Die Zukunft der Mobilität: Mit Sicherheit durch die Schweizer Berge

Die Schweizer Bergbahnen sind weltberühmt. Sie erklimmen Zweitausender und führen durch wunderschöne Landschaften. Was man den Traditionsbahnen nicht ansieht: Sie sind mit moderner Technik von Siemens ausgestattet, mit der ein zuverlässiger Betrieb auch bei widrigsten Wetterbedingungen sichergestellt ist. Dabei sind die technischen Lösungen so vielfältig wie die Bahnen selbst.

 

von Tim Schröder

Wer die Schweiz kennenlernen will, der muss mit dem Zug auf einen Berg fahren. Nicht nur, weil es mehr als 20 Bergbahnen gibt und sie zu einigen der schönsten Gipfel hinaufführen, sondern vor allem, weil sie eine lange Tradition haben. Viele von ihnen sind inzwischen mehr als 100 Jahre alt. Doch trotz ihres Alters sind sie technisch auf dem neuesten Stand, weil sie immer wieder mit State-of-the-Art-Lösungen ausgestattet werden – etwa von Siemens.

Hightech-Positionierung für alte Gleise

Besonders eindrucksvoll ist die rund 130 Jahre alte Pilatus-Bahn, die mit einer Steigung von 48 Grad steilste Zahnradbahn der Welt. Sie legt mehrmals täglich die etwa viereinhalb Kilometer lange Strecke auf den gut 2000 Meter hohen Hausberg von Luzern, den Pilatus, zurück. Für die Nacht werden die acht Waggons an der Bergstation einzeln in die Fahrzeughalle geschoben, um sie dort vor Frost, Schnee und Sturm zu schützen – immerhin ist die Bahn das ganze Jahr über in Betrieb. Da an der Bergstation nur wenig Platz ist, rangiert man die Waggons nicht über Weichen, sondern mit einer Schiebebühne. Mit ihr können die Wagen leicht auf die acht parallelen Abstellgleise in der Halle geschoben werden. Bislang war dieser Vorgang relativ mühsam. Zwar wurde die Bühne mit einem Elektromotor bewegt, das Positionieren aber lief rein mechanisch ab, indem die Bühne vor jedem Abstellgleis in eine kleine Vertiefung einrastete. Die Arbeiter mussten am Gleis stehen, um zu überprüfen, ob sie korrekt sitzt. Dabei mussten sie auch darauf achten, sich beim Verschieben nicht zu verletzten oder die Stromabnehmer zu berühren.

Siemens hat die Schiebebühne jetzt automatisiert – unter anderem mit einer Positionierung, die automatisch und auf 0,1 Millimeter genau arbeitet. Die Herausforderung: Die alte Verschiebemechanik mit den Zahnstangen und dem Einrasten sollte aus Denkmalschutzgründen erhalten bleiben. „Das war für uns Neuland“, erinnert sich Markus Ingold, bei Siemens Produktmanager Antriebstechnik in Zürich. „Normalerweise bauen wir ein Antriebssystem komplett neu, mit dem wir dann eine hohe Präzision einstellen können. Hier aber mussten wir die alte Anlage auf Präzision trimmen.“ Der Aufwand hat sich gelohnt: Die hohe Genauigkeit wird jetzt durch eine SIMATIC S7-1500-CPU erreicht. Diese Steuerung ist mit einem SIMATIC-Touchpanel verbunden, über das die Bühne nun aus der Distanz bedient und beobachtet wird, ohne dass sich die Arbeiter in den Gefahrenbereich begeben müssen.

 

Erleichtert wurde das Projekt dadurch, dass der Antrieb, die präzise Steuerung und das Touchpanel mit dem Siemens-Engineering-Framework TIA-Portal (Totally Integrated Automation) realisiert wurden. „Früher musste man für alle technischen Komponenten die Variablen mehrfach eingeben, was großen Aufwand bedeutete“, sagt Michael Reddich, Produktmanager HMI (Human Machine Interface) bei Siemens Schweiz in Zürich. „Jetzt gibt man die Daten nur einmal ins TIA-Portal ein, wodurch Fehler vermieden werden – nicht nur bei der Pilatus-Bahn, sondern auch in unserem Projekt bei der Rhätischen Bahn.“

Besserer Durchblick mithilfe moderner Visualisierung

Die Rhätische Bahn erstreckt sich über ein Streckennetz von 400 Kilometern in der Ostschweiz und ist vor allem wegen ihrer imposanten Brücken nicht nur Bahnliebhabern bekannt. Die Stromversorgung der Strecke wird bereits seit mehr als 30 Jahren mit einem Siemens-System überwacht. Zuletzt aber gab es Wünsche, die 14 Stationen der Rhätischen Bahn bedienerfreundlicher zu machen. Bislang wurde das Streckennetz dort auf Bedienpulten mit einfachen Strichen und Leuchtdioden dargestellt – in Form einer sogenannten Blindschalttafel. „Für die Überwachung des Streckennetzes wurden nun SIMATIC-HMI-Comfort-Panels mit einer Größe von 19 Zoll implementiert, die sehr viel übersichtlicher sind“, sagt Michael Reddich. Gibt es irgendwo eine Störung, dann leuchtet nicht wie bisher eine kleine Leuchtdiode auf. Stattdessen öffnet sich auf dem Bildschirm ein Alarmfenster mit detaillierten Informationen.

