Wege durchs Lizenzdickicht
Nicht nur bei Google, Apple oder SAP, sondern auch bei Konzernen wie Siemens arbeiten tausende Softwareingenieure an Programmen, mit denen Geräte, Systeme und Maschinen erst effizient arbeiten können. Dabei investieren sie ihre Zeit nicht nur in Siemens-Software, sondern sie engagieren sich auch in der Welt der Open Source Software. Dort schaffen sie in einem globalen Kollektiv kreativer Programmierer leistungsstarke Programme sowie zukunftsfähige Standards und Verfahren. Doch bislang fehlte ein Programm, das diese Softwarekomponenten übersichtlich und vollständig katalogisiert. Siemens Corporate Technology ändert das.
Hubertus Breuer
Nicht alles, was frei verfügbar ist, ist zwangsläufig kostenlos. So bot der Software-Konzern Oracle seine Freeware Java, mit der sich digitale Anwendungen entwickeln und betreiben lassen, lange umsonst an. Seit 2019 jedoch sind für Unternehmen Lizenzgebühren fällig. Eine kostspielige Überraschung. Denn da sich das mittlerweile breit genutzte Java nicht ohne weiteres ersetzen lässt, bleibt den meisten kaum etwas anderes übrig, als zu zahlen.
Doch wie lässt sich eine solche missliche Lage künftig vermeiden? Die erforderliche Software ausschließlich selbst zu programmieren, ist selbst für einen Großkonzern wie Siemens, der über 20.000 Softwareentwickler beschäftigt, keine Option. Zu groß wäre der Aufwand angesichts all der benötigten Programme für Energieversorgung, Industrieautomatisierung, Mobilitätssysteme oder Infrastruktur.
Stattdessen bedienen sich die Softwareentwickler von Siemens regelmäßig bei sogenannten offenen Computerprogrammen – ein Prinzip, das vor allem durch das Betriebssystem Linux bekannt ist. Diese Open Source Software (OSS), entwickelt von kreativen Programmierern weltweit, ist kostenlos, industrieneutral und allgegenwärtig. Sie ermöglicht Marktteilnehmern, effizient zu kooperieren. Die Idee dahinter ist so einfach wie clever: Je mehr Akteure ihr Wissen in eine Softwareplattform einspeisen, desto effizienter können alle Nutzer der Plattform die verschiedensten Aufgaben erledigen. Ein Erfolgsmodell: Quelloffene Programme bilden heute das Rückgrat des Internets, sie halten Supercomputer und Roboterfabriken am Laufen und treiben Prozessoren in Haushaltsgeräten oder auch Fahrzeugen an.
Wege durchs Dickicht
Nicht zuletzt deshalb engagieren sich große Unternehmen maßgeblich für OSS – neben Siemens unter anderem die Software-Giganten Google, SAP, Apple und Microsoft. Dabei verlieren Firmen ihr Eigeninteresse zu keiner Zeit aus den Augen, wenn sie zu diesem Vorhaben Zeit und Geld beitragen. Denn sie können auf der Basis von OSS-Plattformen und mit OSS-Komponenten ihre eigenen Innovationen schneller und robuster entwickeln.
Doch das bringt eine Herausforderung mit sich – denn selbst in der OSS-Welt ist keineswegs alles erlaubt. Mit jeder Software gehen von den jeweiligen Entwicklern festgelegte Lizenzen einher, die vorgeben, wie man diese Software nutzen darf. So gibt es Lizenzen, die bestimmen, dass allen Nutzern der Quellcode auch nach Änderungen verfügbar gemacht werden muss, während andere beispielsweise regeln, dass bestimmte Hinweise in der Produktdokumentation erwähnt werden müssen. Zudem kommt es vor, dass eine Open Source Software andere OSS-Komponenten enthält, für die aber andere Lizenzbestimmungen gelten. „Da ist es schwer, den Überblick zu behalten“, sagt Oliver Fendt, Senior Manager Open Source Software bei der zentralen Siemens-Forschung Corporate Technology. „Den braucht man aber, will man das gesamte Innovationspotential von OSS für ein Unternehmen nutzen.“
Große Unternehmen engagieren sich maßgeblich für OSS – neben Siemens auch die Software-Giganten Google, SAP, Apple und Microsoft.
