Vertrauen Sie nicht aufs Copyright!
„Alles, was nicht patentiert ist, kann nachgeahmt werden!“
Innovationen, die in Software stecken, können – und sollten – durch Patente geschützt werden. Beat Weibel, Chef der Siemens Patentabteilung, spricht über die Besonderheiten von Softwareerfindungen im Patentwesen und weitverbreitete Irrtümer.
Sie sind seit 2013 Chef der Siemens Patentabteilung – Wie würden Sie ganz knapp Ihre Arbeit beschreiben?
Aus Ideen entstehen Innovationen und daraus Wettbewerbsvorteile. Ohne hochwertigen Patentschutz allerdings können Wettbewerber die gewonnenen Ergebnisse und Erkenntnisse einfach so benutzen und der Vorteil geht schnell verloren. Deshalb steht im Fokus unserer Arbeit die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit von Siemens durch die Schaffung und das Management des weltweiten Schutzrechtsportfolios, dazu gehören Patente, Marken- und Namensrechte, Designs, Urheberrechte und Domain Names. Unsere Strategie zielt darauf ab, den durch die Innovation in einer Anwendung erreichten Geschäftserfolg weltweit zu schützen. Das gelingt am besten, wenn wir dicht an den Forschenden dran sind. Das ist der Schlüssel für ein Patentportfolio, das sich nicht nur durch schiere Größe, sondern vor allem durch hohe Qualität auszeichnet.
Lassen Sie uns über Software reden, schließlich gehört Siemens zu den führenden zehn Softwareunternehmen der Welt. Software ist ein Schlüssel für unsere Innovationen, sie erzeugt immer öfter den eigentlichen Kundennutzen. Aber oft heißt es, Patente könnten Software nicht schützen. Eigentlich müsste doch auch schon das Copyright ausreichend schützen, oder?
Das ist ein weitverbreiteter Irrtum! Alles, was nicht patentiert ist, kann nachgeahmt oder nachgearbeitet werden. Ein Copyright schützt den von einem Autor verfassten Text. Im Fall von Software sind das in Programmiersprache verfasste Quell- oder Maschinencodes. Aber vor dem Schreiben des Codes steht die geistige Leistung, ein Problem auf eine bestimmte Art zu lösen. Das kann ein neuer oder ein besonders effizienter Algorithmus sein, ein neues KI-Verfahren oder das Erfassen einer neuen Kenngröße. Und genau diese Funktion, das eigentlich Wertvolle in der Software, ist durch das Copyright nicht geschützt.
Unseren Wettbewerb können wir mit dem Copyright nicht daran hindern, alternativen Programmcode mit der gleichen innovativen Funktion zu erstellen. Die Funktion können wir nur mit einem Patent schützen. Anders ausgedrückt können Patente das WAS und WIE einer Softwarefunktion schützen, während ein Copyright lediglich Text oder den Code einer Software schützt. Die Kombination beider Mechanismen bietet den umfassendsten Schutz.
Software kann viel schneller entwickelt werden als Hardware. Der Trend geht in Richtung agile Softwareentwicklung und rapid Prototyping. Viele haben den Eindruck, dass Patente nichts nützen, weil der Lebenszyklus eines Computerprogramms sehr kurz ist.
Dieser Eindruck ist zum Teil nicht von der Hand zu weisen. Aber es geht uns um den Schutz innovativer Funktionen in der Software und nicht kurzlebiger Codes. Eine gute Softwarefunktion hat Bestand über mehrere Softwaregenerationen, eine herausragende Funktionalität kann Produkte über einen langen Zeitraum hinweg differenzieren. Diese schützenswerten Ideen müssen wir finden und patentieren.
Ist es nicht sehr schwierig, Verletzungen von Software-Patenten nachzuweisen? Auch die – potenziell geklaute – Software des Wettbewerbers ist ja oftmals Maschinencode, der gut verborgen in der Hardware integriert abläuft. Wie kann man erkennen, dass so ein Code geschützte Funktionen nutzt, ohne den Programmcode zu kennen?
Viele softwarebasierte Funktionen sind offen sichtbar. Um beispielsweise die Verletzung eines Patents betreffend eine graphische Benutzerschnittstelle nachzuweisen, wird der Programmcode gar nicht benötigt. Aber auch wenn wir nachweisen müssen, dass ein Programm eine patentierte Funktion implementiert, gibt es Möglichkeiten: Oft ist der Sourcecode offen zugänglich, und Analysesoftware kann bereits heute Korrelationen zwischen Softwarecodes aufspüren, also automatisiert feststellen, ob eine Fremdsoftware auffallend ähnlich arbeitet, wie unsere geschützte Funktion. Zudem werden die Werkzeuge zur Analyse von Software ständig verbessert. Wir gehen davon aus, dass jede Software innerhalb von etwa zwölf Monaten rückübersetzt, analysiert und geprüft werden kann.
Open Source ist das Gegenstück zu Copyright. Auch Siemens nutzt und erstellt Open Source Software. Wie stehen Sie dazu?
Beide Modelle haben ihre Vorteile. Wir sind begeistert von Open-Source-Software, nutzen sie häufig und tragen zur Realisierung der entsprechenden Projekte auch bei. Das funktioniert prima überall dort, wo wenig Wettbewerb herrscht, oder auch dort wo wir als Teil eines Ökosystems andere explizit dazu einladen wollen, mit unseren Standards und Verfahren zu arbeiten. Aber wir möchten vermeiden, dass eine proprietäre Software, die zu entwickeln uns viel Zeit und Geld gekostet hat, zum Bestandteil einer Open-Source-Software wird.
Die Herausforderung liegt also darin, rechtzeitig zu erkennen, welche Funktionen so bedeutend, sind, dass sie als geistiges Eigentum durch ein Patent geschützt werden sollten?
Genau, Zeit ist dabei der entscheidende Faktor. Ich motiviere unsere Erfinder und Patentanwälte stets, bereits im sehr frühen Stadium von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten zusammenzuarbeiten, damit wir gemeinsam den besten Schutzmechanismus anwenden können. Es ist wichtig, dass die Erfinder uns mit einbeziehen, wenn sie für ein Projekt etwas Neues erschaffen oder ältere Komponenten auf neuartige Weise kombinieren.
Jeder muss wissen: Alles, was nicht patentiert ist, kann nachgeahmt werden!
Andreas Müller, Februar 2021
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