Autonome Systeme: Labor der neuen Ideen
Hightech Open Innovation im Herzen Münchens: Mit seinem AI Lab stellt Siemens einen Coworking-Space zur Verfügung, in dem Experten die Machbarkeit neuer Ideen beim Top-Thema Künstliche Intelligenz untersuchen. Hier arbeitet die zentrale Siemens-Forschung eng mit den Business Units des Unternehmens und auch externen Ideengebern zusammen.
von Sandra Zistl
Die Sitzgruppen großzügig verteilt, darin Menschen in angeregter Unterhaltung, Tablets vor sich, auf manchen Knien ein Laptop; dahinter Fenster, die den Blick über den weltbekannten Münchner Viktualienmarkt freigeben und viel Licht hereinlassen: Wer die Räumlichkeiten des Coworking-Space betritt, in den sich die Forschungs- und Entwicklungsabteilung Corporate Technology (CT) von Siemens mit ihrem „AI Lab“ eingemietet hat, wird erfasst von einer offenen und frischen Atmosphäre, die automatisch zu Kreativität anregt – wie bei einem Start-up, im wahrsten Sinne fernab des Tagesgeschäfts.
Dreh- und Angelpunkt für AI-Lösungen von morgen
Und über den Dingen dieses „Daily Business“ soll ja auch stehen, was Siemens-Mitarbeiter, die an Künstlicher Intelligenz (KI) forschen, hier bei minimaler Ablenkung und maximaler Konzentration erarbeiten. „Das AI Lab ist der neue kreative Dreh- und Angelpunkt für Projekte, die zu zukünftigen KI-basierten Lösungen für die Industrie führen sollen“, erklärt Michael May, Leiter der Company Core Technology (CCT) Datenanalyse und Artificial Intelligence. „Hier können sich Menschen mit neuen Ideen gegenseitig beflügeln.“
Was im Lab passiert, ist dabei keinesfalls abgehoben. Im Gegenteil, es ist ganz bewusst nah an den Interessen der Geschäftseinheiten von Siemens angesiedelt. „Wir streben die Technologieführerschaft für industrielle Anwendungen im Bereich Datenanalyse und Künstliche Intelligenz an.“, bekräftigt Norbert Gaus, Leiter der Forschung und Entwicklung in den Bereichen Digitalisierung und Automatisierung bei Siemens. „Ich bin überzeugt, dass die entscheidenden Impulse dafür auch aus dem AI Lab kommen werden.“
Bei der offiziellen Eröffnung des Lab Mitte November wurde diese Erwartung bereits erfüllt. Vor rund hundert Teilnehmern zeigten AI Lab-Experten unterschiedlicher Siemens-Geschäftsfelder ihre frisch entwickelten Prototypen für zukünftige KI-Einsatzfelder. So wurde beispielsweise eine prototypische App mit Namen Digital Supplier Management Companion entwickelt, die die Effektivität im Einkauf (Supply Chain Management) steigert. Eine der beim Einkauf relevanten Positionen ist die des Lieferantenmanagers. Der App-Prototyp hilft ihm, seine Aufgaben automatisiert, anhand von 30 inhärenten Kriterien, zu priorisieren. „Wir haben das AI Lab bewusst erst nach einem Monat offiziell eröffnet, damit wir nicht nur vollmundige Ankündigungen machen, sondern schon etwas vorzuweisen haben“, erzählt Ulli Waltinger, Technologischer Leiter des Lab und Leiter einer Forschungsgruppe der Corporate Technology. „Die ersten Wochen im Lab haben gezeigt, dass diese Form der fokussierten Co-Creation von Geschäft und Entwicklungsabteilung sehr schnell zu Ergebnissen führt, die den vagen Begriff der AI konkret machen und Prozesse verbessern – sei es in der Fertigung, der Medizintechnik oder bei Verwaltungsaufgaben.“
Dass das Thema Künstliche Intelligenz als das geschäftsgenerierende Zukunftsding schlechthin zu betrachten ist, bestätigen all jene, die die Entwicklungen weltweit beobachten. „Der Businessplan der nächsten 10.000 Start-ups weltweit ist leicht zu prognostizieren“, sagt beispielsweise Andy Goldstein, CEO der German Entrepreneurship GmbH, einem der externen Partner des Siemens AI Lab: „Nehmen Sie eine beliebige Idee und packen Sie KI dazu.“ Aber auch andere Großkonzerne – zuletzt Microsoft mit seinem Projekt „Microsoft Research AI“ (MSR AI) – setzen wie Siemens auf neue, bereichsübergreifende Einheiten, die frische Ideen generieren sollen.
