Mit Computerhilfe zur besten Therapie
Die Medizin steht an einem Wendepunkt: Künstliche Intelligenz wird Ärzte schon in wenigen Jahren bei der Diagnose und der Therapieplanung entscheidend unterstützen. Patienten profitieren von personalisierten Ansätzen und einer besseren Versorgungsqualität.
Immer detaillierter können Mediziner heute mit bildgebenden Verfahren wie Ultraschall oder Computertomographie (CT) in den menschlichen Körper hineinsehen. Hinzu kommen präzise Aussagen über den Zustand von Patienten, wie sie Blutuntersuchungen, histologische Befunde und neuerdings vermehrt auch genetische Analysen liefern. Grundsätzlich sind das vielversprechende Entwicklungen, die eine bessere und vor allem personalisierte Behandlung von Patienten versprechen. Die Flut von Daten hat aber auch eine Kehrseite: Es wird für Ärzte immer schwieriger, den Überblick zu behalten und ihren Patienten die optimale Therapie auf Basis der neuesten medizinischen Erkenntnisse vorzuschlagen – zum Beispiel in der Kardiologie, wo die Zahl der Fälle ebenso steigt wie der Umfang der Diagnosedaten und das Wissen über Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten.
Permanentes Lernen aus Patientendaten
Gefragt sind darum Systeme, die aus den großen Datenmengen präzise Informationen über den Zustand des Patienten ableiten und vielversprechende Therapieoptionen vorschlagen können – und so die Mediziner entlasten. „Wir brauchen nicht mehr Ärzte, sondern intelligente Lösungen“, sagt der Kardiologe Ronak Rajani vom Kings College in London. Und zwar Lösungen, die im Lauf der Zeit immer besser werden, indem sie aus den Behandlungsergebnissen permanent lernen. Und das gilt nicht nur für die Kardiologie – auch andere Gebiete wie etwa die Krebsbehandlung können davon profitieren, mit Computerhilfe Patientendaten zu integrieren und analysieren, um zu intelligenteren Entscheidungen zu kommen. Zum Beispiel bei der Behandlung von Lungenkrebs: „Wir haben es mit einer Flut von Daten zu tun“, berichtet Bram Stieltjes vom Universitätsspital Basel. Allerdings sei die Interpretation von PET-Aufnahmen (Positronen Emissions Tomographie) zeitaufwändig und fehleranfällig. Abhilfe könnte ein automatisches Bewertungssystem schaffen, das unter anderem die PET-Bilder analysiert und dem Benutzer automatisch Berichte zur Verfügung stellt.
Gefragt sind Systeme, die aus den großen Datenmengen präzise Informationen über den Zustand des Patienten ableiten können.
Maschinelles Lernen imitiert den Menschen
Möglich werden solche Systeme durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) in der Medizin. Dahinter steht die Idee, mit Computern typisch menschliche Fähigkeiten wie etwa das Lernen zu imitieren (maschinelles Lernen). Schon seit den 50er-Jahren arbeiten Forscher daran, diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen, und in der jüngeren Vergangenheit haben sie dabei spektakuläre Erfolge erzielt. So gehören KI-basierte Sprachassistenten bereits heute zum Alltag, und bald werden uns autonome Fahrzeuge mit Hilfe künstlicher Intelligenz und ganz ohne menschlichen Eingriff zum Ziel bringen. In der Medizin hat der Einsatz von KI ebenfalls schon für Schlagzeilen gesorgt: Im Mai berichteten beispielsweise Forscher von der Universität Heidelberg, dass ein Computerprogramm schwarzen Hautkrebs besser erkennen kann als 58 Hautärzte aus 17 verschiedenen Ländern.
Siemens Healthineers beschäftigt sich schon seit den 90er-Jahren mit dem maschinellen Lernen und besitzt mittlerweile mehr als 400 Patente auf diesem Gebiet. Dass sich KI gerade jetzt anschickt, die Medizin zu verändern, hat zwei Gründe: Dank des Mooreschen Gesetzes steigt die Rechenleistung von Computern weiterhin exponentiell an, so dass sich die komplexen KI-Algorithmen mittlerweile kostengünstig in medizinisches Gerät integrieren lassen. Zudem stehen dank der durchgehenden Digitalisierung im Gesundheitsbereich inzwischen gewaltige Datenmengen zur Verfügung, aus denen die KI lernen und Schlüsse ziehen kann. Allerdings müssen die Daten zum Trainieren der Algorithmen zuerst von Menschen aufbereitet werden – von Top-Spezialisten, die Befunde analysieren und mit Zusatzinformationen anreichern (annotieren). Dafür arbeitet Siemens Healthineers mit den besten medizinischen Experten weltweit zusammen. So profitieren Ärzte und ihre Patienten rund um den Globus vom Wissen der beteiligten Spitzenmediziner.
