Intelligente Städte wirtschaftlich betreiben

Eine Studie von Arup und Siemens liefert einen neuen methodischen Ansatz zur Berechnung der Rendite von digitalen städtischen Infrastrukturen. Die Erkenntnisse basieren auf einer Untersuchung in fünf europäischen Städten.

 

Christopher Findlay

Städtische Planungsverantwortliche haben einen wenig beneidenswerten Job. Inmitten widerstreitender Interessen müssen sie begrenzte Ressourcen verteilen und, wo nötig, Infrastrukturen unterhalten oder nachrüsten. Dabei treffen sie Investitionsentscheidungen, deren Auswirkungen sich manchmal erst Jahrzehnte später bemerkbar machen. Umso wichtiger ist es, dass die Zuteilung von Mitteln auf einer sachlichen Grundlage beruht, damit Städte konkurrenzfähig bleiben und fit für die Zukunft werden.

Dies trifft ganz besonders im Bereich der digitalen Revolution zu. Mit Informationstechnologie und Datenanalyse können Dienstleistungen qualitativ verbessert und effizienter werden. Aber intelligente Technologie ist nicht immer billig. Daher müssen die Planer bei der Ausgaben- und Renditekalkulation eine breite Palette von Variablen berücksichtigen. Welche Lösungen sind für ihren speziellen Kontext am besten geeignet? Wie können Planer die materiellen und immateriellen, kurzfristigen und langfristigen Vorteile herausarbeiten? Wie den Gesetzgeber und Haushaltsdirektoren davon überzeugen, dass eine Investition sich rentieren wird?

Fünf Städte unter der Lupe

Die Studie bietet einen systematischen Ansatz für Wirtschaftlichkeitsberechnungen intelligenter städtischer Räume. Die Autoren untersuchten fünf europäische Städte über einen Zeitraum von 18 Monaten und erarbeiteten auf dieser Grundlage eine Methodik zur Renditekalkulation für digitale Infrastrukturen. Die Studie befaßt sich mit den Bereichen Energie, Verkehr, Gebäude, Sicherheit, Häfen und Konnektivität im urbanen Alltag der Städte London, Brüssel, Aberdeen, Alba Iulia und Kartal (ein Vorort von Istanbul).

Im Zentrum dieses Ansatzes, welcher auf über 350 Datenquellen basiert, steht das Konzept der „Digital Value Sphere” (digitaler Wertschöpfungsbereich). Hier werden nicht nur die üblichen Aspekte einer Kosten-Nutzen-Rechnung in Betracht gezogen, sondern auch die weiteren Vorteile für Investoren, die Stadt und andere Interessengruppen sowie die Wertschöpfung durch Daten und die digitale Wirtschaft.

Wenn erst einmal die Vorteile der digitalen Infrastruktur erarbeitet wurden, um ein techno-ökonomisches Modell zu erstellen, kann dieses mit dem Basisszenario verglichen werden, um Anhaltspunkte zur Planung und Priorisierung von Investitionen zu erhalten. Zu diesen Vorteilen gehören solche, die sich direkt finanziell auszahlen, aber auch weniger greifbare, z.B. eine verbesserte Gesundheit der Bevölkerung oder niedrigere Kriminalitätsraten. In den folgenden Passagen betrachten wir einige Technikgebiete und wie die betreffenden Städte sie zu ihrem Vorteil genutzt haben.

Energie: Kostensenkung und Resilienz

Der Energiesektor bietet viele Möglichkeiten, um die Vorteile des digitalen Zeitalters zu nutzen. Intelligente Netze bieten mehr Kapazität, Resilienz und Effizienz. Dadurch kann die Nachfrage mittels dynamischer Preisgestaltung und durch Integration erneuerbarer Energien gesteuert werden. Das Stromnetz in London beispielsweise ist nahezu voll ausgelastet. Vierzig Prozent der Umspannwerke stehen dadurch unter großer Belastung. Digitale Lösungen wie das Flexible AC Transmission System FACTS optimieren die Verteilnetzinfrastruktur. So werden Kapazitäten gewonnen, ohne dass neue Investitionen in das Netz selbst notwendig sind.

 

Virtuelle Kraftwerke, die durch die digitale Verknüpfung mehrerer Stromerzeuger geschaffen werden, können den Bedarf nach Grundlasterzeugung reduzieren. Intelligente Stromzähler liefern Informationen in Echtzeit an Energieerzeuger sowie Konsumenten; intelligente Straßenlaternen können mithilfe von Bewegungsmeldern dynamisch auf ihre Umgebung reagieren, wodurch nicht nur die Energiekosten, sondern auch Emissionen und Lichtverschmutzung vermieden werden. Bei der Untersuchung des Entwicklungsvorhabens „Arc of Opportunity” im Osten Londons stellen die Autoren der Studie fest, dass im Energiebereich eine digitale Dividende von €304 Millionen über 35 Jahre erzielt werden kann. Mehr als die Hälfte davon würde aus indirekten Vorteilen stammen. Dies ergibt sich durch neue Methoden der Energieversorgung, durch verändertes Konsumentenverhalten und durch reduzierten Kohlenstoffausstoß.

