Robotern, AGVs, Werkstücken oder Maschinen befestigten Transponder an, ermitteln diese Position in Sekundenbruchteilen und geben die Koordinaten über ein Gateway an den Locating Manager weiter, der wiederum die Daten an die jeweiligen Zielapplikationen überträgt.
Unsichtbare Unterstützung für die Mitarbeiter
Aber auch der scheinbar gegenteilige Ansatz kann mit digitalen Konzepten unterstützt werden, nämlich eine Senkung des Automationsgrades. In vielen Produktionsabschnitten, vor allem bei der Montage von Teilen, sind nach wie vor Facharbeiter am Werk, weil die Aufgabe für einen Roboter zu komplex ist. Der Vorteil: Ein Mensch kann viele unterschiedliche Komponenten bearbeiten, ohne jedes Mal speziell trainiert oder über entsprechende Sensorik (zum Beispiel Kameras) gesteuert werden zu müssen. Andererseits machen Menschen auch Fehler, was einem Roboter kaum passiert – da wird ein falsches Teil montiert oder die Schrauben mit dem falschen Drehmoment angezogen.
Das Ortungssystem von Siemens bietet einen weiteren Vorteil: Es kann als Infrastruktur für eine Vielzahl von Applikationen genutzt werden.
Ein Ortungssystem wie Simatic RTLS kann auch hier helfen. Und zwar mit einem Abgleich zwischen dem digitalen Zwilling des zu fertigenden Produkts und den tatsächlichen Vorgängen in der Fabrik. Damit ist es etwa möglich, durch eine dreidimensionale Ortung eines Schrauberwerkzeugs das Drehmoment automatisch einzustellen – indem die Schraubersteuerung die Position quasi über das digitale Modell des Produkts legt und somit erkennt, welche konkrete Schraube in Bearbeitung ist. Da das alles in Echtzeit ohne Eingriffe des Werkers geschieht, begleitet die Digitalisierung die Vorgänge ohne spürbare Umgestaltung der Prozesse; der digitale Zwilling wird zur unsichtbaren, aber äußerst hilfreichen Unterstützung für die Mitarbeiter. Gleichzeitig liefert RTLS ergänzende Daten zur Dokumentation an den digitalen Zwilling der Produktion.
Doch das Ortungssystem von Siemens bietet einen weiteren, wichtigen Vorteil: Es kann als Infrastruktur für eine Vielzahl von Applikationen genutzt werden – ähnlich wie bei Kommunikationsnetzen, die ja auch zahlreiche unterschiedliche Anwendungen bedienen. So können mit Simatic RTLS verschiedene, Produktionsanlage Logistikprozesse realisiert werden. Trägt zum Beispiel ein Mitarbeiter einen RTLS-bestückten Handschuh, kann damit die Materialentnahme an Montageplätzen kontrolliert werden – greift der Werker versehentlich in ein falsches Fach, geht ein Warnsignal an. Werden mobile Fertigungsmittel wie Werkzeuge, Träger oder Container mit Transpondern ausgerüstet, können ihre tatsächliche Nutzung und Umschlaggeschwindigkeit zur Bestandsoptimierung dienen – indem entweder zusätzliche Teile an neuralgischen Abschnitten bereitgestellt oder aber überflüssige Einheiten reduziert werden. Ein drittes Beispiel: Per RTLS kann der Weg eines Werkstücks lückenlos nachvollzogen werden, um automatisch die einzelnen Bearbeitungsschritte zu dokumentieren und Stück für Stück den digitalen Zwilling anzureichern.
Ob also mit AGVs und Robotern oder den bewährten Facharbeitern: Mit dem Echtzeit-Funkortungssystem von Siemens können neue Produktionskonzepte zuverlässig realisiert werden, weil die automatische Funkortung eine Brücke schlägt zwischen dem digitalen Zwilling und seinen analogen Vorbildern. Für eine dynamische, flexible und vor allem wettbewerbsfähige Fabrik der Zukunft.
21.11.2018
Markus Weinländer
Bildquellen: Getty Images
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