Siemens hat für die Gornergrat Bahn das erste Bahnleitsystem verwirklicht, das in einer Cloud betrieben wird.

Von Vorteil ist auch, dass man am Touchpanel leicht und schnell, zum Beispiel nur mit einer SD-Karte, verschiedene Veränderungen vornehmen kann, die sich durch Erweiterungen im realen Bahnstreckennetz ergeben. Die alte Blindschalttafel ließ sich nicht so einfach anpassen. Ein weiterer Vorteil: Störungsmeldungen im Streckennetz können jetzt sowohl auf dem Comfort-Panel als auch in einer digitalen Datenbank archiviert werden. Früher musste jede Meldung auf Papier notiert werden. Jetzt ist es sogar möglich, die archivierten Daten zu analysieren – etwa für einen jährlichen Zustandsbericht. Zudem können dank des neuen, digitalisierten Bediensystems auch Panel-Informationen über eine sichere VPN-Verbindung auf Smartphones übertragen werden – für eine Überwachung aus der Ferne.

 

Leitwarte in der Cloud

Auch im dritten Bergbahnprojekt geht es um die Fernübertragung von Daten – allerdings in einer ganz anderen Dimension. So hat Siemens für die Gornergrat Bahn, die in der Nähe des Matterhorns den Gornergrat erklimmt, das erste Bahnleitsystem verwirklicht, das in einer Cloud betrieben wird. Bereits seit 20 Jahren steuert und überwacht das Integrale Leit- und Informationssystem „Iltis“ von Siemens den Zugbetrieb der Schweizerischen Bundesbahnen. Mit der neuen Cloudlösung für die Gornergrat Bahn geht es jetzt noch einen Schritt weiter. Die bislang in der Leitwarte in Zermatt erforderliche IT-Infrastruktur und Software entfällt. Stattdessen wird „Iltis“ für die Gornergrat Bahn nun als Siemens-Service in der Cloud betrieben. Für die Bedienung des Leitsystems, mit dem die Strecke überwacht und die Weichen gestellt werden, ist weiterhin der Fahrdienstleiter in Zermatt verantwortlich; die gesamte dahinterliegende Technologie- und Rechnerleistung aber ist im Siemens-Datacenter in Wallisellen installiert. Für den Fall, dass die Datenleitung zwischen Siemens und der Leitwarte einmal unterbrochen wird, gibt es in Zermatt einen Ersatzcomputer, mit dem die Stellwerke hilfsweise bedient werden können.

Sichere Datenverbindung gegen den Totalausfall

Eine sichere Kommunikationsinfrastruktur ist auch bei der Matterhorn-Gotthard-Bahn entscheidend. Für ihr 144 Kilometer langes Schienennetz hat Siemens unlängst ein redundantes Leitsystem für die Überwachung der Stromversorgung realisiert. Vor allem im Winter sind die Belastungen des Stromnetzes enorm – Temperaturen im zweistelligen Minusbereich und hohe Schneewehen haben in der Geschichte der Bahn das ein oder andere Mal bereits die Stromleitungen zerstört. Damit nicht gleich das gesamte Streckennetz stillsteht, braucht es intelligente Lösungen. Zum Streckennetz der Matterhorn-Gotthard-Bahn gehören 44 Stellwerke, die über eine Zentrale überwacht werden. Sie wurden jetzt zu sieben virtuellen Mini-Kommununikationsnetzwerken (LANs) verbunden. Kommt es in einem dieser Netzwerke zu einer Störung, können die anderen sechs weiter betrieben werden. Herz des neuen Netzwerks sind zwei Ruggedcom-Netzwerkknoten (Switches), die die Daten wie ein besonders sicherer Router verwalten und weiterleiten. Diese Router sind robust und unempfindlich gegenüber elektromagnetischen Interferenzen, Erschütterungen oder Vibrationen und Temperaturschwankungen. Sie sind an zwei verschiedenen Orten untergebracht und durch redundante Glasfaserkabel miteinander verbunden. Fällt einer aus, übernimmt der andere die Arbeit für das gesamte Streckennetz allein. So kann die Bergbahn weiterfahren – ganz gleich, ob eisiger Wind durch die Täler pfeift oder Schnee fällt. Wie seit rund 100 Jahren.

16.05.2018

Tim Schröder

Bildquellen: von oben: 1. Bild Steffen Schnur/Moment Editrial/Getty Images; Bildergalerie: Bild 1: perretfoto.ch, Bild 2: Christof Sonderegger/Huber Images, Bild 3: Matterhorn Gotthard Bahn, Bild 4: mauritius images / hanmon / Alamy; 2. Siemens AG, 3. Arno Balzarini/Keystone Schweiz/laif, 4. Matterhorn Gotthard Bahn

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