Von Datenmassen zu einfachen Regeln
Symbolische Regression mit künstlicher Intelligenz
Ein innovatives Künstliches Intelligenz Verfahren hilft dabei, komplexe Zusammenhänge besser zu verstehen und in einfachen Gleichungen zu beschreiben. Die Betreiber von Maschinen und Anlagen können davon profitieren und effizienter werden.
Autofahrer wissen es: Durch vorausschauende Fahrweise lässt sich viel Sprit sparen. Schon ein paar einfache Regeln – etwa: langsam beschleunigen, vor der Kurve das Gas wegnehmen, Hangabtriebskraft und Motorbremse nutzen – helfen und man muss deutlich seltener zur Tankstelle fahren.
„Für fast alle Maschinen und Anlagen – auch die, die automatisiert gesteuert werden – gilt das Gleiche: Wenn sie richtig und vorrausschauend betrieben werden, arbeiten sie deutlich effizienter. Hier zu investieren lohnt sich. Meistens bringt es mehr, die Bedienung einer Anlage zu optimieren als die Anlage selbst zu verbessern, da die Optimierung der Hardware Komponenten oft schon ausgereizt ist.“, erklärt Dirk Hartmann von Technology, der zentralen Forschungseinheit von Siemens. „Natürlich ist es möglich, optimale Steuerungen zu entwickeln, z.B. mit Model Predictive Control (MPC). Die Algorithmen sind allerdings so rechenaufwändig, dass sie auf üblichen einfachen Steuereinheiten (PLCs - programmable logic controller) kaum realisiert werden können. Um dennoch solche Steuerungen verbessern zu können, brauchen wir folglich Verfahren, die weniger komplex sind – zum Beispiel: eine regelbasierte Steuerung.“
Gute Regeln finden – an der Komplexitätsgrenze der Informatik
„Steuern mit Regeln“ heißt: Klar definierte Regeln legen fest, wie eine Steuerung bei einem konkreten Zustand reagieren sollen – die Steuerungen arbeiten also prinzipiell so, wie der vorausschauende Autofahrer im Eingangsbeispiel.
„Maschinen und Anlagen, die mit guten Regeln gesteuert werden, sind tatsächlich sehr effizient. Allerdings müssen wir für eine beliebige Maschine oder Anlage diese guten Regeln erstmal finden“, sagt Hartmann. „Bislang ging das nur manuell, zum Beispiel indem Experten MPC Steuerungen analysiert haben, was natürlich sehr komplex ist. Wir sind jetzt einen Schritt weiter gegangen und haben ein Verfahren entwickelt, dass diese Regeln automatisiert findet. Etwas technischer formuliert: Wir können aus unseren Zielen, z.B. Energie sparen, und den Betriebsdaten, die uns eine Anlage liefert – also den relevanten Kenngrößen, wie etwa Temperatur, Zeit, Geschwindigkeit, Energieverbrauch – Funktionen ableiten, die festlegen, welche Aktionen bei einem konkreten Systemzustand ausgeführt werden müssen."
Mathematiker nennen dieses „Funktionen finden auf der Basis von Daten“ „symbolische Regression“ – Programmierer „eine gewaltige Herausforderung“. Denn die symbolische Regression im allgemeinen Fall mit beliebigen Daten, ist ein sogenanntes NP-schweres Problem, also ein Problem, das so rechenaufwändig ist, dass auch die leistungsfähigsten Systeme in akzeptabler Zeit keine Lösungen finden. NP-schwere Probleme lassen sich nur lösen, wenn es gelingt, das Ausgangsproblem geeignet zu vereinfachen und so die Rechenkomplexität zu senken.
AI Feynman
„Für unsere Zwecke konnten wir so eine Vereinfachung finden“, erklärt Hartmann. „Der entscheidende Impuls kam durch die aktuellen Forschungsergebnisse von Max Tegmark.
Dem Wissenschaftler Max Tegmark war aufgefallen, dass die mathematischen Zusammenhänge von voneinander abhängigen physikalischen Größen typisch und oft recht einfach sind – in seiner Arbeit beschreibt er etwa als typisches Merkmal Symmetrien oder Polynome kleinen Grades. Sein Künstlicher-Intelligenz-Algorithmus zur symbolischen Regression, der AI Feynman, macht sich diese Eigenschaft zunutze, indem er gezielt nach diesen typischen Merkmalen sucht. Dabei war er sehr erfolgreich und konnte mit seinem Verfahren alle Formeln, die im beliebten Physik Standardwerk „The Feynman Lectures on Physics“ von Richard Feynman vorgestellt werden, aus Daten ableiten.
