KI in Gebäuden: "Unternehmen müssen ihre Geschäftsmodelle reflektieren"

Serhan Ili, CEO des Beratungsunternehmens ILI Consulting, zu Digitalisierung und künstlicher Intelligenz in der Bau- und Immobilienwirtschaft.

Was bedeuten Digitalisierung und Künstliche Intelligenz für die Bau- und Immobilienwirtschaft? Eine Studie der Ili Consulting und Siemens gibt Antworten. Mitverfasser Serhan Ili sagt, warum althergebrachte Erfolgsmodelle bedroht sind, wie Unternehmen mit Daten Geld verdienen können und wozu intelligente Gebäude künftig in der Lage sind. 

Herr Ili, wie sieht für Sie das Gebäude der Zukunft aus?

 

Dr. Serhan Ili: Das Gebäude der Zukunft ist vernetzt, tritt mit den Menschen, die sich darin aufhalten, in einen Dialog, und löst positive Emotionen aus. Es ist sicher, effizient und leistet einen Beitrag an die Ökologie, zum Beispiel indem es die Luftqualität verbessert. Gerade in Megacitys hat dieser ökologische Aspekt grosses Potenzial. Es ist intelligent und in der Lage, mit Systemen außerhalb zu kommunizieren, beispielsweise mit dem Stromnetz. Und es geht auf die Bedürfnisse seiner Nutzer ein. Dies geschieht teilweise unbemerkt, die Nutzer haben aber auch die Möglichkeit haben, selber Einstellungen vorzunehmen.

 

Welche Chancen eröffnet die digitale Revolution für die Bau- und Immobilienbranche?

 

Die Chancen, welche die neuen Technologien bieten, sind unendlich. Wenn ich das an Veranstaltungen so sage, schauen mich die Teilnehmer jeweils mit großen Augen an. Aber in der Bau- und Immobilienbranche kann alles, was man anpackt, zu Innovation führen. Schliesslich hat sich in den letzten 100 Jahren kaum etwas geändert an der Art und Weise, wie Gebäude geplant und hochgezogen werden. Die Digitalisierung eröffnet über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes enorme Möglichkeiten für Planer, Architekten, Investoren, Gebäudetechniker und Bewirtschafter. Und auch neue Akteure werden sich entlang dieser Wertschöpfungskette positionieren und neue Märkte erschließen.

Sie kritisieren in der Studie Unternehmen, welche die Digitalisierung als Möglichkeit sehen, Effizienzgewinne zu erzielen. Was ist daran falsch?

 

Ein zu starker Fokus auf Effizienzgewinne verstellt den Blick auf das, was wirklich wichtig ist: das Erarbeiten eines echten Vorsprungs. Vor dem Hintergrund der digitalen Transformation müssen Unternehmen bereit sein, ihre Geschäftsmodelle zu reflektieren, mit ihnen zu brechen und daraus neue Perspektiven und grössere Vorteile zu extrahieren. Die Digitalisierung ist eine scharfe Waffe. Da reicht es nicht aus, nur günstiger, effizienter oder produktiver zu sein.

 

Die digitale Revolution ist so umfassend, dass es schwierig ist, den Überblick zu behalten. Woran können sich Akteure der Bau- und Immobilienwirtschaft orientieren?

 

Disruptive Trends wie Digitalisierung und KI erzeugen immer eine gewisse Unsicherheit. Aktuell ist es noch zu früh, um eine umfassende Agenda für Digitalisierung und KI für Bau- und Immobilienunternehmen zu entwickeln. Dennoch sollten die Akteure nicht untätig bleiben, sondern versuchen, ihre Rolle im Hinblick auf intelligente Gebäude der Zukunft aktiv zu gestalten. Das funktioniert am besten, wenn sie nach Innovationen streben. Die Unternehmen müssen aufhören, den Status quo zu verwalten. Ein möglicher Ausgangspunkt ist, sich ein Bild der Technologien und Produkte zu machen, die man bereits anbietet. Sind sie vernetzt genug? Ermöglichen sie es, Daten und Informationen auf eine Plattform zu spielen, wo sie einen weiteren Mehrwert produzieren können? Weil es künftig nicht mehr möglich sein wird, alles alleine anzubieten, sollten Unternehmen ein Ökosystem bereitstellen, an dem auch andere Akteure teilhaben können.