Kleine Think Tanks für fokussiertes Arbeiten
In den beiden Arbeitsräumen in München, in denen Siemens solche Ideen entwickelt, schaffen Glaswände einen abgegrenzten Raum mit Tischen, Stühlen, Whiteboards – ideal, um sich gemeinsam in Ideen zu vertiefen. „Hier kann man für zwei Tage oder eine Woche vollkommen fokussiert an einem Thema arbeiten, eine Hypothese schnell validieren“, erläutert Benno Blumoser, Leiter des Bereichs Innovation des Lab. „Im Bereich der KI wird gerade über eine Fülle an möglichen Use Cases nachgedacht. Wir liefern das Umfeld dafür, schnell und mit wenig Aufwand den Hype vom Trend abzugrenzen.“ Den Charme des AI Lab erklärt Ulli Waltinger so: „Nicht die Corporate Technology allein erstellt etwas und bietet es an, sondern wir schließen uns mit den Geschäftseinheiten zusammen, und sie sind es auch, die nach Abschluss einer Projektphase pitchen.“ Das könne ein Ergebnis sein oder auch schlicht ein Lerneffekt, der einen weiterbringe. „Dieser Raum, in dem man interdisziplinär zusammenarbeitet, ohne starre Strukturen, aber mit Techniken, die die Kreativität steigern, erweitert den Horizont.“
Markus Zechel, Projektmanager des Siemens Supply Chain Managements, hat das AI Lab als „inspirierende Räumlichkeiten“ erlebt. Was den Unterschied zum Tagesgeschäft ausmache, sei das angebotene Netzwerk. „Neben dem Coaching von Benno Blumoser und der fundierten AI-Expertise der CT-Kollegen Ariane Sutor und Arthur Schmid kamen wir auch in den Genuss eines eigens für das Projekt engagierten externen Profis für die sehr bereichernde Kreativitätstechnik Value Proposition Design.“ Ähnlich sieht es auch Peter Dodell, der bei Siemens Controlling and Finance im Bereich Prozessintegration und Organisationsentwicklung arbeitet und der einer der ersten Nutzes des AI Lab war: „Es war eine tolle Erfahrung, einen Prototypen im Lab zu entwickeln. Ohne das Umfeld und das Team des Lab wäre dies nicht möglich gewesen.“ Das interdisziplinäre Team habe mit einem Chatbot-Prototypen evaluiert, ob vorhandene Informationen noch leichter zugänglich gemacht werden können. Dieser Prototyp sei im Rahmen des Lab-Projektes entstanden und unterstütze den Nutzer auf Basis semantischer Analysen dabei, die richtigen Informationen zu finden.
Open Innovation bei AI
Ein weiterer Aspekt des AI Lab ist es, Akteure außerhalb von Siemens zu finden. „Wir suchen uns externe Player aus, die besonders gut zu bestimmten Projekten passen“, sagt Blumoser. Diese Kooperation soll auch dazu führen, dass peu à peu eine lebendige AI-Community entsteht, die sich austauscht und gegenseitig Anregungen liefert. Teil dieser Gemeinschaft ist bereits die in München sitzende German Entrepreneurship GmbH, die sich auf den Aufbau von Innovationsinfrastruktur zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Start-ups spezialisiert hat. Aber auch die Technische Universität (TU) München ist Partner, aktuell im Rahmen ihrer „Applied AI“-Initiative, die Firmen aus dem südbayerischen Raum eine Plattform für Projekte und einen Pool an Experten bietet. „Wir sehen den Raum München als globalen Hotspot für industrielle AI mit einem regen AI-Ökosystem“, sagt Benno Blumoser. „Hier trifft sich ein interdisziplinäres Netzwerk mit der notwendigen AI-Kompetenz, dem Geschäftsverständnis und der unternehmerischen Energie, um aus den besten Ideen erfolgversprechende Innovationen zu machen. Wir freuen uns, dass wir als aktiver Partner dieses Zukunftsfeld entscheidend mitgestalten können.“
07.12.2017
Von Sandra Zistl
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