Drei Perspektiven auf den digitalen Zwilling
Das digitale Gebäude und der der digitale Zwilling sind in aller Munde. Wir haben drei Experten gefragt, welche Erfahrungen sie mit Building Information Modeling (BIM) gemacht haben, wie digital die Bauwirtschaft derzeit unterwegs ist und was dem digitalen Gebäudezwilling heute noch fehlt.
Das Gebäude existiert erst im Computer. Und doch ist es schon funktionsfähig – wenn auch nur virtuell, als digitaler Zwilling. Anhand eines solchen Gebäudemodells lässt sich der Betrieb simulieren, noch bevor ein einziger Bagger auf die Baustelle gerollt ist. So kann im digitalen Zwilling beispielsweise eine Evakuierung durchgeführt werden, um die Fluchtwege optimal zu planen. Ebenso ist es möglich, vorab an der Gebäudeperformance zu schrauben: Heizung, Klimatisierung und Belüftung können am digitalen Zwilling unter realistischen Betriebsbedingungen getestet und verbessert werden.
Ein Gebäude, das im Vornherein komplett digital geplant, geprüft und optimiert wurde, verspricht mehr Sicherheit und einen effizienteren Betrieb. Wenn die Planung nicht mehr baubegleitend erfolgt wie bisher, ist es zudem schneller und reibungsloser realisiert.
Noch ist die Bau- und Immobilienbranche nicht ganz so weit. Für sie bedeutet die Umstellung auf eine digitale Planung einen Bruch mit bestehenden Prozessen und Strukturen. Dieser Wandel vom planbasierten zu einem datengetriebenen Engineering mit Building Information Modeling (BIM) vollzieht sich jedoch schneller, als man noch vor wenigen Jahren geglaubt hatte.
Obwohl noch einige Hürden zu überwinden sind, zweifelt kaum jemand daran, dass sich die digitale Planung mit BIM durchsetzen wird – und damit auch der digitale Zwilling bei Bauvorhaben zum Standard wird. Zu bedeutend sind die Effizienzgewinne, welche die Digitalisierung bei der Erstellung und stärker noch beim Betrieb der Gebäude verspricht.
Wir haben drei Experten, die sich aus verschiedenen Perspektiven mit BIM befassen, zum Thema befragt.
Bei unseren bisherigen Projekten hat sich gezeigt, dass dieses Konzept Zeit spart, unnötigen Aufwand verringert und die Effizienz steigert.Mark Tait, Investa Property Group
Die Sicht des Investors
Mark Tait ist beim Immobilienunternehmen Investa als Group Executive & Head of Commercial Development tätig. Seine Firma hat ihren Sitz in Sydney, Australien. Mark Tait war an diversen digital geplanten Großprojekten, namentlich Bürogebäuden, beteiligt. Welche Erfahrungen hat er mit BIM gemacht?
Mark Tait: "Als langfristig orientierter Gebäudeeigentümer sieht Investa einen bedeutenden Mehrwert im Building Information Modeling respektive im Digital Engineering beim Bau neuer Büroimmobilien. Vorteile ergeben sich von der frühen Designphase über die Bauausführung bis hin zum langfristigen Gebäudebetrieb und -management. Zu den grössten Vorzügen zählen dabei Transparenz und eine gewerk- und stakeholderübergreifende Zusammenarbeit bei Großprojekten. Bei unseren bisherigen Projekten hat sich gezeigt, dass dieses Konzept Zeit spart, unnötigen Aufwand verringert und die Effizienz steigert. Vor allem aber bietet es größere Sicherheit, Bauvorhaben termin-, kosten- und qualitätsgerecht fertigzustellen, was insbesondere für die Vorvermietung wichtig ist. Wir entscheiden uns mittlerweile gezielt für gleichgesinnte Entwicklungspartner wie Siemens, die Digital Engineering für Projekte anbieten, anwenden und unterstützen."
Offene, gemeinsam nutzbare Informationen ermöglichen effizientere, transparentere und kollaborative Arbeitsweisen über den gesamten Lebenszyklus von Gebäuden und Infrastrukturen.Richard Petrie, buildingSMART international
Die Sicht des Standardisierers
Richard Petrie ist CEO des Interessenverbands „buildingSMART International“. Ziel dieses NGO ist es, standardisierte Prozesse, Arbeitsabläufe und Verfahren für BIM zu entwickeln und weltweit zu etablieren. Wir haben ihn gefragt, welche Rolle offene Standards für digitale Gebäudedaten bei der Digitalisierung der Bau- und Immobilienbranche spielen.