Transport: Die Stadt mobilisieren

Wenn die Menschen sich in der Stadt bewegen, erwarten sie vor allem Sicherheit, Tempo und ein angenehmes Fahrerlebnis. In Städten, die noch auf das Prinzip der individuellen Mobilität im eigenen Privatwagen setzen, können integrierte Verkehrsleitstellen helfen, Unfälle und Verkehrsüberlastung zu vermeiden. Die Erhebung einer Straßenmaut hat einen ähnlichen Effekt. Parkleitsysteme helfen, den verfügbaren Platz optimal zu nutzen: Die sensorische Überwachung von öffentlichen Verkehrsmitteln senkt Versicherungsprämien und hilft bei der Optimierung von Wartungszeiten. Auch diese Vorteile können beziffert werden. Zum Beispiel könnten mit einer Investition von €12 Millionen über vier Jahre zur Verbesserung der Verkehrsanbindung im Londoner Stadtviertel „Royal Docks” bis zu €251 Millionen langfristige direkte und indirekte Gewinne erzielt werden.

Gebäude: Das intelligente Bauwerk

Durch Sensoren und intelligente Steuerungssysteme können Gebäude angenehmer, sicherer und energieeffizienter werden. Ein Netz digitaler Sensorik liefert nicht einfach nur Daten. Es senkt Kosten, z.B. durch die Feinjustierung von Effizienzmaßnahmen. Diese Daten bieten neben Komfort auch Sicherheit: In Kartal, einem Vorort von Istanbul am seismisch aktiven Bosporus, können intelligente Sensoren zu Lebensrettern werden. Die Sensordaten alarmieren schon früh vor drohenden Erdbeben, so dass genügend Zeit für Evakuierungen bleibt. Ein solches Programm würde sich innerhalb von fünf Jahren amortisieren. Insgesamt könnte die Anlagenrendite für Investitionen in intelligente Gebäudetechnik den beeindruckenden Wert von 24:1 erreichen.

Sicherheit und Effizienz

In politisch ungewissen Zeiten sind Aufwendungen für Sicherheit oft der Haushaltsposten, der am leichtesten zu rechtfertigen ist. Dennoch müssen auch diese Ausgaben auf soliden Kalkulationen und einer überzeugenden Wirtschaftlichkeitsrechnung beruhen. Die Autoren der Studie stellten beispielsweise fest, dass die Stadt Brüssel durch Algorithmus-basierte Vorhersagende Polizeiarbeit (Predictive Policing) und den Einsatz von Überwachungskameras ihre Kosten für Polizeiaufgaben um bis zu 8 Prozent senken könnte (eine digitale Dividende von €30 Millionen).

 

Ein weiteres Beispiel dafür, wie existierende Ressourcen besser eingesetzt werden könnten, ist der Öl- und Gashafen von Aberdeen in Schottland, der über 30 Prozent des nationalen Bruttosozialprodukts beisteuert. Digitale Upgrades könnten hier den Energieverbrauch effizienter gestalten und Verkehrsüberlastung mindern. Sie könnten außerdem die Kapazität und die operative Effizienz des Hafens erhöhen. Wie viele Hafenstädte hat auch Aberdeen mit hohem Energieverbrauch und Luftverschmutzung zu kämpfen. Alternativen zum Dieseltreibstoff werden dringend gesucht.

Gute Verbindung: Menschen und Anlagen vernetzen

In Alba Iulia, der Hauptstadt des Kreises Alba im rumänischen Transsylvanien, stellten die Forscher fest, dass eine bessere Internetverbindung das Wirtschaftsleben, den Tourismus und den öffentlichen Nahverkehr fördern kann. Ein stadtweit verfügbares, kostenloses WiFi-Netz könnte den Besuch der Stadt mit ihren Kathedralen, ihrer Zitadelle, dem Palast und anderen historischen Sehenswürdigkeiten für Touristen noch angenehmer machen. Zum potentiellen digitalen Wertschöpfungsbereich gehören auch die Profilierung von Alba Iulia als Reiseziel und eine bessere Konkurrenzfähigkeit der Stadt als Veranstaltungsort mit schnellem Internet sowie die Förderung der Mobilität durch Verleih von Elektrofahrrädern oder die Einführung von e-Ticketing im öffentlichen Nahverkehr.

04.07.2017

Text: Christopher Findlay arbeitet als Journalist in Zürich.

Bilder: Siemens AG

  • €1.56 Milliarden: durchschnittliche kumulative Rendite durch direkten und indirekten Mehrwert aus intelligenten Energiemaßnahmen in fünf Städten
  • 4x: Durchschnittliche Rentabilität der Energiemaßnahmen in fünf Städten
  • 20GWh: Durchschnittliche jährliche Einsparungen durch intelligente Straßenbeleuchtung
  • €110 Millionen: Durchschnittlicher Direktvorteil aus intelligenter Straßenbeleuchtung, entspricht im Durchschnitt einer Rentabilität von 5x
  • 20x: Durchschnittliche Rentabilität der Maßnahmen im Mobilitätsbereich in vier Städten
  • €566 Millionen: durchschnittliche kumulative Rendite aus intelligenten Transportsystemen in vier Städten
  • 74% der Vorteile aus Maßnahmen im Mobilitätsbereich werden durch Vermeidung von Verspätungen und Zeitersparnis erzielt
  • 7 Jahre: Durchschnittliche Amortisationszeit von Investitionen in intelligente Parksysteme im Straßenraum (inkl. Umsetzung eines kompletten Erfassungssystems mit Zahlungsabwicklung)

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