Die Zukunft der Städte: „Wir müssen jetzt handeln!“

Auf die nächsten 15 Jahre kommt es an, ist Martina Otto, Head of Cities der UNEP, überzeugt. Die Entscheidungen, die wir jetzt treffen, bestimmen über die Nachhaltigkeit unserer Städte.

Immer mehr Menschen leben in Städten – bis 2050 werden es 66 Prozent der Weltbevölkerung sein. Und deshalb kann Städteplanung wesentlich zum Klimaschutz beitragen. Martina Otto von der UNEP sprach mit Siemens Stories darüber, warum die Lösung der Klimakrise einen integrierten Ansatz für städtische Infrastruktur erfordert.

 

Interview: Janine Stephen

Wieso sind Städte und städtische Infrastruktur so wichtig für den Kampf gegen den Klimawandel?

 

Martina Otto: Die Städte sind sozusagen der Prüfstein. Sie verursachen rund 70 Prozent des Energieverbrauchs und der damit verbundenen Treibhausgasemissionen. Beim Ressourcenverbrauch liegt der Anteil ähnlich hoch. Städte haben die Möglichkeit, wirksame Maßnahmen zu ergreifen – oftmals schneller als auf nationaler Ebene. Das macht sie zu zentralen Akteuren bei der Planung einer nachhaltigeren Zukunft. Die Infrastrukturentscheidungen von heute bestimmen, wie gut es uns morgen gelingt, unsere Treibhausgasemissionen zu reduzieren.

 

Von welchem Potenzial sprechen wir?

 

Jede Woche bauen wir städtische Infrastrukturen von der Größe von Paris. Das bedeutet, dass 60 Prozent der Gebäude und 70 Prozent der Infrastruktur, die 2050 existieren werden, noch gar nicht gebaut sind. Ohne gezielte Maßnahmen besteht die erhebliche Gefahr, dass wir dabei einen nicht-nachhaltigen Weg einschlagen – aber es bedeutet auch eine große Chance. Der Großteil der Urbanisierung wird in den nächsten 15 Jahren stattfinden. Also müssen wir jetzt handeln!

60 Prozent der Gebäude, die wir 2050 sehen werden, sind noch nicht gebaut. Ohne gezielte Maßnahmen besteht die Gefahr, dass wir einen nicht-nachhaltigen Weg einschlagen.

Wie können integrierte urbane Systeme, einschließlich solcher, die smarte Technologie einsetzen, dazu beitragen, Ressourcenverbrauch und Emissionen zu senken?

 

In einem Bericht des International Resource Panel mit dem Titel Weight of Cities haben wir die größten Hebel für mehr Ressourceneffizienz untersucht. Dabei haben wir festgestellt, dass sich bei einem integrierten Ansatz die Vorteile kumulieren. Die wichtigsten Faktoren für einen Wandel sind erstens die Raumplanung, zweitens die Optimierung der Schlüsselsektoren, drittens die sektorenübergreifende Optimierung und viertens die Änderung des Verhaltens. Wenn wir all diese Aspekte kohärent angehen, können wir sowohl den Ressourcenverbrauch als auch die Treibhausgasemissionen um 35 bis 55 Prozent reduzieren. Das sind beeindruckende Zahlen.

 

Tatsächlich! Wie sieht das im Detail aus?

 

Wichtige Sektoren, darunter Verkehr, Gebäude und Energie, müssen natürlich jeweils ihren Teil beitragen, aber generell brauchen wir eine viel stärkere Integration. Es gibt beispielsweise eine Reihe von

