Vielseitig wie Lego...

... aber nicht für Kinder: Eine Forschungsabteilung für intelligente Leistungselektronik von Siemens Corporate Technology ist dabei, den Umrichter weiterzuentwickeln. „Software Defined Inverter“ heißt das Zauberwort, mit dem Elektronik leistungsstärker und vor allem flexibler werden soll. Die Anwendungsgebiete erstrecken sich von Robotik über eCar-Anwendungen bis zum Heimspeichersystem.

 

Von Hubertus Breuer

 

Ohne Umrichter läuft in unserer Welt nichts. Seien es Ladestationen für E-Autos oder elektrische Antriebe für Roboter und Drohnen: sie alle benötigen die zur Leistungselektronik zählenden Bauteile, um effizient und präzise zu funktionieren. Denn die Umrichter passen in Sekundenbruchteilen Frequenz und Spannung wunschgemäß an. „Die zunehmende Digitalisierung der Stromversorgung elektrischer Geräte und das Internet der Dinge sorgen dafür, dass die Bedeutung der Leistungselektronik noch weiterwächst,“ sagt Andreas Gröger von Siemens Corporate Technology in Erlangen. „Damit sind wir bei Siemens mit der Entwicklung am Puls der Zeit.“

 

In den letzten 20 Jahren hat die Leistungselektronik große Sprünge gemacht. Umrichter sind heute in der Lage, extrem schnell zu schalten; sie arbeiten verzerrungsarm, verfügen dank innovativer Materialien über eine effiziente Wärmeabfuhr und sind beeindruckend platzsparend. Das eröffnet neue Möglichkeiten, etwa für den flexiblen Einsatz von Robotern oder für die dezentrale Energieversorgung der Zukunft.

Innovatives Halbleitermaterial Galliumnitrid: Hin zu kleineren und effizienteren Modulen

Deshalb hat Siemens 2016 eine heute von Gröger geleitete Forschungsabteilung für Leistungselektronik und softwaredefinierte Umrichter („Software Defined Inverter“ oder auch SDI) ins Leben gerufen, die unter anderem mit Universitäten weltweit und Partnerunternehmen wie Texas Instruments kooperiert. Die SDI-Experten kommen ursprünglich aus Siemens-Divisionen wie Digital Factory, Energy Management oder Process Industries and Drives sowie aus ausgesuchten internationalen Talentschmieden, was die Vielfalt der technologischen Herausforderungen und die Bandbreite möglicher Anwendungen widerspiegelt. Dank agiler Arbeitsmethoden, bei denen die Gruppe eng mit Geschäftseinheiten von Siemens zusammenarbeitet, verfolgt das inzwischen über 80-köpfige Team kurze Innovationszyklen für marktfähige Produkte.

 

Eine der wichtigsten Neuerungen für die neue Umrichter-Generation ist neben ihrer IoT-Fähigkeit das Halbleitermaterial Galliumnitrid (GaN), das kleinere und effizientere Bauelemente ermöglicht. Bislang nutzen Umrichter vor allem Silizium – robust, bewährt, ausgereift. Obwohl GaN ein geringeres Leistungsspektrum hat, kann es bei erheblich höheren Schaltfrequenzen mit geringeren Durchlass- und Schaltverlusten arbeiten. Noch ist GaN etwas teurer als Silizium, doch die Perspektiven sind positiv. Das Material benötigt bei der Herstellung der Halbleiter-Wafern weniger Fläche, was langfristig die Kosten unter die von Silizium drücken sollte.

Eine neue Anwendungsplattform: CACTUS

Zusätzlich helfen schnelle Signalprozessoren und spezielle Filterkomponenten, die Leistung von GaN auszureizen. SDI hat eine schlanke Anwendungsplattform namens CACTUS („Control And Converter Technologies for Universal Systems“) entwickelt, die auf dem cloudbasierten Open-Source-System FreeRTOS für das Internet der Dinge fußt. CACTUS bietet die Möglichkeit, Geräte einfach miteinander zu verbinden. Vor allem aber erlaubt CACTUS in Verbindung mit leistungsfähiger GaN-Hardware, universelle Umrichter verschiedensten Anwendungen anzupassen. Dank der Cloud geht das kinderleicht: „Stellen Sie sich vor, Sie laden CACTUS auf einen Temperatursensor“, sagt Gröger, „dann können Sie online auf einer Engineering-Plattform die graphisch dargestellte Anwendung für Temperaturmessung mit der Funktion zusammenführen, die die Messdaten auf dem Smartphone anzeigt. Ein ähnliches Prinzip nutzt Lego Mindstorms; das setzen wir gerade für die Leistungselektronik um.“

 

Die Vielseitigkeit der Softwareanwendungen stellte die Forschungsabteilung in Erlangen erstmals durch die Entwicklung von „Tapas“ unter Beweis – dem weltweit ersten durch Software definierten Universalumrichter. Das 48-Volt-Gerät hat eine 10- bis 50-mal höhere Dynamik und ist deutlich kleiner als vergleichbare Umrichter. Damit ist es etwa geeignet für die Robotik, wo bei hoher Geschwindigkeit hohe Genauigkeit benötigt wird. Die Anwendungen gehen natürlich darüber hinaus und umfassen beispielsweise auch 3D-Druck, LED- und Lasertechnik.

Partnerschaften mit enormem Potential

Weil die Vielfalt der Anwendungsmöglichkeiten für „Tapas“ zu groß ist, als dass Siemens sie allein ausschöpfen könnte, hat das Unternehmen Anfang 2018 die sogenannte TAPAS Community Challenge ins Leben gerufen. Hier konnten Entwickler aus ganz Europa um die beste Idee für „Tapas“ wetteifern. Im Rahmen des bis Ende Juli 2018 dauernden Wettbewerbs wurden vielversprechende Systeme entwickelt, etwa ein drahtloses Ladegerät für Batterien, ein Modul zum Aufbau eines lokalen Microgrids oder eine Magnetsteuerung zum Bewegen beispielsweise eines Bohrers im Katheter durch den Magen-Darm-Trakt. All das ermöglichte erst die auf die jeweilige Aufgabe zugeschnittene Software.

 

Bei „Tapas“ bleibt die Forschung natürlich nicht stehen. Auf der Münchner Weltleitmesse Electronica demonstrierte Siemens im November 2018 gemeinsam mit Texas Instruments einen IoT-fähigen 400-Volt-Umrichter namens „Gridlink“, bei dem der Strom in beide Richtungen fließt – beispielsweise für Ladestationen, die Fahrzeuge aus dem Netz betanken oder Strom aus der Batterie ins Netz speisen. „Für industrielle Anwendungen kooperieren wir gerne mit Partnern“, sagt Gröger. „Wie uns interessiert gerade auch Halbleiterhersteller, , welche Applikationen sich mithilfe innovativer Umrichter-Technologie entwickeln lassen. Das ergänzt sich optimal mit unserem Software- und Anwendungs-Know-how.”

2018-11-16

Hubertus Breuer

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