Doch wie soll man dann wissen, welche relevante Software es gibt und welche Einschränkungen damit einhergehen? „In einer Softwarekomponente allein können etliche Lizenzen festlegen, wie sie genutzt werden darf“, erklärt Fendt. Sich in dem Dickicht zurechtzufinden ist nicht trivial, denn es gibt kein zentrales Verzeichnis aller Softwarekomponenten und ihrer Lizenzen. Wird Software ungeprüft eingesetzt, führt das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu Lizenz- und auch zu Urheberrechtsverletzungen. Dann ist womöglich bald die Rechtsabteilung mit dem Fall beschäftigt – und am Ende können einem Unternehmen Millionenzahlungen drohen.
Im Handumdrehen den Überblick
Benötigt wird somit ein Programm, das erlaubt, schnell zu erfassen, welche Einschränkungen und sonstigen Auflagen es für den Einsatz einer Software gibt. „Deshalb haben wir uns entschlossen, selbst die Software für ein solches Verzeichnis zu entwickeln“, sagt Fendts Kollege Michael C. Jaeger, ebenfalls OSS-Experte bei Corporate Technology und Leiter des 2014 gestarteten, SW360 genannten OSS-Projekts.
In SW360 findet sich eine Liste der Softwarekomponenten, die bei Siemens im Einsatz sind oder für den Gebrauch zumindest bereits geprüft wurden, egal ob sie OSS sind oder von einem kommerziellen Drittanbieter stammen. Die Liste enthält alle Nutzungsrechte und -pflichten eines Programms und die Angabe, mit welchen Lizenzen diese wiederum kompatibel sind. Will ein Softwareentwickler also eine bestimmte Softwarekomponente nutzen – oder erst einmal nachsehen, was bei Siemens wo bereits genutzt wird –, steht ihm eine Suchmaske zur Verfügung, die ihm wie bei einer Datenbank die entsprechende Information im Handumdrehen liefert. So kann er von vornherein Probleme vermeiden, die sich aus den Lizenzauflagen ergeben könnten. Gleichzeitig erlaubt der Katalog auch zu überprüfen, ob aktuellere Versionen einer Software verfügbar sind und ob es bekannte Schwachstellen gibt.
Hilfsmittel für alle
SW360 hat Siemens aber keineswegs für nur sich allein entwickelt. Da das Unternehmen erkannt hat, dass ein einfach zu nutzendes Programm zur Auflistung von Lizenzrechten generell fehlt, hat Siemens SW360 selbst als Open Source Software entwickelt. Heute findet sich SW360 nominell unter dem Dach der Eclipse Foundation, neben der Linux Foundation eine der wichtigsten Organisationen für die Weiterentwicklung von OSS-Software.
Das Programm ist somit auch für andere Firmen verfügbar. Attraktiv ist es nicht nur, um etwaige Lizenzkosten zu sparen. Da der Programmcode jedem Unternehmen zur Verfügung steht, kann es die Software den eigenen Kriterien wunschgemäß anpassen. Bosch beispielsweise hat den Vorzug des Projekts erkannt und 40 Prozent des Quellcodes beigetragen, gestaltet die Funktionalität von SW360 also zentral mit. Andere Firmen und externe Entwickler steuern ebenfalls etwas bei. „Das ist für Bosch kein Verlust, im Gegenteil, denn Programme dieser Art gehören nicht zu ihren kommerziellen Produkten“, sagt Jaeger. „SW360 ist ein Hilfsmittel, von dem alle profitieren können.“
29.01.2019
Hubertus Breuer
Picture credits: Von oben: 1. Bild Getty Images, 2. Bild Getty Images/Hoxton, 3. Bild Shutterstock/spainter_vfx
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