 

Unternehmen müssen aufhören, den Status quo zu verwalten.

Die Branche gilt nicht als besonders innovationsfreudig. Wie sollten die Akteure vorgehen?

 

Sicher ist, dass Big Data, künstliche Intelligenz und „Predictive Analytics“, datenbasierte Vorhersagen, schon bald integraler Bestandteil der Branche sein werden. Die Unternehmen müssen es schaffen, Daten zu sammeln, aufzubereiten und so in digitales Wissen zu verwandeln. Auf dieser Basis kann digitale Intelligenz entstehen. Dadurch lassen sich neue Umsatzströme eröffnen, neue Geschäftsbeziehungen eingehen und Produktivitätsgewinne heben. Damit das gelingt, müssen die Akteure digitale Schnittstellen, sogenannte Touchpoints, zu den Nutzern schaffen, die einen rationalen oder emotionalen Mehrwert bieten und kostenlos zugänglich sind. Diese Touchpoints ermöglichen dem Nutzer dann, seine Daten gegen einen Mehrwert zu tauschen. 

 

Können Sie ein Beispiel machen?

 

Die Immobilienwirtschaft wird künftig nicht mehr nur mit Mieten Geld verdienen, sondern auch mit Daten. Das können die Personenströme innerhalb eines Gebäudes sein. Wenn man diese analysiert, kann man zum Beispiel ermitteln, in welchen Räumen eine Reinigung nötig ist – und in welchen noch nicht, weil sich dort niemand aufgehalten hat. Auf ähnliche Weise eröffnen sich auf Basis von digitalen Daten noch viele weitere Möglichkeiten, Umsätze zu generieren. 

 

Die Digitalisierung ist auch mit Risiken verbunden, beispielsweise Cyberkriminalität. Wie sollten Unternehmen damit umgehen?

 

Ich bin als externer Berater oft an Diskussionen beteiligt, wo es um Risiken geht. Oftmals werden die kreativsten Argumente sehr zeitintensiv ausgearbeitet und Ängste geschürt, nur damit keine Zukunftstechnologie und kein neues Geschäftsmodell eingeführt werden muss. Es wäre besser, diese Energie dazu zu nutzen, Lösungen zu finden, statt zu blockieren. Zuerst sollte man die Potenziale von neuen Ideen in den Blick nehmen. Den Risiken kann man nur dann begegnen, wenn man sich nach vorne orientiert, und nicht am Status quo.

Geschäftsmodelle der Zukunft finden in digitalen Ökosystemen statt. 

In der Studie ist immer wieder von «Ökosystemen» die Rede. Was hat es damit auf sich?

 

Geschäftsmodelle der Zukunft finden in digitalen Ökosystemen statt, die sich wiederum auf Plattformen organisieren. Hierfür müssen Unternehmen an ihrer Digital Readiness arbeiten. Das bedeutet konkret, dass Unternehmen es mit Hilfe ihrer Produkte und Services schaffen müssen, strategisch die richtigen Daten und Informationen zu sammeln. Wenn zum Beispiel Gebäudedaten auf einer digitalen Plattform platziert und angereichert werden, entsteht Wissen. Dieses Wissen möchte ich Dritten zur Verfügung stellen – gegen Geld natürlich. Beispielsweise einer Versicherung, die auf dieser Basis Prämienberechnungen anstellen möchte. Vor diesem Hintergrund nutzen wir das Wort Ökosystem. Wenn man sein Geschäftsmodell erweitert, beginnt man plötzlich in digitalen Plattformen, Schnittstellen und Ökosystemen zu denken. Denn das neu generierte digitale Wissen lässt sich in neue Leistungsversprechen umwandeln und ganz neuen Akteuren im Ökosystem anbieten.

