Algonquin College: Alles ist verbunden

An einer der führenden Hochschulen von Ost-Ontario wird der Campus zum Testgelände für eine ganzheitliche Integration dezentraler Energie. Die Technik wird auch zur Ausbildung der Studenten und in Seminaren zur Nachhaltigkeit sowohl in Bachelor- als auch in Graduiertenprogrammen angewendet.

Dezentrale Energiesysteme (DES) sind Netzwerke verteilter Energie-, Heiz- und Kühlsysteme. Dazu gehören erneuerbare Energielösungen, Energiespeicher, Kraft-Wärme-Kopplung (KWK), Microgrids oder moderne Gebäudemanagementsysteme. Gemäß einer Studie von Arup und Siemens bilden sie ein entscheidendes Element für ein nachhaltiges Energiesystem der Zukunft. Und wo könnte man ein System, das sich auf die Einrichtung neuer Verbindungen stützt, besser demonstrieren als in einer akademischen Institution? Welcher Ort würde sich besser eignen als ein Campus, um Ressourcenbündelung, den wechselseitigen Austausch zwischen Netzknoten und die Erschließung neuer Energien zu veranschaulichen? Die Resilienz einer Gemeinschaft erhöhen, in der das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile – wo könnte man das besser zeigen als in einem Community College? 

Das im Jahr 1967 in der kanadischen Hauptstadt Ottawa gegründete Algonquin College of Applied Arts and Technology ist mit 20.000 Vollzeit- und 43.000 Teilzeitstudenten das größte College in Ost-Ontario. Die College-Verwaltung beschloss, den Campus zu einem Musterbeispiel für Energiemanagement und Nachhaltigkeit zu machen. Sie setzte sich dabei folgende Ziele: Reduzierung von Energieverbrauch und CO2-Emissionen, wobei Treibhausgasemissionen bis 2042 auf Null gesenkt werden sollen; Verminderung von Schulden für aufgeschobene Wartung; und die Gewährleistung eines ununterbrochenen Betriebs, auch bei einem großen Stromausfall. 

Mit diesen Zielen vor Augen wandte sich das College mit einer Anfrage an eine Gruppe von Firmen, zu denen auch Siemens gehörte, das in den letzten 25 Jahren bereits mit Algonquin zusammengearbeitet hatte. Siemens unterbreitete einen ehrgeizigen Vorschlag, der sich von allen anderen abhob, um das College bei der Umsetzung seiner Vision zu unterstützen. 

Langfristige Partnerschaft

Siemens schlug eine Vereinbarung vor, die weit über die bloße Modernisierung der Infrastruktur hinausgeht: Erarbeitet wurde ein Plan für eine jahrzehntelange, enge Partnerschaft zwischen Algonquin und Siemens. Dieser umfasst nicht nur die geforderten technischen Upgrades, um mit dem Siemens Navigator, einer cloudbasierten Plattform für Datenanalytik, auf dem ganzen Campus Wasser- und Energieverbrauch zu reduzieren, sondern auch die Nachrüstung von Heizungs-, Lüftungs- und Klimaanlagen (HVAC), den Austausch des Kühlturms, die Optimierung der Kälteanlage und der Gebäude-Automatisierungssteuerung sowie intelligente Lichtsteuerungen.

 

„Einer der Hauptgründe, diesen Weg mit Siemens einzuschlagen, war die Absicht, die Energiekosten am College zu senken“, erklärt Cheryl Jensen, Präsidentin des Algonquin College. „Wir sind eine große Institution mit erheblichen Betriebskosten. Die Tatsache, dass all dies unsere Energiekosten jährlich um 3,2 Millionen Kanadische Dollar gesenkt hat, ist bedeutsam – aber auch innovativ, weil dieses ganze Geld in den Schulungsraum und in unsere studentischen Einrichtungen zurückfließt. Das ist wirklich bemerkenswert.” 

So eindrücklich sich die Modernisierungen schon ausgewirkt haben, markieren sie erst den Anfang dessen, was die Partnerschaft zwischen Siemens und Algonquin erreichen will. Das Paket umfasst auch eine 4-Megawatt-KWK-Anlage, Solar-Photovoltaik-Elemente, Stromspeicher und Ladestationen für Elektrofahrzeuge. Mit der Siemens Spectrum Power Grid Control Platform wird alles integriert. Das Ergebnis ist ein klassisches Beispiel für ein dezentrales Energiesystem. Ausschlaggebend für das College war das Angebot von Siemens, bei Forschungsinitiativen zusammenzuarbeiten und den Campus als „Living Lab“ für die neuesten Technologien zu nutzen. Tatsächlich ist Siemens direkt an der Entwicklung der Nachhaltigkeitsstrategie von Algonquin beteiligt.

Im Mittelpunkt standen für das College gleich mehrere Herausforderungen, nämlich die Kosten und die CO2-Emissionen zu senken sowie den Campus resilienter und im Betrieb autonom machen zu müssen. Die Verfasser des Berichts von Arup und Siemens weisen darauf hin, dass gerade in diesen Bereichen die Vorteile der dezentralen Systeme zum Tragen kommen. Auch werden solche Eigenschaften in einer zunehmend digitalen und automatisierten Welt immer wichtiger. 