Bus-Rapid-Transit-Projekten und Nahverkehrsachsen, die vollständig mit Solarstrom elektrifiziert wurden. Die Elektrifizierung des Verkehrs muss mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien einhergehen. Ansonsten verlagern wir die Emissionen nur von einer diffusen Quelle, zum Beispiel Fahrzeugen, auf eine Punktquelle, wie beispielsweise ein Kohlekraftwerk. Das hilft uns nicht aus der Misere. Gerade in Entwicklungsländern ist der fehlende Zugang zu sauberer Energie oft ein Kernproblem. Deshalb müssen wir uns mit aller Macht auf die Reduzierung des Energieverbrauchs in anderen Bereichen, wie dem Gebäudesektor, konzentrieren. Eine Reduzierung der Emissionen ist überall erforderlich, aber der Gebäudesektor ist derzeit für fast 40 Prozent des Energieverbrauchs verantwortlich. Wenn Sie das verringern wollen, ist Energieeffizienz der richtige Hebel, kombiniert mit vor Ort erzeugten erneuerbaren Energien

 

Zur Person

Seit 20 Jahren arbeitet Martina Otto für das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP). Ihre Spezialgebiete umfassen nachhaltige Energie, Mobilität, Gebäude und Klimawandel. Sie koordiniert die Arbeit des UNEP zur Förderung der mehrstufigen Politikintegration in Städten und ist bei der Global Alliance for Buildings and Construction für Gebäude verantwortlich.

Können Sie uns einige Beispiele nennen, wie integrierte Systeme eingesetzt werden?

 

Nehmen wir einmal Fernwärme. Der Heiz- und Kühlbedarf macht einen Großteil des Energieverbrauchs von Gebäuden und der damit verbundenen Treibhausgasemissionen aus, das ist also geradezu ein Paradebeispiel. Moderne Fernwärmesysteme ermöglichen mehr erneuerbare Energien in den Netzen; sie ermöglichen die Nutzung von Abwärme und bieten so eine Vielzahl von Optionen, die Wärme- und Kälteversorgung wesentlich sauberer zu gestalten. Das UNEP hat über 30 Städte in 14 Ländern durch die District-Energy-in-Cities-Initiative unterstützt, die eigentlich eine öffentlich-private Partnerschaft ist; unsere Partner tauschen Informationen über die verfügbaren Technologien und die neuesten Entwicklungen aus und motivieren sich gegenseitig. Beispiele für bessere Gebäude sind das UN-Gebäude in Kopenhagen – es verbraucht 55 Prozent weniger Energie als die meisten Gebäude ähnlicher Größe aufgrund von Funktionen wie Seewasserkühlung, Fernwärme, einer intelligenten Fassade und einem zentralen Gebäudemanagementsystem – oder der UNEP-Hauptsitz in Nairobi. Das Gebäude ist energieneutral, Solarmodule liefern die gesamte benötigte Energie und speisen sogar einige davon ins Netz zurück.

Die Schaffung einer stabilen Nachfrage hat dazu beigetragen, die Preise für Solarstrom schnell zu senken. Die Wirtschaft sah darin eine Chance, und wir erreichten – viel früher als erwartet – eine Netzparität. Wir müssen uns davon inspirieren lassen und Kostensenkungen bei anderen Technologien anregen.

Welche Elemente einer integrierten intelligenten städtischen Infrastruktur sollten Ihrer Meinung nach sofort umgesetzt werden? 

 

Moderne Fernwärme-Lösungen der vierten und fünften Generation. Auch Smart Meter. Sie mögen trivial erscheinen, helfen uns aber, unseren individuellen Verbrauch zu senken, gleichzeitig das Energiesystem zu modernisieren und die Energiegewinnung zu regulieren. Aber ich möchte auch naturnahe Lösungen erwähnen, die bei den häufiger und stärker auftretenden Hitzewellen und starken Regenfällen im Zusammenhang mit dem Klimawandel helfen können.

 

Wie können solche Systeme in Städten überall auf der Welt umgesetzt werden – angesichts der enormen Unterschiede zwischen den verfügbaren Ressourcen, aber auch den vorherrschenden Ideologien der jeweiligen Nationen?

