Virtuelle Sensoren im Westentaschenformat

Simulation auf kleinen Edge-Computern

Um Motoren oder andere technische Geräte zu überwachen, bedarf es ständig aktueller Daten aus dem Geräteinneren. Weil sich dort aber nicht immer Sensoren anbringen lassen, helfen virtuelle Sensoren aus. Forscher der Siemens Technology haben jetzt einen virtuellen Sensor im Westentaschenformat entwickelt, der sich spielend an einem Motor anbringen lässt. Damit können Anlagen effizienter laufen und länger verfügbar sein.

Wer wissen will, was im Innern einer Maschine los ist, braucht dort Sensoren. Diese messen Temperaturen, Vibrationen, magnetische Felder oder Rotationsfrequenzen. Ohne solche Sonden, die physikalische und chemische Größen in elektrische Signale umwandeln, lässt sich kein Motor, keine Pumpe oder Maschinenanlage überwachen.

 

Doch nicht selten ist dort, wo sie messen sollen, kein Platz, die Teile drehen sich oder die Installation ist zu aufwendig. Die Lösung: Virtuelle Sensoren – intelligente Softwareanwendungen, die es erlauben, ohne greifbare Messsonde dennoch an die gewünschten Messgrößen zu gelangen. Sie nutzen dabei so genannte digitale Zwillinge, also Simulationsmodelle einer Maschine. Die werden mit Betriebsdaten gefüttert und erlauben so, daraus umgehend weitere Größen zu ermitteln – etwa die Wicklungstemperatur eines Motors, eines Lüfters oder einer Pumpe. Der Einsatz solcher Sensoren war aber bislang nicht trivial, erforderte er doch Kenntnisse zur Modellreduktion und komplexen mathematischen Algorithmen.

Nutzerfreundliche Edge-Computer

Eine neue Entwicklung der Siemens Technology macht es jetzt möglich, diese Simulationsmodelle nutzerfreundlich in Edge-Computer in Kästchen zu packen, die sich direkt an den Maschinen anbringen und ohne größere Schwierigkeiten in Steuersysteme integrieren lassen. So können Betreiber die virtuellen Sensoren nutzen, ohne im Detail ihr kompliziertes mathematisches Innenleben zu verstehen. „Damit können wir in der Fabrik die digitale Infrastruktur jetzt spielend nachrüsten“, sagt Christian Wolf Pozzo, Produktmanager bei Siemens Digital Industries.

So vielseitig einsetzbar sind die digitalen Zwillinge, weil sie ein generalisiertes Motormodell enthalten, mit dem sich rasch individuelle Motortypen generieren lassen. Früher wurde noch jeder Motor einzeln digitalisiert, eine aufwendige Angelegenheit. Jetzt dagegen ist der Weg viel einfacher: Ausgehend von dem Grundmodell lässt sich beim Kunden rasch fast jeder konkrete neue Motor darstellen – allein durch Wahl der Konstruktionsparameter. „Das ist eine gewaltige Vereinfachung, mit der sich die Entwicklung enorm beschleunigt“, sagt Vincent Malik, Mitarbeiter der Gruppe „Simulation und Digitaler Zwilling“ bei Siemens Technology.

Simulation in Echtzeit

Damit die Temperatur in Echtzeit abgenommen werden kann, werden ständig aktuelle Betriebsdaten in das individuelle Digitalmodell des jeweiligen Motors eingespeist: nicht nur vom Umrichter, sondern dem Antriebsstrang, Getriebe, oder Lüfter. Das wiederum ergibt ein dynamisches Prozessmodell, anhand dessen sich dann physikalische Zustandsgrößen wie die Temperatur in Echtzeit extrahieren ­– auch ohne Thermometer vor Ort.

 

Virtuelle Sensoren erlauben so etwa unmittelbar bevorstehende Probleme – wie einen ungeplanten Motorstillstand – vorherzusagen. Und sie dienen nicht zuletzt auch der vorausschauenden Wartung. So sorgen sie für mehr operative Sicherheit, verlängern die Laufzeit von Motoren und senken die Reparaturkosten.

 

Experten erklären

Christian Wolf-Pozzo, Mohamed Khali und Vincent Malik erklären ihr Projekt.

Erstes Pilotprojekt bei einem Reifenhersteller

Und das ist keineswegs nur Theorie: Virtuelle Sensoren im Westentaschenformat werden derzeit bei einem Reifenhersteller für einen Extruder zur Herstellung von Kunststoff als Pilotprojekt eingesetzt. „Wir haben auch schon für den Motor einer Extrudermaschine ein virtuelles Modell“, so Mohamed Khalil, der ebenfalls in der Gruppe „Simulation und Digitaler Zwilling“ arbeitet.  Die Ingenieure nutzen hierfür die ganzen Vorteile der Edge-Computer mit ihren vorhandenen Konnektoren und Strukturen. „Das sind also keine Insellösungen, sondern kombinierbare Elemente wie Legosteine, die man an Maschinen ansteckt.“

 

Mit den virtuellen Sensoren erweitert sich die ursprüngliche Simulation eines Motors jetzt auch erstmals zu einem ‚ausführbaren digitalen Zwilling‘, dem ‚Executable Digital Twin‘, kurz xDT. Dieser enthält nicht nur das Modell eines Motors, sondern auch das aktuelle Prozessgeschehen. So muss sich der Betreiber nur noch darum kümmern, ob der Motor tadellos funktioniert oder es ein Problem gibt. Das komplexe Modell, das im Hintergrund läuft, braucht ihn nicht zu bekümmern.

Autor: Hubertus Breuer, September 2021

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