Smart Cities: Schlau statt Stau

Bengaluru hat den massiven Verkehrsstaus an den innerstädtischen Kreuzungen den Kampf angesagt. Die südindische Millionenmetropole testet zusammen mit Siemens Corporate Technology eine Verkehrsmanagementlösung, die mit Künstlicher Intelligenz arbeitet. Das Ziel der Forscher: ein System, das nicht nur Fahrzeuge in Echtzeit erkennt, sondern auch die Verkehrsdichte abschätzt und die Steuerung von Signalen automatisiert. Die ersten Feldtests hat die Entwicklung bereits erfolgreich bestanden.

 

von Tomonica Chandran

Die Central Silk Board Junction gehört zu den vielen Verkehrskreuzungen im indischen Bengaluru, an denen regelmäßig Verkehrschaos herrscht. Fahrzeuge aller Art und Größe, die aus unterschiedlichen Richtungen auf die Kreuzung zufahren, sorgen für endlose Staus. Damit könnte jedoch bald Schluss sein, denn bei Siemens Corporate Technology entwickelt ein Team von Experten für Deep Learning und Maschinenintelligenz eine moderne Verkehrsmanagementlösung, die die Verkehrsüberwachung und -steuerung umfassend automatisiert. Ein Prototyp wird derzeit am Electronic-City-Campus in Bengaluru, einem der größten IT-Industrieparks Indiens, in Zusammenarbeit mit der Electronics City Industrial Township Authority (ELCITA) getestet. Rama N S,  CEO von ELCITA, ist sich sicher, dass die Lösung das Verkehrsmanagement in Bengaluru deutlich verbessern wird. „Dank unserer Zusammenarbeit mit Siemens werden wir künftig mit Verkehrsinformationen versorgt, die uns vorher nicht zur Verfügung standen. Das wird uns dabei helfen, die Verkehrsströme und das Pendlerverhalten in den Spitzenzeiten und zu verkehrsärmeren Zeiten besser zu verstehen und somit besser managen zu können.“

Dezentraler Aufbau für Verkehrsmanagement in Echtzeit

Vor zwei Jahren haben Expertenteams von Siemens Corporate Technology in Bengaluru und München Verkehrsstaus als Anwendungsfall für Künstliche Intelligenz (KI) und Computer Vision identifiziert und sich vorgenommen, hierfür Entwicklungsmöglichkeiten auszuloten. Bei bisherigen Lösungen werden die Videostreams hunderter Verkehrskameras in einer zentralen Cloud-Umgebung zusammengeführt und dort verarbeitet und überwacht, was zu Problemen mit der Skalierbarkeit führt. Die von Siemens Corporate Technology entwickelte Lösung dagegen wertet die Videostreams mehrerer Verkehrskameras im Umfeld des Electronic-City-Campus dezentral aus, und zwar mithilfe von Deep-Learning-Techniken, die auf Künstlicher Intelligenz basieren. Typische Verkehrsmanagementaufgaben, wie die Erkennung von Fahrzeugen, die Abschätzung der Verkehrsdichte oder die Steuerung von Ampelanlagen können so in Echtzeit, also verzögerungsfrei, und automatisiert bewältigt werden. Falls erforderlich, kann die Lösung aber auch eingesetzt werden, um Videostreams in einer zentralen Cloud-Umgebung auszuwerten, zum Beispiel wenn es darum geht, einen Gesamtüberblick über die Verkehrssituation in der Stadt zu bekommen.

Ob Fußgänger, Motorrad, Pkw oder Bus: Die Lösung wertet das Kamerabild aus und klassifiert die aufgenommenen Objekte - in Echtzeit.

Autonomes Fahren in chaotischen Innenstädten

David Borst vom MindSphere Application Center bei Siemens Mobility beobachtet die Tests in Bengaluru mit großem Interesse. „Je besser wir den Verkehr in seinen Ausprägungen verstehen, desto besser werden wir ihn managen können“, betont Borst. Vinay Sudhakaran, Senior Key Expert bei Siemens Corporate Technology in Indien, sieht auch über das Verkehrsmanagement hinaus Anwendungen. Die Fähigkeit der Algorithmen, auf stark befahrenen Straßen unterschiedliche Fahrzeugtypen zu erkennen, kann beispielsweise für städtebauliche Planungen genutzt werden. „Mit derartigen Deep-Learning-Modellen wird es auch möglich sein, Unfälle zu erkennen, ihre Schwere einzuschätzen und unverzüglich Rettungswagen, Polizei und Feuerwehr zu informieren“, erklärt Vinay. „Die Lösung kann auch Videobeweise von Verkehrsverstößen aufnehmen, die Kennzeichen herausfiltern und automatisch Bußgeldbescheide erstellen. Außerdem stellen die Neuerungen, die hier für die Fahrzeugerkennung entwickelt wurden, autonomes Fahren sogar für chaotische Innenstadtverhältnisse in Aussicht.“

Grüne Welle trotz komplexem Kreuzungsgeflecht

Die Versuche auf dem Electronics-City-Campus sind sehr erfolgsversprechend. Das Team kann die Verkehrsdichte mithilfe der Videostreams einschätzen, die von den Kameras am Teststandort übertragen werden. Jetzt geht es in einer Simulationsumgebung weiter“, sagt Vinay. „Dort wollen wir untersuchen, wie Künstliche Intelligenz dazu beitragen kann, dass die Ampelanlagen in einem Geflecht mehrerer Kreuzungen so gesteuert werden, dass eine grüne Welle erreicht wird. Dafür müssen wir die eingesetzten Deep-Learning-Techniken allerdings noch weiter verbessern.“ So sollen Edge-Geräte, die nur über begrenzte Ressourcen verfügen, künftig in der Lage sein, für die Erkennung von Fahrzeugen und die Steuerung von Signalen Videostreams in Echtzeit zu verarbeiten. Sobald dies funktioniert, wird die Lösung dazu beitragen, dass Autos künftig staufrei über die Kreuzungen fahren können, ohne dass Polizisten dort noch den Verkehr regeln müssen.  „Das Indian Institute of Science wird uns hier unterstützen. Eine entsprechende Partnerschaft haben wir bereits vereinbart“, schließt Vinay ab.  

13.04.2018

Tomonica Chandran

Bildquellen: von oben: 1. Bild gettyimages

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