Schwingungen im Stromnetz beherrschen
Die Energiewende bringt Dynamik in das Stromnetz. In einem nun abgeschlossenen Projekt erforschte Siemens, was Netzleitwarten in Zukunft können müssen, damit die Stromversorgung stabil bleibt.
Von Katrin Nikolaus
Das Stromnetz ist heute viel dynamischer als noch vor 20 Jahren. Grund sind die schwankenden Strommengen aus erneuerbaren Energiequellen und die Vielzahl von neuen hoch dynamischen Betriebsmitteln wie Hochspannungs-Gleichstromübertragungsanlagen (HGÜ). Damit die Leitwarten das Netz besser aussteuern können, brauchen sie neue Assistenzsysteme. Diese wurden in den vergangenen drei Jahren im staatlich geförderten Projekt DynaGridCenter entwickelt und getestet. Siemens führte den Forschungsverbund mit drei Universitäten und zwei Fraunhofer Instituten an.
„So schaffen wir die Energiewende“, sagt Rainer Krebs zufrieden. Der Leiter der Beratungseinheit für Betrieb und Schutz von Stromnetzen in der Division Energy Management von Siemens ist überzeugt, dass die Forschungsergebnisse wesentlich dazu beitragen werden, das Stromnetz in Deutschland in Zukunft stabil und effizient zu betreiben. Die dynamische Leitwarte kann so auch ein zentraler Bestandteil des Aktionsplans Stromnetz werden, der im August 2018 von der Bundesregierung vorgestellt wurde.
Kern des Problems ist heute die ungleichmäßige Lastverteilung im Stromnetz. Sie entsteht durch Überkapazitäten aus den erneuerbaren Energiequellen, die bisher nicht sinnvoll integriert werden können, und durch Schwankungen bei der Einspeisung von vielen kleineren Stromproduzenten. Verbesserte Steuerungs- und Regelungstechniken für die Leitwarten, die das Netz überwachen und aus der Ferne steuern, sind daher unabdingbar. Krebs vergleicht die jetzt entwickelten Programme mit Assistenzsystemen im Auto: „Jedes System für sich genommen verbessert schon die Sicherheit im Netz. Aber durch die Kombination entsteht die dynamische Leitwarte der Zukunft.“ Eine schrittweise Einführung der erforschten Systeme wird über die nächsten Jahre angestrebt.
Besseres Monitoring der Stromnetze
Bereits in der Umsetzung sind die Technologien, die dafür eingesetzt werden, das Netz genauer zu beobachten. So genannte Phasor Measurement Units (PMUs) übermitteln die Höhe und den Phasenwinkel von Strom und Spannung alle 20 Millisekunden. Damit ergänzen sie die bisher im Sekundenbereich übermittelten Messwerte um eine hoch dynmamische Komponente. Die PMUs im Netz sind zeitlich synchronisiert und können so direkt miteinander verglichen werden. So werden unerwünschte Schwingungen und sehr schnelle Übergangsvorgänge im Netz sichtbar. Überprüft werden die neuen Assistenzsysteme in einer Labor-Netzleitwarte, die an der Technischen Universität Ilmenau steht, welche an ein simuliertes Stromnetz, das die Otto-von-Guericke Universität in Magdeburg betreibt gekoppelt ist.
Jedes einzelne System verbessert schon die Sicherheit im Netz. Aber durch die Kombination entsteht die dynamische Leitwarte der Zukunft.
„Bisher können diese gefährlichen, dynamischen Vorgänge im Netz, die zum Blackout führen können, nur mittels präventiver Maßnahmen vermieden werden“, erklärt Krebs. Dafür greifen die Netzbetreiber in die Fahrpläne von Kraftwerken ein, um drohende Engpässe zu verhindern. Dieser so genannte Re-dispatch verursacht Kosten von bis zu einer Milliarde Euro pro Jahr. Einfacher und vor allem günstiger ist es, die Leitungen optimal auszulasten und nur bei Überlastung kurativ einzugreifen. Dies ermöglichen die neuen Monitoring- und Steuerungsprogramme, da sie erstens die gefährlichen Situationen, die bei Überlast entstehen, sichtbar machen und zweitens viel schneller als Menschen die notwendigen Gegenmaßnahmen einleiten können.
Showroom für das Netz der Zukunft
Das Forschungsprojekt habe sehr viele neue Erkenntnisse über den Betrieb der Stromnetze der Zukunft gebracht, erklärt Krebs. Eine der simulierten Trassen ist eine HGÜ-Leitung, die für den Transport des Stroms über weite Strecken eingesetzt wird, beispielsweise von Windparks vor der Küste Norddeutschlands in den Süden. Bereits im Labor sei es beispielsweise schwieriger als erwartet gewesen, die HGÜ-Leitung in das simulierte Stromnetz einzubinden und zu regeln. Alle neuen Assistenzsysteme, die der Forschungsverbund entwickelt hat, können in der Leitwarte der Universität Ilmenau wie in einem Showroom demonstriert werden. Ein Anschlussprojekt namens InnoSys2030 soll jetzt zeigen, ob die Systeme auch in realen Stromnetzen funktionieren. Ein weiteres Folgeprojekt wird dem dynamischen digitalen Zwilling von Stromnetzen gewidmet sein.
24.09.2018
Katrin Nikolaus
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