Willkommen in der Stadt 4.0
Wie können Städte die Vorteile der Digitalisierung nutzen, um überbeanspruchte Serviceleistungen und Ressourcen zu entlasten? Durch die nahtlose Integration von Daten aus dem Internet der Dinge (Internet of Things, IoT) kann die der Stadt zugrundeliegende Infrastrukturebene verwaltet und optimiert werden.
Städte stehen unter enormem Druck. Auf der ganzen Welt wird es für urbane Zentren zunehmend schwerer, die boomenden Bevölkerungszahlen zu bewältigen und deren stetig steigenden Bedarf an Ressourcen wie Energie, sauberes Wasser und gesunde Luft zu decken. Sie suchen nach innovativen Wegen im Umgang mit Emissionen, dem zunehmenden Stadtverkehr und den Auswirkungen des Klimawandels – und setzen dabei verstärkt auf intelligente Technologien. Die Frage ist längst nicht mehr, ob Städte auf Digitalisierung setzen und zu intelligenten Städten werden, sondern wann Smart-City-Projekte auf globaler Ebene umgesetzt werden
Jetzt steht der nächste Schritt an
In den letzten Jahrzehnten haben sich die Städte bemüht, die zugrunde liegenden Infrastrukturen zu optimieren – allerdings in hohem Maße in vertikalen Silos, also jeder Bereich für sich: Planung und Bau vieler Gebäude basiert schon heute auf einer standardisierten Building Information Modeling (BIM)-Software; fahrerlose Züge operieren mit höherer Kapazitätsauslastung; aus Stromnetzen werden Smart Grids, die sich schnell an neue Anforderungen anpassen können. Jetzt steht der nächste Schritt an: Die Vernetzung verschiedener städtischer Infrastrukturen. Sie wird weitere Verbesserungen und Effizienzsteigerungen im Stadtbetrieb bringen.
Analog zum Begriff „Industrie 4.0“, der die Auswirkungen von Automatisierung und Datenaustausch auf die industrielle Fertigung beschreibt, wird dieses Modell auch als „City 4.0“ bezeichnet. Was heißt das konkret? Im Kontext der Stadt kann sich der Begriff beispielsweise auf Gebäude beziehen, die sich aktiv mit dem Energienetz verbinden und über entsprechende Schnittstellen Mobilitätsanforderungen ermitteln, oder auf selbstlernende Systeme, die für die Verbesserung der Luftqualität nützliche Informationen bereitstellen, um nur einige Beispiele zu nennen.
Studie: Bis 2020 rund 50 Milliarden Geräte vernetzt
Eine im Jahr 2015 von der Consulting-Firma McKinsey erhobene Studie bescheinigt der Digitalisierung eine enorme Innovationskraft im städtischen Raum. Das Potenzial der Digitalisierung als Hebel für Produktionssteigerung in städtischen Infrastrukturen wird nur noch durch ihre Auswirkungen auf die Industrie und das Produktionsgewerbe übertroffen, wo sie bereits in ganzen Branchen von kleinen und mittleren Unternehmen bis hin zu Großunternehmen weit verbreitet ist.
Das Aufkommen der Digitalisierung traf zusammen mit dem Rückgang der Transistorpreise, die in den letzten 25 Jahren dramatisch gefallen sind. Inzwischen sind immer mehr Geräte vernetzt; aller Voraussicht nach werden bis 2020 mehr als 50 Milliarden Geräte aktiv kommunizieren. Serviceleistungen, wie sie bereits heute in allen Bereichen des städtischen Lebens präsent sind, werden digital verbessert, aber wichtiger ist, dass es dank der Verfügbarkeit und Analyse der Daten eine wachsende Zahl neuer Serviceleistungen geben wird.
Crashtests sind nicht mehr nötig
Was bedeutet Digitalisierung in der Praxis? Sie ermöglicht Planern beispielsweise, einen digitalen Zwilling der physischen Arbeitsumgebung zu schaffen und beide miteinander zu vernetzen, um die Gestaltung, Steuerung und Automatisierung von Prozessen zu verbessern, aber auch um Informationen fürs End-To-End-Reporting und Analysen zu liefern. Simulationen und vorausschauende Wartung werden zunehmend einfacher und lassen sich immer leichter in den täglichen Betrieb integrieren.
Um sich die Vorteile vor Augen zu führen, denken Sie zum Beispiel an die Autoindustrie: Früher haben die Entwickler einen neuen Prototyp gebaut, dann einen Crashtest gemacht und schließlich analysiert, was funktioniert hat und was schief gelaufen war; dann wurde der nächste Prototyp gebaut und gegen die Wand gefahren – und so ging das endlos weiter. Man kann sich leicht vorstellen, um wie viel schneller und effizienter dieser Prozess dank Simulationssoftware inzwischen geworden ist.
