Von Masse zu Klasse
Der Biermarkt differenziert sich aus. Brauereien und Anlagenhersteller suchen gemeinsam nach Lösungen für die neuen Herausforderungen.
Vor einiger Zeit ging die Geschichte von zwei Managern der deutschen Internetschmiede Rocket Internet durch die Medien, die in einem Berliner Hinterhof ihre eigene Craft Brewery gegründet haben: 1000 Hektoliter wollten sie mit ihrer Marke „Berliner Berg“ im Stadtviertel Neukölln 2016 brauen. Die jungen Internetpioniere hatten genug von virtuellen Erfolgen, sie sehnten sich nach echtem Handwerk mit einem realen Endprodukt. Mit ihrem Werbespruch „Für mehr Vielfalt beim Bier“ sammelten sie per Crowdfunding über 50.000 Euro für die Anfangsinvestitionen ein. Drei Jahre später ist die eigene Brauerei in Betrieb, neben Lager, Bantam Pils, Pale Ale, California Wheat Ale und Berliner Weisse werden saisonale und limitierte Sondersude gebraut. Ist das die Zukunft des Bierbrauens in Deutschland? Kleine Größen, effizient und flexibel produziert - häufig dank digitalen Lösungen? (Mehr Informationen zur raschen Anpassung an neue Marksituationen und Kundenwünsche finden Sie hier).
Craftbrauereien weltweit auf dem Vormarsch
Auf den ersten Blick scheint es, als könnten die Brauereien nicht klagen: Von knapp 1,5 Milliarden Hektolitern im Jahr 2003 ist die weltweite Produktion inzwischen bei fast zwei Milliarden Hektolitern angekommen. Aber das Wachstum stagniert, nicht nur in den "traditionellen" Bierregionen Europa und USA, sondern inzwischen auch in China. Bis 2013 war das Land mit zweistelligen Zuwachszahlen der Wachstumsmotor der weltweiten Bierproduktion, aber von über einer halben Milliarde Hektoliter ist die Produktion auf etwa 470 Millionen gefallen.
Gerade in Deutschland ist der Markt schon seit Jahren gesättigt: Der Bierkonsum stagniert laut statistischem Bundesamt seit Jahren zwischen 106 und 110 Litern pro Kopf, die Produktion bei etwa 95 Millionen Hektolitern, über 1400 Brauereien kämpfen hart um Marktanteile. 2017 mit seinem kühlen Sommer war ein rabenschwarzes Jahr für die Produzenten, der Jahrhundertsommer 2018, das zeigen schon die Zahlen des ersten Halbjahres, wird den Konsum aber wieder nach oben treiben.
Hinzu kommt nun noch der Trend der Craft Breweries und Mikrobrauereien wie „Berliner Berg“, die den Größeren Marktanteile streitig machen. Der Trend stammt aus den USA (lesen Sie hier mehr über eine kanadische Mikrobrauerei), könnte aber auch in Deutschland den Markt verändern: In den Regalen deutscher Supermärkte stehen nun Biersorten für 2,50 Euro pro halbem Liter, manche Edelsorten wie etwa „Sylter Hopfen“ kosten über 20 Euro. Josef Fontaine, Geschäftsführer der Versuchs- und Lehranstalt für Brauerei in Berlin (VLB), erkennt zwar in Deutschland eine erfreuliche Imagesteigerung für Bier – Bierliebhaber lassen sich neuerdings in Kursen zu „Biersommeliers“ ausbilden – mahnt aber zur Vorsicht bei den Prognosen: „Die Verbraucher sind interessiert an neuen Biersorten, insbesondere an regionalen. Aber ob sie bereit sind, deutlich höhere Preise dafür zu bezahlen, lässt sich noch nicht sagen.“ Einige kleinere Craft-Brauereien hätten sich zwar etabliert, aber ihr Anteil an der Gesamtproduktion sei mit 0,05 Prozent noch immer verschwindend gering.
Vor mehr als drei Jahrzehnten setzte Siemens mit dem Braumat den Standard für die Prozesskontrollsysteme, und in den meisten Brauereien sorgt das System heute für eine sichere und qualitativ stabile Produktion. Aber das alleine reicht nicht mehr, um in reifen Märkten wie dem deutschen zu bestehen. „Der Preisdruck des Einzelhandels macht den Produzenten zu schaffen. Und nach der Dürre in diesem Jahr werden wir 2019 bedeutend höhere Rohstoffkosten haben“, weiß Fontaine von der VLB. Gleichzeitig entstünden den Brauereien zusätzliche Kosten, weil sie auf das veränderte Konsumverhalten mit einer Erweiterung der Produktpalette reagieren müssten. Gerade der Anteil von alkoholfreien Bieren (6%) und Biermischgetränken (3%) wachse beständig.