Richard Petrie: "Offene, gemeinsam nutzbare Informationen ermöglichen effizientere, transparentere und kollaborative Arbeitsweisen über den gesamten Lebenszyklus von Gebäuden und Infrastrukturen. Die Einführung neuer Asset-Delivery-Prozesse wie BIM ermöglicht es Eigentümern und Betreibern, gemeinsam mit ihren Servicepartnern ihre Investitionen zu planen und die Kosten für Wartung und Nutzung über den gesamten Lebenszyklus zu prognostizieren. Offene Datenstandards haben dabei grosse Vorteile: Sie bieten transparentere, kollaborative und offene Arbeitsabläufe. Dank einer gemeinsamen Terminologie ist die Informationssicherheit grösser. Ausserdem ermöglichen offene Standards offenere Beschaffungsprozesse und integrierte Prozesse. Die Daten lassen sich einfacher wiederverwenden und es sind weniger wiederholte Dateneingaben erforderlich. Zudem vereinfacht sich die Integration von Daten, die in verwandten Branchen erzeugt und geteilt werden.
‚BuildingSMART‘ hilft Branchenpionieren, Planung, Bau und Betrieb der zukünftigen Gebäude zu transformieren. Internationale, offene Standards für den Austausch digitaler Daten sind für diese Transformation von entscheidender Bedeutung. Sie helfen Unternehmen – Eigentümern, Architekten, Ingenieuren, Auftragnehmern und Betreibern – sich als globale Branchenführer zu etablieren, und ermöglichen es zugleich, Risiken zu minimieren, Zeit zu sparen und Kosten zu senken."
Der ‚Digital Twin‘ wird zwar zunächst für Planung und Bau benötigt. Doch er sollte künftig auch die Basis für den Gebäudebetrieb bilden.Eric Giese, Siemens Smart Infrastructure
Die Sicht des Lösungsanbieters
Eric Giese ist als Leiter des Digital Service Center bei der Siemens Smart Infrastructure Deutschland für das Thema „Digital Twin“ verantwortlich. Welche Chancen eröffnet der digitale Zwilling beim Gebäudebetrieb?
Eric Giese: „Wenn man heute über die Potenziale von BIM spricht, geht es meistens um den optimierten Planungs- und Errichtungsprozess und die hiermit verbundenen Einsparungspotenziale. Dabei gerät leicht aus dem Blick, welches Potenzial sich durch den richtigen Einsatz der so erzeugten Daten für die Betriebsphase von Gebäuden ergibt. Schließlich fallen, über den gesamten Lebenszyklus betrachtet, weit mehr Kosten im Betrieb an als beim Bauen. Um dieses Potenzial zu erschließen und Gebäude auch hinsichtlich der Nutzung zu optimieren, spielt die Gebäudetechnik eine essenzielle Rolle. Der ‚Digital Twin‘ wird zwar zunächst für Planung und Bau benötigt. Doch er sollte künftig auch die Basis für den Gebäudebetrieb bilden. Schon heute werden die Daten der technischen Systeme in Echtzeit erhoben. Wenn diese intelligent genutzt werden und mit dem ‚Digital Twin‘ kombiniert werden, kann eine Art ‚Cyber-Physical-System‘ entstehen – ein ständig aktuelles, digitales Online-Abbild des Gebäudes. Dieses kann dann durch geeignete Analysemethoden und künstliche Intelligenz ständig dem aktuellen Bedarf angepasst und automatisch optimiert werden, sodass neue digitale Services für die Gebäudeperformance möglich werden. Ein solcher Online-Zwilling hat darüber hinaus das Potenzial, die Basis eines neuen Ökosystems zu werden, da Leistungen für den Betrieb in ganz neuer Art organisiert werden können.“
15.03.2018
Picture credits: Getty Images / Nadla
Abonnieren Sie unseren Newsletter
Bleiben Sie auf dem Laufenden: Alles was Sie über Elektrifizierung, Automatisierung und Digitalisierung wissen müssen.