Teamwork für Maschinen
Gewaltiges Potential: Das Forschungsprojekt „Collaborative Embedded Systems“ unter Beteiligung von Siemens lotet eine Zukunft aus, in der Maschinen flexibel auf ihre Umwelt reagieren – und mit ihr kooperieren. Es wäre ein Meilenstein – vor allem für die Industrie und die Energieversorgung.
Das Siemens-Elektronikwerk im bayrischen Amberg gilt als Vorzeigefabrik für digitale Produktion. Simatic-Steuerungen für Industrieanlagen entstehen dort in einem fast vollautomatisierten Fertigungsprozess. Barcodes teilen den Maschinen ständig mit, um welche Bauteile es sich handelt und welche Produktionsschritte als Nächstes nötig sind. Rund 12 Millionen Simatic-Produkte entstehen so jedes Jahr.
Doch dabei bleibt die Entwicklung nicht stehen. Heute arbeiten Computerwissenschaftler und Experten für Maschinenbau längst an einer erweiterten Vision, in der Fabriken nicht nur digitalisiert und weitgehend automatisiert laufen, sondern flexibel agieren. Der Plan: Produktionsanlagen mit integrierten Prozessoren – sogenannte eingebettete Systeme – in die Lage zu versetzen, selbst auf unvorhergesehene Veränderungen intelligent zu reagieren, ohne den Produktionsprozess zu stören.
Das Potential ist gewaltig: Weit über 90 Prozent aller Prozessoren arbeiten heute nicht in Computern, sondern als eingebettete Systeme.
Und das betrifft nicht nur Fabriken. Im Rahmen des vom deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Zukunftsprojekts „Collaborative Embedded Systems“ (CrESt) arbeitet ein Konsortium seit 2017 daran, auch den Verkehr und die Energieerzeugung mittels eingebetteter Systeme in die Lage zu versetzen, sich neuen Situationen – unter anderem mithilfe von Simulationen – intelligent und schnell anzupassen. Das Potential ist gewaltig: Weit über 90 Prozent aller Prozessoren arbeiten heute nicht in Computern, sondern in unterschiedlichsten Geräten und Maschinen als eingebettete Systeme – von Fabriken über Kameras, medizinische Geräte oder Fahrzeuge bis hin zu Telekommunikationsnetzen.
23 Partner, ein Ziel: flexibel reagierende Systeme
Entsprechend mannigfaltig sind die Partner des CrESt-Vorhabens. Zwölf Forschungseinrichtungen wie die Technische Universität München oder die Fraunhofer-Gesellschaft und elf Unternehmen, darunter Siemens, Bosch oder der Experte für Fahrzeugtechnologien FEV, gehören dazu. „Wir schaffen mithilfe innovativer Systemarchitekturen Grundlagen, die es ermöglichen, eingebettete Systeme künftig flexibler – bis hin zur Autonomie – agieren zu lassen“, sagt Lothar Borrmann, Informatikexperte bei Siemens und Industriesprecher des Steuerkreises CrESt. „Für Fabriken ist das Ziel, dass die Maschinen eigenständiger agieren, wenn ein Produktionsauftrag kommt, ein Bauteil ausfällt oder neue Maschinen in die Anlage integriert werden.“
Eingebettete Systeme, etwa in Fabriken, sollen also lernen, mit sich verändernden Bedingungen umzugehen. Das bedeutet, dass sie nicht nur ihre eigenen Ziele kennen müssen, sondern auch ihre Umgebung und dort die Aktionen anderer Maschinen. Mit Letzteren können sie sich natürlich auch vernetzen. Damit gerät für die Forscher auch das Gesamtsystem ins Blickfeld – zusammen mit der Frage, wie dieses optimiert werden kann. Autonome Fahrzeuge beispielsweise können sich auf den Straßen in Zukunft so vernetzen, dass ein ruhiger Verkehrsfluss möglich wird. Auch das ist ein Anwendungsfall, an dem im Rahmen von CrESt geforscht wird.
Die Umgebung im Blick – auch auf der CEBIT
Das Ziel, intelligent zu agieren, gilt auch für einen mobilen Roboter der Berliner Firma InSystems Automation, der auf der CEBIT in Hannover Prospekte verteilt – und sich merkt, wo in der Halle er bereits Flyer an Messebesucher gebracht hat. In einer Fabrik können solche Roboter etwa einen besseren Materialfluss zwischen Lager, Maschinen, Arbeitsplätzen und Versand ermöglichen. „Dabei bedenken wir natürlich stets auch die Sicherheit – denn mit zunehmender Unabhängigkeit und steter Anpassung der Maschinen müssen wir garantieren, dass keine Gefährdung von ihnen ausgeht“, sagt die Informatikerin Birthe Böhm, die bei Siemens Corporate Technology an CrESt mitarbeitet.
Ein Meilenstein für Smart Grids
Siemens bringt aber noch eine andere Art der Sicherheit in das CrESt-Projekt ein: die Sicherheit der Energieversorgung. Das Stromangebot der Zukunft wird zunehmend von einem Netz erneuerbarer Energiequellen wie Wind und Sonne anstatt von zentralen Kraftwerken getragen. Deshalb braucht es Stromnetze, die Fluktuationen ausgleichen können und intelligent den Strombedarf und das vorhandene Angebot aussteuern. Gibt es beispielsweise ein Überangebot, könnte der überschüssige Strom automatisch in Energiespeicher oder Batterien von Elektroautos fließen und so das Netz entlasten. „Das geht nur“, sagt Borrmann, „wenn die Systeme wie in einer Fabrik oder im Verkehr miteinander kooperieren. Systemarchitekturen, wie wir sie im Rahmen von CrESt entwickeln, werden uns dabei helfen.“
15.06.2018
Hubertus Breuer
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