Die Brauereien erweitern ihre Produktion mit saisonalen Biersorten und Biermischgetränken, müssen dafür aber kleinere Sude produzieren. Doch wie lässt sich sicherstellen, dass der richtige Sud im passenden Gärtank landet? Wie findet der gereifte Inhalt eines Lagertanks den effizientesten Weg zur Abfüllung in die korrekte Flasche oder das richtige Fass? Dafür sorgt beispielsweise Braumat mit Simatic IT, Standardprodukte für, Reporting, Transparente Produktion und konsistente Unternehmensdaten, die Siemens in Zusammenarbeit mit langjährigen Partnern entwickelt hat – und ständig weiter entwickelt.
Die weltgrößte Brauerei
Einer der langjährigsten Partner ist Ziemann Holvrieka, ein global tätiger, traditionsreicher Hersteller von Brauereianlagen und Tanks. Seit den Siebzigerjahren setzt Ziemann Holvrieka auf Braumat-Systeme, seitdem ist man Partner rund um den Erdball, aktuell etwa beim Bau der weltgrößten Brauerei Piedras Negras in Mexiko. „Wir integrieren die Siemens-Systeme in unsere Lösungen und arbeiten deshalb natürlich sehr eng mit Siemens zusammen, etwa in regelmäßigen gemeinsamen Workshops. Genauso nah sind wir an den Brauereien und können das Feedback als branchenspezifischen Input an Siemens weitergeben“, erklärt Klaus Gehrig, Geschäftsführer der Ziemann Holvrieka GmbH.
So weiß Siemens immer, wo der Schuh bei den Brauereien wirklich drückt. Zwei aktuelle Innovationen aus dem Hause Siemens lösen ganz praktische Probleme der Braumeistern: Da ist einmal ein Messgerät, das trotz starker Schaumbildung genau messen kann, wie viel Liter Bier im Lagertank sind. Zum anderen entwickelte Siemens eine Technologie, mit der Fässer identifiziert werden können – auch wenn sie übereinandergestapelt im Lastwagen liegen (siehe Kasten).
Effizienz dank Software-Simulationen
Auch mit Simulationen kann Siemens Brauereien helfen, Kosten zu senken – indem man vor einer Umstellung oder dem Kauf neuer Anlagen erst einmal die eigenen Kapazitäten richtig bewertet. Eine Brauerei in Südamerika etwa entschied sich nach einer anhand einer Siemens PLM Software durchgeführten Simulation dagegen, neue Tanks zu kaufen – weil sie sich mit einer optimierten Nutzung der bestehenden Anlagen als überflüssig erwiesen hatten. Der gleichen Software vertraute Paulaner bei der Planung der nun fertiggestellten Brauerei bei München.
In den USA sind die Craft Breweries in den letzten Jahren als Antwort auf die Dominanz der Großbrauereien wie Pilze aus dem Boden geschossen. Das hat dazu geführt, dass die Vereinigten Staaten heute mit 6372 die größte Anzahl an Brauereien weltweit haben. 6266 davon sind Craft-Brauereien. Die Produktion von Craftbrauereien hat sich seit 2004 mehr als vervierfacht, 2017 stieg sie erneut um 5 Prozent und liegt aktuell bei 25 Millionen Barrels (29 Millionen Hektoliter), was einem Marktanteil von knapp 13 Prozent entspricht. Der Branchenverband "Brewers Association" hatte vor einigen Jahren noch mit 20 Prozent Marktanteil bis 2020 gerechnet. Aber obwohl der Anteil weiter wächst - dieses Ziel wird wohl erst bedeutend später erreicht werden.
Automation auch für die Aufstrebenden
Aber der große Erfolg wird für die enthusiastischen Braumeister zum Problem, wenn immer größere Mengen nachgefragt werden. Ein typisches Beispiel ist „Schlafly Bottleworks“, eine Craft Brewery, die 1991 von zwei Bierliebhabern in der Stadt St. Louis, Missouri gegründet wurde, die neue und innovative Biersorten brauen wollten. Das wollten auch die Konsumenten. Die Nachfrage wuchs von Jahr zu Jahr, und die Braumeister mussten immer mehr Nachtschichten einlegen, um zu liefern. 2009 installierte Schlafly das Braumat-System und steigerte die Effizienz in der Produktion um 30 Prozent. Die Zeit der Nachtschichten war damit vorbei – und das, obwohl die Produktion von 30.000 Barrel (35.000 Hektoliter) im Jahr 2009 auf 60.000 Barrel (70.000 Hektoliter) 2014 verdoppelt wurde.