„Auch die Zustandsdaten der Maschinen und Anlagen, die wir steuern wollen, beschreiben physikalische Größen, die miteinander wechselwirken“, erklärt Hartmann. „Insofern konnten wir auf Tegmarks Verfahren zur symbolischen Regression aufsetzen und daraus unser Ansatz entwickeln, den wir jetzt in Pilotprojekten testen.“
Optimales Steuern
Etwa in einem Beispiel von Digital Industries, das sich nochmal mit Autofahren beschäftigt und nach Regeln sucht, wie ein autonom gesteuertes Fahrzeug optimal fährt. „Wir haben im Modell ein Auto (ego) nachgebildet, das auf einer zweispurigen Straße fährt. Das Auto, darf zu keinem Zeitpunkt zu dicht auf andere Fahrzeuge auffahren, oder die Straße verlassen. Gleichzeitig soll es mit möglichst konstanter Geschwindigkeit – also ohne starkes Beschleunigen oder Abbremsen – vorankommen“, erklärt Theo Papadopoulos. „Bekannt ist zu jedem Zeitpunkt nur, wie schnell das Auto gerade fährt, wie weit es von anderen Autos entfernt ist und wo der Straßenrand ist. In diesem Beispiel hat unser Verfahren bestens funktioniert. Die regelbasierte Steuerung lieferte fast identische Regelungsimpulse wie die – optimale aber rechenaufwändige – MPC-Steuerung. Wir sind zuversichtlich, dass sich diese Ergebnisse auf andere, ähnlich einfache Szenarien übertragen lassen."
Regeln fürs Microgrid
In einem zweiten Pilotprojekt wurde das regelbasierte Verfahren zur Steuerung von Microgrids eingesetzt. In Microgrids müssen typischerweise unterschiedliche Stromerzeuger und Speichermedien, wie Photovoltaik, Wind, Batterie, Dieselgenerator, Brennstoffzelle, Elektrolyseur usw. koordiniert werden. „Es stellt sich immer die Frage, welcher Erzeugermix zu jedem Zeitpunkt optimal ist“, sagt Ulrich Münz von Siemens Technology in Princeton.
„Unser Bürogebäude in Princeton ist ein gutes Beispiel für so ein Microgrid: Es ist mit einer Photovoltaikanlage, Batteriespeichern, und Ladestationen für Elektroautos ausgestattet und wird gleichzeitig noch vom öffentlichen Stromnetz versorgt. Unser Ziel ist es, die Komponenten so zu steuern, dass wir möglichst wenig Energie beziehen und gleichzeitig den Spitzenverbrauch senken. In Princeton ist ein hoher Anteil der Stromrechnung vom Spitzenverbrauch der letzten zwölf Monate abhängig, für eine einzelne hohe Lastspitze, muss man also ein ganzes Jahr bezahlen."
Wie muss sich also eine Steuerung verhalten, um die Spitzenlast zu minimieren? Ein komplexes Problem, denn das Optimum hängt von unsicheren Größen ab, also wie viel Strom die Photovoltaikanlage in den kommenden Stunden einspeisen wird, bzw. wie hoch der Strombedarf in dieser Zeit sein wird. Weil einige Größen nur geschätzt werden können, ist es nur mit sehr großem Aufwand möglich, mit den klassischen Verfahren wie der Modellprädiktiven Regelung eine perfekte Steuerung für die Anlage zu finden. Daher suchen die Forscher in Princeton jetzt mit dem neuen Verfahren nach Regeln, die die geschätzte PV Einspeisung, die geschätzte Last, deren Unsicherheiten, und den Ladezustand der Batterie berücksichtigen. Erste Ergebnisse zeigen, dass das Verfahren für Microgrids angewendet werden kann und gute Resultate erzielt. Im nächsten Schritt soll das Verfahren mit Daten aus dem Microgrid in Princeton verbessert und validiert werden. „Wenn das erfolgreich ist, wollen wir die Regeln auf unser Microgrid anwenden indem wir sie im Siemens Microgrid Controller implementieren,“ erklärt Münz.
Aenne Barnard, Oktober 2020
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