Blackout-Schutz aus der Cloud

Mit künstlicher Intelligenz unterstützte Simulationen können Millionen Tranformatoren vor plötzlichen Totalausfällen bewahren.

Direkt am Strommast montierte Transformatoren, mit denen die Spannung kurz vor der Steckdose des Stromkunden auf 230 Volt gesenkt wird, sind in vielen Ländern fester Bestandteil im Landschaftsbild. In Indien sind beispielsweise weit über zehn Millionen dieser Masttransformatoren im Einsatz. Dort haben Netzbetreiber und Stromkunden mit ihnen jedoch ein massives Problem: Jährlich fallen 15 bis 20 Prozent der Masttransformatoren aus und verursachen Blackouts mit enormen Reparaturkosten und Produktionseinbußen.

 

Von Hubertus Breuer and Frank Krull

Brandgefahr durch Ölverlust

Eine der häufigsten Ursachen für die hohe Ausfallrate ist der Verlust von Transformatoröl. Das ist das Öl, mit dem die elektrischen Spulen im Inneren der Transformatoren gekühlt und gegeneinander isoliert werden. Bei mangelhaft gewarteten Geräten, deren Gehäuse stark angerostet oder rissig sind, kann es auslaufen. Wenn der Ölstand dann unter eine kritische Füllhöhe fällt, besteht die Gefahr, dass sich der Transformator überhitzt oder dass es zwischen den Spulen zu Spannungsüberschlägen kommt. In diesen Fällen gehen die Transformatoren nicht selten sogar in Flammen auf.

Die Expertengruppe für Systemmodellierung von Siemens Corporate Technology am südindischen Standort Bengaluru hat jetzt eine Lösung entwickelt, die den Ölstand von Masttransformatoren beliebiger Hersteller mit Hilfe der Digitalen Zwillingen der Transformatoren ermittelt. „Mit den Zwillingen wird es möglich, den Ölstand auf schnellen Rechnern in der Cloud realitätsnah zu simulieren, so dass der Netzbetreiber frühzeitig gewarnt werden kann, wenn einer seiner Transformatoren in einen kritischen Zustand gerät“, erklärt Surya Bhamidipati, der die Expertengruppe leitet.

Zwillinge, die Alarm schlagen

Die Gruppe um Bhamidipati hat jedoch nicht für jeden der vielen verschiedenen Masttransformatoren, die in Indien im Einsatz sind, einen individuellen Digitalen Zwilling erstellt. „Das wäre weder zeitlich noch finanziell machbar“, betont Bhamidipati. „Unser Ansatz geht von einem normierten Digitalen Zwilling aus.“ „Das ist ein Zwilling, der einen Masttransformator zwar in seinen Grundzügen beschreibt, der aber noch nicht auf einen konkreten realen Transformator individualisiert ist“, ergänzt Simit Pradhan, der als Modellierungsexperte in Bhamidipatis Gruppe tätig ist. „Ein individueller Zwilling wird er erst, wenn wir ihn mit den Temperaturmesswerten des realen Transformators füttern.“

Um die Temperaturmesswerte zu bekommen, müssen die betroffenen Transformatoren nur mit vier Sensoren und einem Router, der die Messwerte in die Cloud schickt, nachgerüstet werden. Drei der Sensoren messen dabei die Gehäusetemperatur und einer die Umgebungstemperatur. Mit diesen Werten können zunächst im Vergleich mit einem intakten Transformator Form, Größe und Nennleistung des nachgerüsteten Transformators bestimmt und daraus dann auch ein individueller Zwilling für ihn erstellt werden.

Rechenpartner künstliche Intelligenz

Steht der individuelle Zwilling, kann mit ihm und den Temperaturmesswerten der Ölstand simuliert und damit die Füllhöhe indirekt bestimmt werden. Das geht allerdings nicht mit einer herkömmlichen Simulation, deren Algorithmen allein auf physikalischen Gesetzen basiert. „Hier wären Rechenaufwand und -zeit sehr groß“, betont Pradhan. „Wir haben diese Algorithmen deshalb mit statistischen Techniken und Methoden aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz kombiniert.“ Erst mit dieser Kombination sinken Rechenaufwand und -zeit der Simulation auf einen Wert, der es möglich macht, den Ölstand im Transformator so häufig und regelmäßig zu simulieren, dass eine sichere Überwachung gewährleistet ist.

Der geringe Nachrüstaufwand ist nicht der einzige Vorteil, den die Ölstandsüberwachung von Bhamidipatis Gruppe zu bieten hat. Sie ist auch im Vergleich zu anderen Überwachungslösungen, die mit Schall- oder Gewichtssensoren arbeiten, deutlich preisgünstiger. Während diese Lösungen nahezu die Hälfte der Transformatoranschaffung kosten, ist die Lösung mit vier Temperatursensoren, Router und Simulation in der Cloud für rund ein Zehntel der Anschaffungskosten zu haben.

Härtetests in Rajasthan und Kaschmir   

Nachdem Bhamidipatis Gruppe ihre Ölstandsüberwachung in den vergangenen Monaten bereits außerhalb des Labors in einem Feldversuch im indischen Bundesstaat Goa erfolgreich erprobt hat, folgt jetzt ein größeres Pilotprojekt mit dem indischen Netzbetreiber BSES Rajdhani Power Limited. Hier werden in den Bundesstaaten Rajasthan und Kaschmir 40 Masttransformatoren mit der Ölstandsüberwachung nachgerüstet, um zu testen, wie sich die Lösung unter unterschiedlichen klimatischen Bedingungen bewährt.


5. Juli 2019

Hubertus Breuer ist Wissenschafts- und Technologiejournalist und arbeitet freiberuflich in München.

Frank Krull ist Physiker und Journalist und arbeitet in der Kommunikationsabteilung von Siemens.

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