Helsinki entwickelt eine digitale Zwillingsstadt
Im Kontext der Stadt kann die Digitalisierung nicht nur die Effizienz steigern, indem sie die Zeit- und Ressourcenverschwendung minimiert, sondern gleichzeitig die Produktivität einer Stadt verbessern, das Wachstum sichern und wirtschaftliche Aktivitäten fördern. Die finnische Hauptstadt Helsinki ist momentan dabei, das zu beweisen. Als Stadt, die schon frühzeitig Smart-City-Technologie und Modellierung nutzte, startete sie das Helsinki 3D+ Projekt zur Erstellung eines dreidimensionalen Modells von Helsinki. Zum Einsatz kam dabei eine vom Softwareunternehmen Bentley Systems entwickelte Reality-Capture-Technologie zur Geokoordination, Optionsbewertung, Modellierung und Visualisierung.
Digitalisierung verbessert die Produktivität einer Stadt, sichert das Wachstum und fördert wirtschaftliche Aktivitäten.
Ziel des Projekts ist es, die stadtinternen Serviceleistungen und Prozesse zu verbessern und Daten für den weiteren Ausbau des Smart-City-Projekts bereitzustellen. Nach seiner Fertigstellung soll das 3-D-Stadtmodell von Helsinki als offene Datenquelle dienen und auf diese Weise die kommerzielle und wissenschaftliche Forschungs- und Entwicklungsarbeit fördern. Dank der verfügbaren Daten und Analysen wird es der Stadt möglich sein, ihre grüne Agenda voranzutreiben und noch deutlich stärker als bisher auf eine nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen und eine gesunde Umwelt auszurichten.
Ein erster Schritt zu einer digitalen verwalteten Stadt
Aus der visuellen 3D-Darstellung lässt sich eine Fülle von Daten extrahieren – ein erster Schritt in Richtung der digital verwalteten Stadt. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die vernetzten Infrastrukturkomponenten miteinander kommunizieren und verstanden werden können. Bentley Systems ist ein Pionier in der Entwicklung von Realitätsmodellierungssoftware für die Infrastrukturbranche. Bentley und Siemens sind seit vielen Jahren Technologiepartner und haben ihre Zusammenarbeit kürzlich sogar zu einer strategischen Allianz ausgebaut, was die nahtlose Integration der Technologien beider Unternehmen zur Folge hatte.
Wie funktioniert das? Das von Bentleys Realitätsmodellierungssoftware erstellte dreidimensionale Netz ist über das offene, cloud-basierte IoT-Betriebssystem MindSphere mit den IoT-fähigen Infrastrukturkomponenten verbunden. Die der Stadt zugrundeliegende Infrastrukturebene – Wohnen, Sicherheit, Energieversorgung, Wasserversorgung, Verkehrs- und Gesundheitswesen – liefert auf diese Weise Daten, die in eine gemeinsame Datenebene eingespeist werden, um Analysen und sowohl präventive wie auch präskriptive Maßnahmen zu ermöglichen. MindSphere ist in der Lage, riesige Datenmengen zu verwalten.
Stehen diese Daten einmal zur Verfügung, dann können innovative Unternehmen und Stadtverwaltungen über offene Programmierschnittstellen weitere Anwendungsfälle schaffen und auf Basis der verfügbaren Daten Apps zum Nutzen der Bürger, der städtischen Behörden und der lokalen Wirtschaft entwickeln.
Eine digitale Vision für die ganze Welt
Helsinki ist nicht die einzige Stadt, die offene Daten erhebt, um Forschung und Entwicklung im Rahmen des City 4.0-Konzepts zu fördern und stetig zu verbessern. Ein weiteres Beispiel ist die nordamerikanische Stadt Columbus in Ohio, die 2016 die landesweite Smart City Challenge gewann. Die Smart-Columbus-Kampagne zielt darauf ab, die Lebensqualität der Menschen zu verbessern, ihnen bessere Chancen zu bieten, das Wirtschaftswachstum voranzutreiben, eine führende Rolle in der Logistik zu übernehmen und die Nachhaltigkeit zu fördern. Wie? Durch die Verknüpfung von infrastrukturellen Angeboten – angefangen bei den Bereichen Wohnen, Verkehr und Gesundheit – kann man abbilden, wie neue Technologien in einer realen Stadt funktionieren. Die Antwortet auf die Frage, wann intelligente städtische Projekte auch auf globaler Ebene an Bedeutung gewinnen werden, lautet deshalb: jetzt.
18.05.2018
Text: Jan Schönig
Bilder: Roman Trystram
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