Die Zukunft der Mobilität: Mehr Platz für die Menschen
Der zunehmende Verkehr sorgt in den Städten weltweit für Probleme, zum Beispiel Staus, schlechte Luftqualität und weniger produktive Ökonomien. Vernetzte autonome Fahrzeuge mit E-Antrieb können Abhilfe schaffen – wenn die Metropolen die richtigen Randbedingungen schaffen.
Nur wenige Erfindungen haben unser Leben so sehr verändert wie das Auto, denn es hat großen Teilen der Gesellschaft erstmals individuelle Mobilität zu erschwinglichen Preisen ermöglicht. Inzwischen machen sich aber auch die Schattenseiten der rund 1,2 Milliarden Fahrzeuge weltweit bemerkbar. Und das vor allem in Städten: Autos brauchen viel Platz, der anderen Verkehrsteilnehmern fehlt und auch nicht für den Bau von Wohnungen, Geschäftshäusern oder Grünanlagen genutzt werden kann. Außerdem sorgen sie regelmäßig für Staus, die großen wirtschaftlichen Schaden anrichten: Allein in London werden sie zwischen 2014 und 2030 zu Belastungen von schätzungsweise 180 Milliarden Dollar führen. Hinzu kommen Emissionen, Smog und Lärm, unter denen die Stadtbewohner leiden – und gegen die sich immer öfter Protest regt. Und schließlich verlieren weltweit jedes Jahr 1,25 Millionen Menschen durch Verkehrsunfälle ihr Leben, viele davon in Städten und die allermeisten wegen menschlicher Fehler.
Von selbst wird sich die Situation nicht verbessern – eher im Gegenteil: Der Trend zur Urbanisierung ist ungebrochen, der Bedarf an individueller Mobilität wird in den Metropolen der Welt also auch in Zukunft stark steigen. Gefragt sind darum neue Verkehrskonzepte, bei denen vernetzte autonome Fahrzeuge (Connected Autonomous Cars, CAV) eine Schlüsselrolle spielen können. CAVs kommen ohne menschlichen Fahrer aus (siehe den Kasten zu den Stufen des automatisierten Fahrens) und sind ständig miteinander und mit ihrer Umgebung vernetzt. Ihre Vorzüge und ihren potenziellen Einfluss untersucht die Siemens-Studie „Cities in the Driving Seat – Connected and Autonomous Vehicles in Urban Development“.
Weniger Staus und Emissionen
Ihre Botschaft ist eindeutig: CAVs ermöglichen eine intelligente Echtzeit-Steuerung des Verkehrs und versprechen darum weniger Staus. So schätzt zum Beispiel die Boston Consulting Group, dass CAVs die Wegezeiten in urbanen Zentren um elf bis 33 Prozent verkürzen könnten. Außerdem machen CAVs weniger Fehler als menschliche Autofahrer (was zu weniger Unfällen führt) und fahren weniger aggressiv (was die Emissionen reduziert). Und schließlich eröffnen sie älteren sowie behinderten Menschen völlig neue Freiheiten. „Blinde und Sehbehinderte könnten von bisher undenkbaren Reisemöglichkeiten profitieren“, sagt Sue Sharp von der Royal Society for Blind Children in Großbritannien. „Man stelle sich vor, wie befreiend es für einen 18-jährigen blinden Mann sein muss, wenn er selbst zu einem Treffen mit seiner Freundin fahren kann, statt dafür auf seine Mutter angewiesen zu sein.“
Technologien allein werden aber nicht ausreichen, um den Verkehr umweltgerechter zu gestalten. Die Städte müssen selbst aktiv werden.
Den größten positiven Einfluss auf das Leben in Städten werden die CAVs aber nur dann haben, wenn sie den zweiten Megatrend im Bereich der Mobilität aufgreifen: elektrische Antriebe. „Das ist entscheidend für das Klima“, sagt Mark Watts, Geschäftsführer der Initiative C40 Cities Climate Leadership Group, in der sich 90 der weltgrößten Städte zusammengeschlossen haben. „Elektrisch betriebene autonome Fahrzeuge können die Treibhausgas-Emissionen in Städten deutlich verringern und dazu beitragen, dass die Krise der Luftqualität in vielen Städten weltweit überwunden wird.“ Die E-Fahrzeuge könnten zudem Teil der smarten Energieinfrastruktur werden und beispielsweise überschüssigen Strom aus Wind und Sonne in ihren Batterien zwischenspeichern.