„Aufstrebende internationale Craftbierbrauereien aber auch nationale Spezialitätenbrauereien sind an Automatisierungsprozessen sehr interessiert, und da liegen für Siemens große Chancen“, sagt VLB-Geschäftsführer Fontaine.
Gleichzeitig gibt die Automatisierung den experimentierfreudigen Newcomern auch die Möglichkeit, sich wieder mehr auf die Kernaufgaben zu konzentrieren.
In den USA unterscheiden sich die Craftbrauer gerade durch ihre Experimentierfreudigkeit von den Großbrauereien: Da wird beim Brauen mit Ingwer, Zitronenschalen, Koriander, Chili und allen möglichen Früchten experimentiert. In Deutschland ist diese Tendenz aufgrund des Reinheitsgebotes schwächer. Erst 2016 feierten die Deutschen den 500. Jahrestag der Erlassung des Reinheitsgebots. Und Experten wie Fontaine glauben auch nicht, dass sich der Hang der Deutschen zum "reinen" Bier in nächster Zeit ändern wird.
06.08.2018
Moritz Gathmann, freischaffender Journalist, lebt in Deutschland
Bildquellen: Detlef Schneider; Getty Images
Die Brauindustrie steht einer Vielzahl an Herausforderungen gegenüber. Die Menge an verschiedenen Sorten und damit auch Flaschenformen nimmt immer mehr zu, gleichzeitig steigt im Konkurrenzkampf der Kostendruck. Hinzu kommen die strengen Auflagen der EHEDG aseptic, die die Hygienemaßnahmen bei der Herstellung und Verpackung von Lebensmitteln kontrolliert. Dazu gehören auch die exakte Bestimmung des Inhalts von Drucktanks vor der Abfüllung sowie der Inhalt von Gär- und Lagertanks. Bisher wurde der Inhalt dieser Tanks vor allem durch Ultraschallsensoren mit direktem Produktkontakt oder per Differenzdruckmessung festgestellt. Mit dem Sitrans LR250 HEA (Hygienic Encapsulated Antenna) bietet Siemens ein System zur Druckmessung ohne Produktkontakt, das auf der Technik des branchenübergreifenden Radarfüllstandmessers Sitrans LR250 basiert.
„Aufgrund der spezifischen Anforderungen der Brauindustrie haben wir bei der Weiterentwicklung unseres bewährten Radarfüllstandmessers besonderen Wert auf die hygienische Einfassung der Antenne sowie die Vielfalt der Prozessschlüsse gelegt. Zudem war uns wichtig, dass der neue Sensor besonders leicht zu warten und im Falle eines Falles auch leicht zu reparieren ist“, erklärt Robert Gray, Projektleiter bei Siemens Process Automation in Peterborough, Kanada. Der Sitrans LR250 HEA ist damit deutlich kostengünstiger als vergleichbare Systeme auf Ultraschallbasis und verfügt außerdem über eine Elektrik, die ohne den Tank zu öffnen getauscht werden kann.
Um das neue System auf zu prüfen, hat Siemens den Sitrans LR250 HEA unter anderem an der Technischen Universität München in Weihenstephan zahlreichen Tests unterzogen. Drei Gär- und Lagertanks der Forschungsbrauerei wurden mit jeweils einem Sitrans LR250 HEA mit unterschiedlichen Prozessanschlüssen ausgestattet. „In den zurückliegenden Monaten haben wir mit den Tanks alle möglichen Biere gebraut – von untergärigen Bieren […] bis hin zu Spezialbieren mit Kalthopfung oder Holzaromatisierung“, so Dr. Florian Schüll, Leiter der Forschungsbrauerei Weihenstephan. Durch den dynamischen Hüllkurvenalgorithmus, über den alle Siemens Radar- und Ultraschall-Füllstandgeräte verfügen, waren die Sensoren auch bei Schaumschichten in der Lage, genaue Messergebnisse zu liefern.
Während des gesamten Testzeitraums gab es keine mikrobiologischen Auffälligkeiten oder Anhaftungen. Grund dafür ist, dass die Sensoren im oberen Bereich der Tanks ohne Kontakt mit dem Inhalt angebracht waren. Außerdem verfügt das für die vollgekapselte Antenne verwendete Polytetrafluorethylen (PTFE) über eine Oberflächenrauheit von unter 0,8 μ, was die Oberfläche der Antenne besonders glatt macht. Aufgrund dieser Ergebnisse wurde der Sitrans LR250 HEA als erster Radarfüllstandumformer nach den strengen Regeln der EHEDG aseptic zertifiziert.
Abonnieren Sie unseren Newsletter
Bleiben Sie auf dem Laufenden: Alles was Sie über Elektrifizierung, Automatisierung und Digitalisierung wissen müssen.