 

Es ist wichtig, das Bewusstsein für die vorhandenen Möglichkeiten zu schärfen und an Leitfäden zu arbeiten, die Städteplanern helfen, die richtigen Fragen zu stellen, damit die Lösungen an verschiedene Kontexte angepasst werden können. Man kann eine gute Mischung finden aus Lösungen, die etwas technischer sind und anderen, die weniger Anfangsinvestitionen erfordern. Es geht also darum, diese Mischung umzusetzen. Und es geht darum, die Kapazitäten der Privatwirtschaft durch öffentlich-private Partnerschaften zu nutzen. Städte können öffentliche und private Gelder zusammenfügen sowie Mechanismen wie Klimafinanzierung und offizielle Entwicklungshilfe nutzen.

 

Wie funktioniert das genau?

 

Der entscheidende Punkt ist es, Geschäftsmöglichkeiten zu identifizieren, bei denen die Privatwirtschaft eingreifen und die Lösung einführen kann. Es beginnt also mit einer guten Planung und der Festlegung der richtigen politischen Rahmenbedingungen. Städte können den Markt vorantreiben, indem sie im Infrastrukturbereich den entscheidenden Hebel nutzen, den sie haben, nämlich die öffentliche Auftragsvergabe für Infrastrukturen. Sie können durch ihre Auftragsvergaben eine stabilere Nachfrage schaffen, was dazu führen kann, dass die Preise sinken. Betrachtet man beispielsweise die Entwicklung von Solarmodulen, so hat die Schaffung einer stabilen Nachfrage – meist durch Einspeisevergütungen – dazu beigetragen, die Preise für Solarstrom schnell zu senken. Die Wirtschaft sah darin eine Chance, und wir erreichten – viel früher als erwartet – eine Netzparität. Wir müssen uns davon inspirieren lassen und Kostensenkungen bei anderen Technologien anregen.

Es gibt bereits viele Städte, die mit bestem Beispiel vorangehen – es besteht eine Art Wettbewerb, in dem sich die Städte mit Verpflichtungen und klaren, ehrgeizigen Zielen gegenseitig übertrumpfen.

Werden ressourcenknappe Länder angesichts dieses technologischen Innovationsschubs mithalten können?

 

Manche Entwicklungsländer haben noch nicht die gesamte Infrastruktur aufgebaut. Dadurch sind sie noch nicht auf einen einzigen Weg festgelegt sind. Das birgt Chancen für ein Überspringen von Stufen der technologischen Entwicklung. Wenn wir uns Energiesysteme ansehen, müssen wir dann alle an ein zentrales Hauptnetz angeschlossen sein? Es gibt agilere Systeme, die sich miteinander verbinden: Einzelsysteme, Micro Grids, Energieverbünde in der Nachbarschaft.

 

Was gibt Ihnen die Hoffnung, dass Städte schnell genug nachhaltiger werden können?

 

Es gibt bereits viele Städte, die mit bestem Beispiel vorangehen – es besteht eine Art Wettbewerb, in dem sich die Städte mit Verpflichtungen und klaren, ehrgeizigen Zielen gegenseitig übertrumpfen. Es gibt Hoffnung, weil Technologien vorhanden sind, die uns helfen, mehrere Probleme auf einmal zu lösen. Wir müssen diese nur viel mehr nutzen. Und ich glaube auch, dass wir bei der Sensibilisierung der Öffentlichkeit einen grossen Schritt vorwärts gekommen sind. 

Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) ist die führende globale Umweltbehörde. Sie legt die globale Umweltagenda fest, fördert die kohärente Umsetzung von Umweltaspekten in der nachhaltigen Entwicklung innerhalb des Systems der Vereinten Nationen und fungiert als maßgeblicher Anwalt für die Umwelt überall auf der Welt.

Janine Stephen lebt als freie Journalistin und Redakteurin in Kapstadt. Dieses Interview mit Martina Otto führte sie über Skype; der Fotograf Antoine Doyen war vor Ort in Paris.

Bilder: Antoine Doyen

28.11.2019

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