Smarte Abkühlung

Kältemaschinen machen heiße Sommer erträglicher. Sie könnten aber auch ganzjährig helfen, Energiesysteme zu flexibilisieren. In Zeiten wachsender erneuerbarer Energien ist das von großer Bedeutung. Siemens-Experten erforschen in Berlin, wie sich die Kälteversorgung des größten deutschen Wissenschaftsstandorts optimieren lässt und welches Potenzial in Kältemaschinen in Verbindung mit thermischen Energiespeichern steckt.

 

Ulrich Kreutzer

Dass Klimaanlagen nicht nur die Luft kühlen, sondern auch Stromfresser sind, gerät bei sommerlichen Temperaturen oft in Vergessenheit. Doch die Menge, die sie jährlich an Energie verbrauchen, ist gigantisch. Eine aktuelle Studie der Internationalen Energieagentur (IEA) veranschaulicht das: Bereits heute sind Klimaanlagen für zehn Prozent des weltweiten Energieverbrauchs verantwortlich. Hochrechnungen zeigen, dass sich die Anzahl der Klimaanlagen bis 2050 verdreifachen könnte.

 

Die Optimierung des Betriebs von Kältemaschinen – die ein Teil von Klimaanlagen sind – spielt daher eine wichtige Rolle. Noch wichtiger wird der optimale Betrieb in einer Welt, die immer mehr von erneuerbaren Energien geprägt wird. Denn Wind- und Sonnenstrom, der fluktuierend, also unregelmäßig erzeugt wird, erfordert ein flexibles Energiesystem. Und genau hier können elektrisch betriebene Kältemaschinen helfen, wenn sie mit thermischen Energiespeichern gekoppelt werden. 

Projekt in Berlin Adlershof

Wie das geht, zeigen Forscher von der zentralen Siemens-Forschung Corporate Technology seit dem Frühjahr 2018 in Berlin. In einem BMWi-Förderprojekt untersuchen sie gemeinsam mit Partnern der TU Berlin, der RWTH Aachen und des Zuse-Instituts Berlin, wie sich im Berliner Technologiepark Adlershof, dem größten Wissenschaftsstandort Deutschlands, die Kälteversorgung optimieren lässt. Das Projekt ist Teil der Initiative „Energieeffizienz Berlin Adlershof 2020“, die bis zum Jahr 2020 insgesamt 30 Prozent Primärenergie des Standorts einsparen will.

 

Im Fokus stehen sechs Kältemaschinen sowie ein thermischer Energiespeicher – ein Eisspeicher. Sie liefern die benötigte Kälte für Büros und Labors auf einer Fläche von knapp 20.000 Quadratmetern. Die erzeugte Kälte wird in drei Bereichen benötigt: zur Regulierung der Raumluft, zur Kühlung von Maschinen sowie als Prozesskälte, beispielsweise für die Halbleiterherstellung am Standort.

Zuverlässig, CO2-arm und kostenoptimiert

„Bislang laufen die Kältemaschinen am Standort sehr ineffizient“, erklärt Stefan Langemeyer, Projektleiter von Seiten Corporate Technology. Die sechs Anlagen – jeweils mit einer Leistung von 600 bis 800 Kilowatt – werden in der Regel nach aktuellem Lastbedarf betrieben. Daher arbeiten die Kälteaggregate häufig in einem niedrigen und somit ineffizienten Lastbereich. „Wir entwickeln ein vollautomatisiertes Energiemanagementsystem, um die Kältemaschinen effizienter zu steuern“, erklärt Langemeyer. Ziel ist die zuverlässige Bereitstellung der benötigten Kälte zu möglichst geringen Kosten sowie einem möglichst niedrigen CO2-Footprint. 

„Mit dem Energiemanagementsystem müssen wir komplexe Abhängigkeiten und Wechselwirkungen berücksichtigen“, erklärt Langemeyer. So hängt der ideale Betrieb der Kältemaschine von der Außentemperatur ab – je kälter es draußen ist, desto geringer ist der Strombedarf. Günstig sind natürlich auch Zeiten, in denen der Strompreis ohnehin niedrig ist. In ihrem Energiemanagementsystem berücksichtigen die Experten also, zu welcher Tages- und Jahreszeit sich Kälte am besten erzeugen lässt und stimmen dies auf den Bedarf des Standorts ab.

Allerdings decken sich die Zeiten hoher Nachfrage nicht zwangsläufig mit Zeiten geringer Strompreise und niedriger Außentemperatur. Hier kommt der Eisspeicher ins Spiel, um eine Lastverschiebung zu schaffen: er speichert Kälte in Form von Eis dann, wenn sie nicht gebraucht wird, um sie in Zeiten hoher Nachfrage wieder bereitstellen zu können. Das gelingt mit hoher Effizienz: die Stillstandverluste betragen etwa 0,02% pro Stunde. 

Entscheidend für die Optimierung: vielfältige Messdaten

Grundlage der aktuellen Untersuchungen sind die Ergebnisse des Forschungsprojekts „EnEff: Stadt Energienetz Berlin Adlershof“, das die Experten 2018 abgeschlossen haben. Damals stand die Flexibilisierung des Kältenetzes und der Aufbau der Messinfrastruktur im Vordergrund, also Strommesszähler sowie Kältemengenzähler, die den Betrieb der einzelnen Kältekreise verfolgen können. Herzstück ist der cloudbasierte „Navigator“, ein Tool zur Datenerhebung, das die Siemens-Kollegen von Building Technologies zur Verfügung gestellt haben. Gemessen werden verschiedene Temperaturen, elektrische Leistungen sowie die Kälteleistung des Gesamtsystems. „Diese Daten helfen uns zu identifizieren, mittels welcher Maßnahmen wir das Kältenetz optimiert betreiben können“, sagt Langemeyer. Auch für die Kollegen von Building Technologies sind diese Ergebnisse von großem Interesse. „Sie liefern uns wichtige Anhaltspunkte, wie wir diese Technik künftig in unser Gebäudeautomatisierungsportfolio integrieren können“ erläutert Bruno Illi von Building Technologies.

Standortvorteil Adlershof

Warum haben sich die Forscher genau für den Standort Adlershof entschieden? „Das gesamte Paket passt zu unseren Untersuchungen“, sagt Langemeyer. Der Campus hat eine ausreichende Größe, Kälte wird für verschiedene Zwecke benötigt und ein Eisspeicher zur Lastverschiebung ist vorhanden. „Unter diesen Umständen ist ein intelligentes Energiemanagement besonders attraktiv.“ Damit sind Energieeinsparungen von bis zu 15 Prozent sind realistisch. Der Standort Adlershof dient als Pilotprojekt; die Forschungserkenntnisse wollen die Wissenschaftler später auf andere Gebäude übertragen. So wird aus dem Technologie- und Wissenschaftsstandort gleichzeitig ein Reallabor für die Energiewende. 2019 ist mit ersten Ergebnissen zu rechnen. 

12.12.2018

Ulrich Kreutzer

Picture credits: from top: picture 1: Getty Images

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