Durch die Zusammenarbeit mit Siemens können wir unsere Studenten in modernsten Laborumgebungen an neuen Technologien ausbilden, die den Arbeitsmarkt der Zukunft bestimmen werden.
Cheryl Jensen, Universitätspräsidentin, Algonquin College

In gewissem Sinne hatte Algonquin das Glück, von einer Kombination neuer Technologietrends zu profitieren, die zur rechten Zeit kamen. Die Entscheidung, in Spitzentechnologie zu investieren, war jedoch nicht nur eine pragmatische. Sie wurde auch aufgrund der Vision des College für seine eigene Zukunft und die seiner Studenten getroffen. „Für Algonquin College stehen die Studenten im Mittelpunkt. Durch die Zusammenarbeit mit Siemens können wir unsere Studenten in modernsten Laborumgebungen an neuen Technologien ausbilden, die den Arbeitsmarkt der Zukunft bestimmen werden. Davon erfahren sie aber nicht nur in den Schulungsräumen. Sie können auch die inneren Abläufe etwa unserer Kraft-Wärme-Kopplungsanlage beobachten, um zu verstehen, was diese für unser College leistet. Das bedeutet, dass aus unseren Programmen Lernende hervorgehen, die bereit sind für die Zukunft. Unsere Studenten möchten die Welt verändern, und dazu werden sie auch in der Lage sein“, meint Cheryl Jensen. 

Aktive Auseinandersetzung mit dem System

Diese zukunftsorientierte Haltung machte den Campus zu einem idealen Testgelände. Die DES-Studie weist darauf hin, dass Engagement und Transparenz die entscheidenden Faktoren sind, um dem Verbraucher eine aktive Rolle bei der Steuerung der eigenen Nachfrage zu ermöglichen. Im Algonquin Center for Construction Excellence, das im Jahr 2012 vom Canada Green Building Council mit der LEED-Platin-Zertifizierung ausgezeichnet wurde, üben Energiemanagement-Studenten diese Rolle bereits jetzt. Besser kann man sie kaum einüben, denn über 2.000 Sensoren verfolgen die Leistung des Gebäudes kontinuierlich, und die künftigen Ingenieure beobachten und analysieren ihre Daten in Echtzeit, um daraus praktische Lektionen für das Gebäudemanagement innerhalb eines dezentralen Systems abzuleiten.

Die Algonquin-Community ist deshalb nicht nur eng in den Betrieb ihrer eigenen Infrastruktur eingebunden. Sie nutzt diese auch, um die Experten von morgen auszubilden, die dieses Wissen überall in ihrem Berufsleben anwenden werden. Das didaktische Element ist zu einer Art Markenzeichen für das gesamte Projekt geworden. Studierende und Dozenten haben gleichermaßen die Möglichkeit, mit fortgeschrittener Technologie an modernen Entwicklungen zu arbeiten. Sie werden so für Nachhaltigkeitsprobleme in der gesamten Bandbreite sensibilisiert. „Es geht darum, den Studenten Zugang zu Technologien zu geben und sie in einer Art und Weise damit vertraut zu machen, wie es wohl nur hier möglich ist“, erklärt Todd Schonewille, Direktor für Physikalische Ressourcen für das College.

 

Die Zusammenarbeit wird durch die Präsenz einer Nachhaltigkeitskoordinatorin von Siemens auf dem Campus verstärkt. Sie unterstützt das College durch Schulung und Sensibilisierung, damit dieses seine Nachhaltigkeitsziele erreichen kann. Sarah Dehler, Nachhaltigkeitskoordinatorin bei Siemens Canada, erklärt die Gründe des College für die Wahl der dezentralen Option: „Der Microgrid-Controller ist ein Schlüsselelement, das es dem Algonquin College erlaubt, seine Energietechnik voll auszuschöpfen.“ 

Der Microgrid-Controller ist ein Schlüsselelement, das es dem Algonquin College erlaubt, seine Energietechnik voll auszuschöpfen.
Sarah Dehler, Nachhaltigkeitskoordinatorin, Siemens Canada

Mit dieser Lösung, fügt sie hinzu, kann das College seine Finanzen optimieren und jederzeit entscheiden, ob Strom aus dem Netz oder aber aus der Kraft-Wärme-Kopplung die kostengünstigere Option ist. Die Partnerschaft erstreckt sich auch auf die Zusammenarbeit bei der Ausbildung und die Entwicklung von Bachelor-Kursen in Nachhaltigkeit sowie einem Graduiertenzertifikatsprogramm, einschließlich eines Energy Management Graduate Certificate. Das Thema Nachhaltigkeit ist unabhängig vom Studienfach in alle Bachelor-Studiengänge integriert. So ist das College mit dem Einsatz des DES für die Zukunft gut gerüstet, um Studenten in der Vernetzung zu schulen und ihre Fähigkeiten zu bündeln, die ihnen in ihrer Laufbahn als Führungskräfte und Verwalter von Ressourcen gute Dienste leisten werden.

28.05.2017

Autor: Christopher Findlay, Journalist in Zürich.

 

Das Algonquin College hat ein Energieeffizienz-Investitionsprogramm mit den folgenden Bestandteilen gestartet:
 

  • Investitionen von CN$51 Millionen über 20 Jahre.
  • Zusammenarbeit bei Infrastruktur-Upgrades zur Verbesserung der Energieeffizienz.
  • Einführung neuer Technologien, z. B. Kraft-Wärme-Kopplung.
  • Betriebskosteneinsparungen von bis zu CN$3,7 Millionen im Jahr.

 

Mit diesem Programm sollen die Kosten für aufgeschobene Wartung um CN$10 Millionen im Jahr reduziert und die C02-Emissionen um mehr als 1.200 Tonnen pro Jahr verringert werden.

Abonnieren Sie unseren Newsletter

Bleiben Sie auf dem Laufenden: Alles was Sie über Elektrifizierung, Automatisierung und Digitalisierung wissen müssen.