Siemens Healthineers beschäftigt sich seit den 90er-Jahren mit dem maschinellen Lernen und besitzt mehr als 400 Patente auf dem Gebiet.
Neuronale Netzwerke lernen aus Trainingsdaten
Besonders attraktiv ist der Einsatz des maschinellen Lernens in der Bildgebung. Hier spielt das „Deep Learning“ die Hauptrolle, wobei ein Computerprogramm die Arbeit des menschlichen Gehirns imitiert: Eine äußere Schicht von künstlichen Nervenzellen nimmt die Eingabedaten (zum Beispiel CT-Aufnahmen) entgegen und leitet sie an innere Schichten von Neuronen weiter – bis das Ergebnis der Datenverarbeitung (etwa die Identifikation eines Tumors) an der Ausgabeschicht abgerufen werden kann. Wie genau das Netzwerk das bewerkstelligen kann, lernt es anhand von Trainingsdaten: Am Eingang werden ihm Daten präsentiert, deren Interpretation bereits bekannt ist. Schrittweise passt es seine interne Vernetzung dann so an, dass es zu den gleichen Ergebnissen kommt. Ist dieser Lernprozess abgeschlossen, liefert das neuronale Netzwerk auch bei neuen Daten die korrekte Interpretation. Alleine in diesem Bereich verfügt Siemens Healthineers über mehr als 80 Patente.
Bei der Analyse von Bildern gehen die verschiedenen Schichten des neuronalen Netzwerks – ähnlich wie das menschliche Gehirn – schrittweise vor: Zuerst erkennen sie fundamentale Eigenschaften wie Ecken oder Kanten, danach identifizieren sie komplexere Muster und am Ende komplette Objekte. Siemens Healthineers hat beispielsweise für seine 3D-Diagnosesoftware syngo.via den Algorithmus ALPHA (Automatic Landmarking and Parsing of Human Anatomy) entwickelt, der automatisch anatomische Strukturen erkennt und Rückenwirbel sowie Rippen selbstständig durchnummeriert. Auch im Ultraschall-Gerät „ACUSON S2000 Prime“ steckt bereits künstliche Intelligenz: Die integrierte Software erkennt automatisch die Bestandteile der Herzklappen (zum Beispiel das Segel und den Rand) und weist den Benutzer auf Probleme hin – etwa wenn die Herzklappe nicht richtig schließt. Zudem liefert der Algorithmus bis zu 80 Messwerte, aus denen sich Informationen über Größe und Form einer passenden Ersatzklappe gewinnen lassen.
Auch bei der Planung von Herzoperationen nutzt Siemens Healthineers bereits KI-Methoden. Die Software „CT TAVI Planning“ kommt zum Einsatz, wenn ein Patient eine neue Aortenklappe braucht. Aus CT-Aufnahmen des Brustkorbes extrahiert sie automatisch die Aorta und lässt andere Körperstrukturen unberücksichtigt. Zudem erzeugt sie aus den einzelnen CT-Schnittbildern eine dreidimensionale Darstellung der Hauptschlagader, die Kalkablagerungen im Gewebe sichtbar macht. Mit diesen Informationen können die Ärzte vor einem minimalinvasiven Eingriff (Transcatheter Aortic Valve Implantation, TAVI) präzise bestimmen, welcher Typ von Ersatzklappe am besten geeignet ist, wo sie am besten platziert werden sollte sowie welche Größe und Form sie haben muss.
Trotz KI: Der Arzt bleibt unersetzlich
„Unsere Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten sind von KI-Technologien durchdrungen“, sagt Walter Märzendorfer, Leiter Diagnostic Imaging bei Siemens Healthineers. Für ihn bietet die Sammlung und Analyse von Patientendaten die Chance, für jeden individuellen Patienten die beste Therapie zu finden. Auch andere Experten sehen viel Potenzial: Nach einer Umfrage der Zeitschrift „The Economist“ aus dem Jahr 2017 glauben 54 Prozent der Führungskräfte im Medizinbereich, dass die Bedeutung der KI bei der Unterstützung von Therapieentscheidungen in den kommenden fünf Jahren erheblich zunehmen wird. Dabei sind sich alle Experten aber auch in einem anderen Punkt einig: Künstliche Intelligenz wird den Arzt in Zukunft zwar unterstützen, kann ihn aber niemals ersetzen.
09.08.2018
Christian Buck
Bildquellen: von Oben: 1. shutterstock; 2. Hannover Medial School; 3. gettyimages
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