 

Wie profitieren die Nutzer von intelligenten Gebäuden?

 

Nehmen wir einen Angestellten, der jeden Tag zur Arbeit fährt. Ein intelligentes Gebäude sagt ihm schon während der Anfahrt, wo er sein Fahrzeug abstellen und aufladen kann. Steht er in der Lobby, weiss er, welcher Aufzug am schnellsten kommen wird. Und er kann davon ausgehen, dass an seinem Arbeitsplatz die richtige Temperatur herrscht, die Beleuchtung auf seine Präferenzen abgestimmt und die Luftqualität optimal ist. Und im Notfall hilft ihm eine dynamische Fluchtwegplanung, das Gebäude schnell und sicher zu verlassen.

Gamification ist eine geniale und effektive Methode, um von den Nutzern Daten zu gewinnen.

Welches Potenzial sehen Sie in Gamificiation-Ansätzen im Gebäudebereich?

 

Gamification ist eine geniale und effektive Methode, um von den Nutzern die gewünschten Daten und Informationen zu gewinnen. Ich würde fast schon sagen, ihnen zu entlocken. Darüber hinaus nutzen lässt sich Gamification einsetzen, um beim Nutzer eine Art Verhaltenskokain für die eigenen Produkte und Services zu schaffen. Das ist vielleicht kein schönes Wort, aber es beschreibt sehr gut die Zielsetzung dieses Ansatzes. Der Nutzer soll die digitalen Services und Produkte immer wieder nutzen.

 

Können sie ein konkretes Beispiel machen?

 

Im Gebäudebereich kann Gamification zum Beispiel bei der Sicherheit eingesetzt werden. Ist der Sicherheitsdienst die vorgegebene Route tatsächlich abgelaufen? Auf der Route könnten digitale  Spielelemente platziert werden, die eingesammelt werden müssen. Oder es gibt Rätsel, die unterwegs gelöst werden müssen. Das motiviert, weil Punkte gesammelt und Levels erreicht werden können. Gleichzeitig können die gesammelten Punkte gegen kosmetische Merkmale eingetauscht werden, um seinen digitalen Avatar aufzuhübschen. Zugegeben, das Thema wird von vielen noch belächelt. Aber wir setzen es mit Erfolg schon bei vielen Unternehmen aus verschiedenen Branchen als strategisches Instrument ein.

 

 

20.03.2019

Bilder: Siemens AG, Ili Consulting AG

Studie „Buildings and Beyond“

Die digitale Revolution hat die Bau- und Immobilienwirtschaft erreicht. Die Studie “Buildings and Beyond. Digitization and Artificial Intelligence in Building Automation, Construction and Real Estate” liefert Antworten und Einschätzungen zu den Auswirkungen der Digitalisierung der Branche. Sie zeigt auf, warum in Zukunft digitale Services immer wichtiger werden und welche Bedeutung Technologien wie Blockchain oder Building Information Modeling (BIM) haben. Und sie vermittelt Ansätze, wie Bau- und Immobilienunternehmen vorgehen sollten, um ihre Geschäftsmodelle zukunftssicher auszurichten.

 

 

Die Studie ist ein Gemeinschaftswerk der Ili Consulting AG und Siemens.

 

Zur Person

Dr.-Ing. Serhan Ili ist Gründer und CEO der ILI CONSULTING AG mit Sitz in Karlsruhe. Er berät führende Unternehmen aus diversen Branchen im Bereich Innovation und Digitalisierung. Dr. Ili studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der Universität Karlsruhe (TH). Er promovierte zudem bei der Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG im Entwicklungszentrum Weissach zum Ingenieur.

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