Frische Luft für die Städte von morgen
Immer mehr Städte sind überfüllt und leiden unter schlechter Luft. Zwei Mobilitätstrends versprechen Besserung: E-Mobilität, kombiniert mit geteilter Nutzung von Fahrzeugen. Eine Siemens-Studie zeigt, wie sehr „Shared eMobility“ die Lebensqualität von Stadtbewohnern verbessern kann.
von Christian Buck
Was für eine Veränderung! Ein mit Bäumen bewachsener Grünstreifen unterteilt den langgezogenen Boulevard, rechts und links davon verlaufen die Spuren für Busse und andere Fahrzeuge mit vielen Passagieren an Bord. Weiter außen ist Platz für elektrisch angetriebene Pkws, Scooter und Rikschas. Fußgänger flanieren auf den großzügigen Gehwegen und machen hin und wieder Halt an den zahlreichen Ständen mit Essen und Getränken. Und alle paar Blocks strömen Passanten in die Eingänge zur neuen Metrolinie, die 2045 eröffnet wurde.
Rund 20 Jahre zuvor hatte das Straßenbild hier noch völlig anders ausgesehen. Auf den überfüllten Straßen herrschte ein verwirrendes Durcheinander aus Autos, Rikschas, Bussen und Fußgängern. Jeder versuchte, irgendwie heil durch das Gewimmel zu kommen. Zu den Stoßzeiten brauchte man gut 50 Prozent mehr Zeit, um ans Ziel zu gelangen. Der Verkehr war aber nicht nur chaotisch und quälend langsam – er war auch lebensgefährlich.
Willkommen in einer „Emerging Economy, High Density City“, irgendwo in den Wachstumsregionen von Asien, Südamerika oder Afrika! Hier leben rund 13.500 Menschen pro Quadratkilometer, dicht gedrängt in winzigen Wohnungen. Die Bevölkerung der City ist von sieben Millionen im Jahr 2018 auf zehn Millionen im Jahr 2050 gewachsen – eine prosperierende und pulsierende Boomtown. Der Aufschwung hatte aber auch Schattenseiten: Die Staus wurden im Lauf der Jahre immer schlimmer, ebenso die Luftverschmutzung und die Kosten, die der Verkehr verursachte. Wie in vielen anderen Metropolen der Welt beschloss man darum auch hier, mit neuen Konzepten gegenzusteuern.
Neue Nutzung öffentlicher Flächen
In ihrer Studie „Powering the Future of Urban Mobility” haben Siemens-Experten untersucht, welchen Einfluss die Kombination zweier Megatrends der Mobilität auf den Verkehr in der Stadt und die Lebensqualität ihrer Bewohner haben könnte– elektrisch angetriebene Fahrzeuge und „Shared Mobility“, bei der sich mehrere Nutzer ein Fahrzeug teilen. Das Ergebnis ist eindeutig: Geteilte Elektromobilität kann das Leben in den Städten besser machen. „Sie verringert die Treibhausgasemissionen, verbessert die Luftqualität, spart Kosten und vermindert den Flächenverbrauch“, sagt Julia Thayne, Direktorin für Innovationen und Technologien für Städte bei Siemens und eine der Autoren der Siemens-Studie. „Außerdem können die Stadtbewohner völlig neu über die Nutzung öffentlicher und privater Flächen nachdenken – vor allem, weil Parkplätze überflüssig und Ladestationen überall verfügbar sein werden.“
Die positiven Auswirkungen der gemeinsamen Nutzung elektrisch betriebener Fahrzeuge wären weltweit zu spüren – in unserer Boomtown ebenso wie in einer „High Income, Low Density“-Stadt (zum Beispiel Los Angeles) oder in einer Metropole, die zur Kategorie „High Income, High Density“ gehört und für die London ein Musterbeispiel ist. Dort stoßen das derzeitige Verkehrssystem und der Immobilienmarkt schon heute an ihre Grenzen – es fehlt schlicht der Platz, um weitere Straßen, Buslinien oder Wohnhäuser zu bauen. Hier kann geteilte Mobilität neue Räume schaffen: In einer Beispielstadt aus der Studie – mit etwas mehr als vier Millionen Einwohnern – ließen sich 2035 schätzungsweise 258.000 neue Wohnungen auf ehemaligen Parkplätzen errichten. 2050 könnten es dann sogar 653.000 sein. Die Umwelt würde ebenfalls von der erwarteten Elektrifizierung privater Fahrzeuge und Busse (60 Prozent) und Carsharing-Autos (90 Prozent) profitieren: Im Idealfall würden die Treibhausgasemissionen aus dem Verkehr bis 2050 auf null und der Ausstoß von Stickoxid (NOx) auf nahe null zurückgehen – verglichen mit einem Szenario ohne Elektrifizierung im Transportbereich.
Die Gleichung ist einfach: Shared eMobility führt zu einer gesünderen Umwelt und zu einer Rückeroberung der Stadt durch ihre Bewohner.
Ganz ähnlich sähe die Bilanz in einer „High Income, Low Density“-Stadt mit knapp unter zwei Millionen Einwohnern aus: In diesem Szenario ließen sich die Treibhausgasemissionen vollständig vermeiden und das Stickoxid in der Luft um bis zu 60 Prozent reduzieren – vorausgesetzt, alle Busse und 60 Prozent der privaten Fahrzeuge werden elektrifiziert. Aufatmen dürften schließlich auch die Bewohner unserer Boomtown: Treibhausgase und Stickoxid aus dem Verkehr könnten im Jahr 2050 auf 10 beziehungsweise 20 Prozent ihres heutigen Wertes sinken. Außerdem wäre 2050 Platz für 660.000 neue Wohnungen.
Shared eMobility lässt sich kurzfristig umsetzen
Die Gleichung ist also einfach: Shared eMobility führt zu einer gesünderen Umwelt (wegen der elektrischen Antriebe) und zu einer Rückeroberung der Stadt durch ihre Bewohner – weil weniger Individualverkehr mehr Raum für die Menschen bedeutet. Kein Wunder also, dass Siemens nach Gesprächen mit Kunden und Partnern auf der ganzen Welt überzeugt ist: Shared eMobility bietet sich als kurzfristig wirksame Lösung für die Verkehrsprobleme von Städten besonders an.
Aber nur, wenn die Verantwortlichen an einem Strang ziehen – zum Beispiel der städtische Stromversorger, die Stadtverwaltungen für Transport und Bau sowie der öffentliche Nahverkehr vor Ort. Sie müssen unter anderem sicherstellen, dass die Investitionen in die Ladeinfrastruktur für geteilte E-Fahrzeuge ausreichen, um diese Form der Mobilität attraktiver zu machen. Und sie müssen schnell handeln: „Zwar haben sich viele Städte langfristige Nachhaltigkeitsziele gesetzt, die erst 2035 oder 2050 greifen – aber unsere Studie hat gezeigt, dass Planung und Investitionen schon jetzt starten müssen“, sagt Thayne. „Wir haben es heute in der Hand, den Verkehr in Städten menschengerechter zu machen. Denn die Zukunft wird das sein, was wir aus ihr machen.“
31.10.2018
Christian Buck
Bildquellen: von oben: from top: 1. Bild gettyimages; 3. gettyimages, 4. Photographer's choice
Abonnieren Sie unseren Newsletter
Bleiben Sie auf dem Laufenden: Alles was Sie über Elektrifizierung, Automatisierung und Digitalisierung wissen müssen.