Ideentest im Schnelldurchlauf

Produktentwickler können ihre Designs mit leistungsstarken Algorithmen und Grafikprozessoren jetzt schneller denn je auf ihre Brauchbarkeit prüfen.

Simulationen sind ein zentrales Hilfsmittel, um Bauteile, Maschinen oder Stadtviertel virtuell zu designen. Damit das zukünftig noch schneller geht, entwickeln Simulationsexperten bei Siemens leistungsstarke Algorithmen und setzen Grafikprozessoren ein. Mit ihnen können sie Designentwürfe jetzt in wenigen Sekunden bis Minuten bewerten und das immense Potenzial möglicher Designs noch besser ausschöpfen.

Eine VR-Brille vor Augen und zwei Steuergeräte in den Händen bewegt der Simulationsexperte Dirk Hartmann von Siemens Corporate Technology das Designmodell einer Radaufhängung im digitalen Raum. Er kann das Modell aber nicht nur um alle Achsen drehen, sondern die Konstruktion auch auf Knopfdruck aus beliebigen Richtungen mit beliebig großen Kräften belasten. Deren Wirkung kann er dabei unmittelbar an der Verformung und Einfärbung des Modells ablesen. Bei roten Stellen sieht er so sofort, dass die Belastung im kritischen Bereich ist und die Gefahr besteht, dass eines der Bauteile versagt.

Komplexität der Designoptionen

Ingenieure feilen heute bis ins kleinste Detail an ihren Bauteilen, um die bestmögliche Leistung aus Maschinen und Technologien zu holen. Dabei war der Weg vom Entwurf zum Endprodukt bislang weit: Bei Modelländerungen waren sie gezwungen, sie erst von einem Experten simulieren zu lassen, um sicher zu gehen, dass die Änderungen tatsächlich zu Verbesserungen führten. „Diese Arbeitsteilung soll bald der Vergangenheit angehören“, sagt Jan Leuridan, der bei Siemens Digital Industries das Geschäftsfeld Simulation and Test Solutions leitet. „Unsere Lösung ist, Design und Simulation zusammenzulegen.“

 

Dirk Hartmann und sein Expertenkollege Stefan Gavranovic von Siemens Digital Industries arbeiten seit Jahren mit weiteren Kollegen bei Siemens Corporate Technology daran, Ingenieure in die Lage zu versetzen, Entwürfe rasch auf physische Leistungsfähigkeit – wie etwa die Belastung bei äußeren Kräften – zu prüfen. Entsprechen sie nicht den Erwartungen, können sie das Design umgehend anpassen. „Weil Bauteile immer komplexer werden, ist es wichtig, schnell einen Eindruck zu gewinnen, wie sich der Prototyp eines Bauteils verhalten würde“, sagt Hartmann. „Wir haben daher eine interaktive Simulationssoftware entwickelt, mit der Ingenieure mehrere Ideen in kürzester Zeit testen können, ohne auf die Auswertung von Simulationsexperten warten zu müssen.“

Tausendmal schneller als herkömmliche Methoden

Den Ideentest im Schnelldurchlauf ermöglichen zwei technische Neuerungen. Zum einen schnellere Algorithmen. Nicht nur die Rechenkapazität von Prozessoren wächst nach dem Mooreschen Gesetz alljährlich an, auch die Effizienz von Algorithmen steigert sich exponentiell. Im Falle der Echtzeitsimulation basieren die Algorithmen auf der so genannten „Finite Elemente Methode“, bei der ein Körper in ein Gitter kleiner Elemente zerlegt wird. Ändert ein Konstrukteur die Form eines Bauteils, berechnen ausgefeilte Algorithmen dann das Temperaturverhalten oder etwa die innere Spannungsbelastung für jedes Einzelne dieser Elemente. Das geschieht innerhalb weniger Sekunden, indem die Rechenaufgabe in viele kleine Schritte zerlegt und parallel bearbeitet.

 

Das wiederum erfordert eine zweite Innovation – nämlich statt dem zentralen Prozessorkern eines Rechners Grafikprozessoren zu nutzen. Die ermöglichen aufgrund ihrer Architektur massiv parallele Rechenprozesse, und umso mehr, je mehr Grafikprozessoren in einem Computer verbaut sind. „Dadurch können wir heute tausendmal schneller als bisher simulieren“, so Hartmann.

Erweiterung für den digitalen Zwilling

Entwirft ein Ingenieur so ausgerüstet eine Komponente, findet die Simulation mit dem Ideentester jetzt kontinuierlich im Hintergrund statt. Die Auswirkungen von Designentscheidungen werden dann auf Wunsch sofort angezeigt. Das ist nicht nur auf Maschinen beschränkt. „Denken Sie an ein Team von Stadtplanern“, sagt Hartmann. „Echtzeitsimulationen eröffnen ihnen die Möglichkeit, die Auswirkungen neuer Gebäude auf die Luftströmungsverhältnisse in einem Stadtviertel sehr früh gemeinsam interaktiv zu simulieren und zu diskutieren.“

 

Nicht zuletzt kann diese Software auch beim so genannten generativem Entwerfen helfen. Dabei verwendet ein Ingenieur Designprogramme, die aufgrund eines Grundkonzepts und gewählter Parameter – zum Beispiel der Belastbarkeit für Kräfte – automatisch eine Vielzahl von Designs entwerfen. Die Vielzahl dieser Ideen können dann wiederum mithilfe von Simulationen umgehend bewertet werden. So lassen sich mehr Ideen und komplexere Entwürfe bewerten. Neue Designs können innerhalb von Sekunden bis wenige Minuten gefunden werden. Das ermöglicht nicht nur, zügiger zum Ziel zu kommen. Es erlaubt der Designsoftware, fortlaufend zu lernen. Jedes Mal, wenn sich ein Ingenieur an die Arbeit setzt, steht ihm dann ein noch kompetenteres Werkzeug zur Verfügung.

 

Autor: Hubertus Breuer

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