Neue Rahmenbedingungen für CAVs
Technologien allein werden aber nicht ausreichen, um den Verkehr in den Städten menschen- und umweltgerechter zu gestalten. Die Metropolen müssen selbst aktiv werden, indem sie mit eigenen Flotten elektrisch betriebener CAVs als Vorbild vorangehen und gleichzeitig die richtigen Rahmenbedingungen für den privaten Sektor schaffen. Denn wenn der Besitz eines eigenen Fahrzeugs auch in Zukunft das vorherrschende Mobilitäts-Modell bleibt, werden die Straßen nicht leerer und Parkplätze weiterhin Mangelware bleiben. Nur wenn Autos künftig geteilt werden, wird ihre Zahl spürbar zurückgehen und ihre Nutzung ökonomischer – schließlich stehen die meisten privaten Fahrzeuge heute 95 Prozent der Zeit ungenutzt herum.
Außerdem sollten die Städte dafür sorgen, dass CAVs dem öffentlichen Nahverkehr nicht Konkurrenz machen. Neue Gebührenmodelle für individuelle Fahrten könnten das verhindern – indem sie etwa die Personenzahl in den Autos, die aktuelle Stausituation oder das Fahrtziel als Berechnungsgrundlage nutzen. Wer mit seinem Auto beispielsweise zu einem S-Bahnhof fährt, würde weniger zahlen als derjenige, der die überfüllte Stadtmitte ansteuert. Außerdem kommt es darauf an, den öffentlichen Nahverkehr durch neue Services wie On-Demand-Zubringerdienste zu den Transportknoten attraktiver zu machen. „CAVs sind keine Wunderwaffe, um Emissionen zu verringern oder den Verkehr zu reduzieren“, resümiert Watts. „Aber verbunden mit der richtigen Strategie und den passenden Regulatorien können sie sicher Teil der Lösung sein.“
Städte werden in Zukunft darum neu definieren müssen, was eine effiziente Mobilität auszeichnet. Misst man den Komfort nur aus Sicht der Passagiere im Fahrzeug, oder sollte man nicht auch die Sicht von Fußgängern und Radfahrern miteinbeziehen? Und gehört zum erfolgreichen Einsatz von CAVs nicht auch, dass sie Menschen mit geringem Einkommen und eingeschränkter Mobilität neue Chancen eröffnen? Solche Fragen stellt Camilla Andersen von der Designfirma Arup. Ihre Antwort ist klar: „Ändere die Maßstäbe, und Du änderst die Ergebnisse.“
Siemens integriert CAVs in ein intelligentes Gesamtsystem
Siemens arbeitet bereits seit Jahrzehnten an intelligenten Steuerungssystemen für den Verkehr und hat viel Erfahrung mit autonomen Mobilitätslösungen gesammelt. Und als einer der zehn weltgrößten Softwarekonzerne kann das Unternehmen auch auf zahlreiche Projekte aus diesem Bereich zurückblicken – beispielsweise Verkehrssimulationen und Apps für die Reiseplanung über verschiedene Verkehrsmittel hinweg. Dieses Know-how fließt in die Self Driving Vehicle Suite von Siemens ein: Das System besteht aus einer intelligenten Infrastruktur und Mikroservices im Backend, zum Beispiel für die Verkehrssteuerung, das Flottenmanagement oder die Preisgestaltung. Es kann alle Arten von CAVs integrieren und garantiert eine sichere, effiziente und optimierte Reise.
Wenn die Städte in Zukunft solche Lösungen nutzen, können CAVs ihr großes Versprechen halten: weniger Staus, weniger Emissionen und mehr Raum für die Menschen in der Stadt. Und das ist ganz wörtlich zu verstehen: Würde man in der Region New York öffentlich genutzte CAVs fördern, ließen sich die Parkplätze vor Bahnhöfen als Baugrundstücke nutzen und bis zum Jahr 2040 240.000 Wohnungen zusätzlich schaffen.
31.10.2018
Christian Buck
Bildquellen: All Pictures Shutterstock
2016 hat die Society of Automotive Engineers (SAE) sechs Stufen des automatisierten Fahrens definiert:
- Stufe 0: Keine Unterstützung des Menschen
- Stufe 1: Fahrerassistenz, zum Beispiel Tempomat oder Spurhalteassistent
- Stufe 2: Gelegentliches automatisches Fahren, etwa auf Autobahnen
- Stufe 3: Beschränktes automatisiertes Fahren, wobei das Auto die Kontrolle bei Bedarf an den Menschen zurückgibt
- Stufe 4: Vollautomatisiertes Fahren auf der gesamten Strecke
- Stufe 5: Autonomes Fahren, auch ohne Menschen an Bord
Grundlage für die zunehmende Automatisierung sind Sensoren in den Fahrzeugen – darunter Kameras, Ultraschallsensoren, Radar und Laser-Entfernungsmesser – sowie die Vernetzung der Fahrzeuge untereinander (Vehicle2Vehicle) und mit ihrer Umgebung (Vehicle2Infrastructure). Städte werden am meisten von Fahrzeugen der Stufe 5 profitieren.
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