Künstliche Intelligenz sorgt für bessere Luft

Eine Software von Siemens hilft Stadtbehörden, Stickoxid- und Feinstaubwerte unter Kontrolle zu halten.

Viele Städte weltweit leiden unter hohen Schadstoffkonzentrationen. Die Software CyAM von Siemens berechnet mithilfe künstlicher Intelligenz die Belastung für viele Tage im Voraus und ermittelt, wie wirksam mögliche Gegenmaßnahmen wären.

Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt inzwischen in Städten. Und viele dieser Städte haben ein Problem: schlechte Luft. Schadstoffe wie Stickoxide und Feinstaub überschreiten regelmäßig die gesetzlichen Vorgaben, und die Bewohner leiden unter den gesundheitlichen Folgen wie Asthma oder Herzproblemen – vor allem Kinder und ältere Menschen. Außerdem sind ohnehin bereits benachteiligte Gruppen davon besonders betroffen: Die Luftqualität ist in ärmeren Stadtvierteln oft am schlechtesten. Weniger Schadstoffe sind darum nicht nur eine Frage des Umweltschutzes, sondern auch der sozialen Gerechtigkeit.

 

Viele Metropolen haben das Problem erkannt und Pläne entwickelt, um die Luftqualität zu verbessern. Aber weil sich die städtische Infrastruktur nicht kurzfristig verändern lässt, werden viele Maßnahmen erst in zehn bis 20 Jahren wirksam. „Das ist aber viel zu spät“, sagt Cathe Reams, Director, Corporate Alliances, bei Siemens. „Wir müssen in den Städten eine bessere Luftqualität erreichen – und zwar so schnell wie möglich.“

Wir müssen in den Städten eine bessere Luftqualität erreichen – und zwar so schnell wie möglich.
Cathe Reams, Kommunikationsleiterin Sustainability and Urban Infrastructure bei Siemens

Die nötigen Technologien dafür stehen bereits heute zur Verfügung – zum Beispiel alternative Antriebe, die lokal keine Emissionen verursachen. Hinzu kommen Sensoren, die die Belastung mit Schadstoffen erfassen können und so ein aktuelles Lagebild über die Luftqualität liefern. Gefragt ist darum ein intelligentes Werkzeug, das diese Informationen nutzt und den Stadtverwaltungen Vorschläge für kurzfristig wirksame Maßnahmen macht.

Präzise Vorhersage der Schadstoffwerte

Genau das ist das Ziel von City Air Management (CyAM) von Siemens. Dahinter verbirgt sich eine intelligente Software, die aktuelle Messwerte von Luftschadstoffen wie Stickoxiden (NOx) und Feinstaub der maximalen Partikelgrößen zehn Mikrometer (PM10) bzw. 2,5 Mikrometer (PM2,5) mit der aktuellen Wettervorhersage verbindet, um daraus Prognosen für die nächsten Tage abzuleiten. „CyAM kann für die nächsten drei Tage mit einer 90-prozentigen Sicherheit die Konzentrationen von Stickoxiden sowie PM10 und PM2,5 voraussagen“, erklärt Reams. „Bei fünf Tagen Prognosezeitraum liegt die Genauigkeit noch bei 80 Prozent.“

CyAM kann für die nächsten drei Tage mit einer 90-prozentigen Sicherheit die Konzentrationen von Stickoxiden sowie PM10 und PM2,5 voraussagen
Cathe Reams, Kommunikationsleiterin Sustainability and Urban Infrastructure bei Siemens

Grundlage für die präzisen Vorhersagen ist eine künstliche Intelligenz, das aus den Messwerten sowie den Wetterdaten der Vergangenheit gelernt hat, wie sich die Luftqualität voraussichtlich entwickeln wird. Das Wetter ist wichtig, weil Feuchtigkeit, Sonneneinstrahlung, Wolkenbedeckung und Temperatur sich auf die Schadstoffkonzentration auswirken. CyAM unterscheidet aber auch zwischen Werktagen und Wochenenden und berücksichtigt sogar wiederkehrende Ereignisse wie Messen oder Sportveranstaltungen. Entscheidend ist die Verfügbarkeit historischer Daten: Für eine optimale Prognosequalität sollten sie mindestens ein Jahr zurück reichen.

 

Seinen Nutzern zeigt CyAM in einem Dashboard die aktuellen Messwerte der Sensoren in der Stadt sowie eine Vorhersage, entweder stündlich oder für mehrere Tage im Voraus. Ein Ampelsystem macht sofort klar, wie sich die Werte entwickeln werden. Grün steht für gute Qualität, gelb und vor allem rot zeigen eine Verschlechterung an. Aber dabei bleibt es nicht: Das Tool macht auch Vorschläge, wie sich die Schadstoffkonzentrationen kurzfristig senken lassen. „Die Stadtverwaltung kann zum Beispiel ein zeitweises Fahrverbot für Dieselautos oder Lastwagen beschließen“, so Reams. „Oder sie kann in bestimmten Gebieten elektrisch angetriebene Busse einsetzen.“

Wirksamkeit von Maßnahmen sofort bewerten

Wie wirksam diese Maßnahmen wären, zeigt CyAM ebenfalls an. Per Mausklick lassen sie sich aktivieren, worauf sich die Vorhersage sofort entsprechend anpasst: Aus roten oder gelben werden wieder grüne Felder. So können Stadtverwaltungen auf Basis objektiver Daten entscheiden und sind nicht auf Vermutungen angewiesen. Und sie erreichen ihre Ziele mit den geringsten Einschränkungen für die Menschen. „Wir wollen bei allen Maßnahmen die Verhältnismäßigkeit wahren, also beispielsweise Diesel- oder LKW-Fahrverbote nur tagesweise oder halbjährlich verhängen“, erklärt Florian Ansgar Jaeger, Projektmanager und Experte für Luftqualität bei Siemens.

 

Wir möchten so schnell wie möglich die Grenzwerte einhalten. Dabei könnte ein solches Werkzeug sehr hilfreich sein.
Peter Pluschke, Chef des Umweltamtes der Stadt Nürnberg

Verschiedene Städte testen das CyAM-Tool bereits. Eine davon ist Nürnberg, das bei der Entwicklung des Werkzeugs als Ideengeber und Betatester mitgewirkt hat. Vor allem mit den Stickoxidkonzentrationen in der Luft hat die Stadt Probleme: Erlaubt ist ein jährlicher Durchschnittswert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter, 2018 lag er aber mit 46 Mikrogramm etwas darüber. Seit einem Jahr ist CyAM in Nürnberg im Einsatz und wird vor allem genutzt, um potenzielle künftige Maßnahmen wie Fahrverbote zu bewerten.  „Wir möchten so schnell wie möglich die Grenzwerte einhalten“, berichtet Peter Pluschke, Chef des Umweltamtes der Stadt. „Dabei könnte ein solches Werkzeug sehr hilfreich sein.“

 

Derzeit wird die Vorhersage der Luftqualität in die Website von Nürnberg integriert. Außerdem startet die Stadt einen RSS-Feed an Multiplikatoren wie Altenheime oder Schwimmbäder, der mithilfe von CyAM unter anderem die Ozonkonzentration prognostiziert und mit dem Risikogruppen über gefährliche Werte informiert werden können. Auch andere Städte weltweit haben großes Interesse an dem Werkzeug – denn die Menschen in den Metropolen können nicht noch Jahrzehnte auf bessere Luft warten.

 

25.09.2019

Bilder: Siemens AG / Getty Images

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