Jobmotor - und kein Jobkiller 

Montageroboter, die selbstständig Anlagen bauen, ohne dafür programmiert worden zu sein. Sich selbst optimierende Fertigungsstrecken in Fabriken. Züge oder Windturbinen, die Wartungsarbeiten reklamieren auf Basis von Betriebsdaten und Künstlicher Intelligenz (KI), die ihr Verhalten besser voraussagen kann als die Ingenieure, die sie entwickelt und gebaut haben. Dass sich die Arbeitswelt mit dem Einzug von KI weiter verändern wird, steht außer Frage. Ein Gastbeitrag von Roland Busch, Chief Technology Officer der Siemens AG.

 

von Roland Busch

Diese Entwicklung ist eine Chance, wenn wir Ideen haben, wie wir sie positiv gestalten und KI zum Jobmotor machen. Dass sich die Arbeitswelt mit dem Einzug von KI weiter verändern wird, steht außer Frage. Prognosen führender Marktforschungsunternehmen beschreiben einhellig den Trend, dass die meisten Tätigkeiten zu bis zu 50 Prozent aus Aufgaben bestehen, die automatisierbar sind. Das bedeutet: Maschinen könnten sie erledigen und das sogar besser und schneller als der Mensch. Das bedeutet aber auch: Von diesen Fleißaufgaben befreit, haben wir mehr Raum, die so gewonnenen Ergebnisse zu beurteilen, Kunden oder Patienten zu beraten oder die Fähigkeiten unserer Mitarbeiter zu erkennen und zu fördern.

Kein "Mensch versus Maschine"

Mensch versus Maschine, diese Angstdebatte ist deshalb fehl am Platz. Wer genau hinsieht, erkennt schon jetzt eine andere Entwicklung. Die Veränderung hat ja bereits begonnen. Schon heute versucht die deutsche Industrie sich gegenseitig die Talente abzuwerben, die das Verständnis ursprünglich getrennter Disziplinen zusammenbringen: Datenwissenschaftler, die zusätzlich physikalisches oder Ingenieurwissen mitbringen beispielsweise. Denn nur sie sind in der Lage, das Datenwissen, das KI etwa über einen Zug liefert, in die Realität zu übersetzen. Ein Beispiel: Ein Bahnbetreiber erhält eine direkte Handlungsanweisung, bei welchem Triebwagen innerhalb welcher Zeit welches Teil getauscht werden muss. In diese Aussage sind bereits vorausschauende Wartung, Risikoanalyse, Wissen um die Verfügbarkeit eines Ersatzteils, wie auch die gesetzlichen Bedingungen des Landes, in dem der Zug fährt, eingeflossen. Nur der Mensch hat die Fähigkeit, die zu Grunde liegenden Erkenntnisse aus der digitalen Welt in die reale zu übersetzen.

Deshalb sind und werden wir auch nach wie vor auf handwerkliche Leistungen angewiesen sein – wenn sie auf Höchstniveau erbracht werden. Bei der Herstellung und Instandhaltung der Lokomotiven in unserem Werk in Allach leisten Mechaniker und Schweißer Präzisionsarbeit auf den Zehntelmillimeter genau. Die Verfügbarkeit der Züge können wir nur garantieren, wenn diese Jobs von Profis gemacht werden.

Aktuell passieren drei Entwicklungen parallel: Neue Jobs entstehen, andere werden weniger benötigt, viele verändern sich.

Aktuell passieren drei Entwicklungen parallel: Neue Jobs entstehen, andere werden weniger benötigt, viele verändern sich. Damit die Bilanz durch den Einsatz von KI positiv ausfällt, müssen Unternehmen – vom Konzern, über den Mittelstand bis zum Handwerker – KI breit einsetzen können. Ich spreche hier von Industrieller KI, also der Kombination von KI mit Domänenwissen. Unser Ziel ist der digitale Kumpel, „Digital Companion“, der als eine Art Intelligenzverstärker des Menschen agiert. Diese Art von KI, die uns Menschen unterstützt, muss breit zugänglich werden. Investieren müssen wir aber nicht nur in Forschung und Entwicklung, sondern auch in Training. In Kindergärten, Schulen und Universitäten müssen diese Kompetenzen gefördert werden.

Industrielle KI kann die Industrie 4.0 auf die nächste Stufe heben 

Damit die aktuelle industrielle Revolution zu Gunsten der Industrienationen – wie etwa Deutschland – verläuft und wir wettbewerbsfähig bleiben, bedarf es einer Anstrengung der Industrie gemeinsam mit Politik, Wissenschaft und Sozialpartnern, ähnlich wie bei der erfolgreichen deutschen Initiative Industrie 4.0. Diese ist heute weltweit ein Begriff und wird künftig durch künstliche Intelligenz noch aufgewertet, weil diese Technologie alles durchdringen wird, ob IT, Produktion, den Betrieb von Anlagen, die Produkte selbst oder Dienstleistungen. Industrielle KI kann die Industrie 4.0 auf die nächste Stufe heben. Sie kann die industrielle Stärke von Ländern wie Deutschland erhalten. Anders als KI für die Konsumgüterindustrie, die heute vor allem von US- und chinesischen Konzernen dominiert wird. Kürzlich habe ich in einem Artikel in der Wirtschaftswoche diesen Weg Deutschland empfohlen.

KI wird entscheidend sein für die weitere Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts

In der kleingeistig geführten Angstdebatte rund um KI kommt aber ein Aspekt zu kurz: KI wird entscheidend sein für die weitere Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts. Das weltweite Wachstum von durchschnittlich 3,5 Prozent pro Jahr steht aufgrund demografischer Entwicklungen in absehbarer Zeit vor dem Ende. Die Wirtschaftssysteme müssen sich transformieren. Das kann mit Hilfe von KI-Technologien gelingen und mit einer Erwerbsbevölkerung, deren Tätigkeiten nicht in erster Linie arbeitsintensiv sind, sondern „skill-intensive“, wie es im Englischen heißt: Wertschöpfung erfolgt durch Qualifikation und Produktivität

 

Wer sich in dieser Welt behaupten will, muss seine Ökonomie fit machen. Prognosen führender Marktforscher decken sich in der Einschätzung, dass KI-Technologien – richtig und konsequent eingesetzt – das Zeug dazu haben, das Bruttoinlandsprodukt von Volkswirtschaften wie Deutschland zu steigern. Mit Industrie 4.0 haben wir die digitale Transformation erfolgreich begonnen. Mit Industrieller KI können wir sie jetzt auf eine völlig neue Stufe heben.

27.07.2018

Roland Busch

Bildquellen: von oben: 1. Getty Images, 4. Getty Images 

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