Das Rückgrat des smarten Gebäudes
Warum smarte Gebäude einen digitalen Zwilling brauchen, um im Betrieb ihr volles Potenzial zu entfalten.
Smarte Gebäude haben viele Vorzüge. Doch was steckt technologisch dahinter? Und wie lässt sich angesichts der rasanten Entwicklung sicherstellen, dass ein Gebäude technologisch nicht veraltet, sondern sich auch in Zukunft immer neuen Anforderungen anpassen kann? – Entscheidend ist, wie zukunftsorientiert man mit den Gebäudedaten umgeht. Das Konzept des Building Twin ist der Schlüssel dazu.
Die Digitalisierung ermöglicht smarte Gebäude, die ihre Umgebung verstehen und mit ihren Nutzern interagieren. Der Schlüssel dazu sind Daten. Viele Daten. „Früher ging es darum, einige Dutzend Datenpunkte in einem Gebäude zu verbinden. Heute sind es meist Zehntausende, manchmal gar Hunderttausende“, sagt Andrea Hofmann, Produktmanagerin Building Twin bei Siemens. Tendenz: weiter steigend.
Immer präziser wird erfasst, was im Gebäude vor sich geht: Gebäudetechnische Anlagen, Elektroinstallationen und tausende verschiedener Sensoren liefern laufend Informationen, etwa zum Zustand der Systeme und den Bedingungen, die im Gebäude herrschen. Dieses Wissen lässt sich nutzen, um Energie zu sparen, den Komfort im Gebäude zu optimieren oder die Sicherheit zu maximieren. Doch es ist noch mehr möglich: „Wir glauben, dass in einigen Jahren Gebäude möglich sind, die sich selbstständig den Bedürfnissen der Menschen anpassen“, sagt Andrea Hofmann.
Der Building Twin schlägt die Brücke zwischen der Architektur, der Platzierung der Geräte und Sensoren im Gebäude und den Daten, die sie produzieren.Andrea Hofmann, Produktmanagerin Building Twin bei Siemens
Brücke zur physischen Welt schlagen
Eines der Probleme, das diesem Ziel bis vor kurzem noch im Weg stand, ist folgendes: Ein Gebäude besteht nicht bloß aus technischen Anlagen, Geräten und Sensoren, die Daten liefern. Ein Gebäude hat Mauern, eine Fassade, weist eine bestimmte Raumstruktur auf. Die Räume wiederum sind mehr oder weniger individuell eingerichtet. Kurz: Ein Gebäude ist zuallererst ein physischer Körper – und keine Folge von Nullen und Einsen. Die große Frage ist also: Wie lässt sich diese Art von Information in jene Sprache übersetzen, die auch Sensoren und Aktoren sprechen? In eine Sprache, die eine Maschine versteht?
Seit rund einem Jahrzehnt werden immer mehr Neubauten digital geplant. Mit Hilfe von BIM (Building Information Modeling) lassen sich digitale Gebäudemodelle erschaffen. Sie bilden die Basis für den digitalen Zwilling eines Gebäudes. Dieser wiederum erlaubt es, gewerkeübergreifend zu planen und Optimierungen vorzunehmen, noch ehe der erste Stein gelegt wurde. In einem solchen digitalen Modell sind im Idealfall alle statischen Gebäudedaten enthalten, etwa Raumdimensionen oder exakte Positionen von Türen, Fenstern, Leitungen, aber auch von Geräten und Sensoren.
Digitaler Zwilling für die Betriebsphase
Ist damit das Problem der Maschinenlesbarkeit gelöst? Ja und nein: Tatsächlich lassen sich mit BIM bei Planung und Bau erhebliche Mehrwerte erzielen. Doch diese digitalen Modelle sind in der Regel genau auf die Anforderungen von Planung und Bau hin optimiert. „Will man einen digitalen Zwilling haben, der sich auch für die Optimierung des Gebäudebetriebs eignet, benötigt man andere und weiterführende Informationen in maschinenlesbarer Form“, sagt Andrea Hofmann. Es sei wichtig, dass Bauherren und Investoren in Zukunft sicherstellten, dass bereits in der Planungsphase berücksichtigt wird, wenn ein digitaler Zwilling auch in der Betriebsphase eine Rolle spielen soll.
Gute Gründe dafür gäbe es genug. „Über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes betrachtet, fallen 80 Prozent der Kosten in der Betriebsphase an“, sagt Andrea Hofmann. „Damit besteht in dieser Phase der größte Hebel für Einsparungen.“
Um dieses Potenzial zu nutzen, hat Siemens mit dem Building Twin die Idee eines digitalen Gebäudemodells konsequent weitergeführt und sie für die Betriebsphase optimiert. Ziel war eine digitale Gebäuderepräsentation, die dynamische Daten, etwa jene aus den technischen Anlagen, mit den statischen Gebäudestrukturdaten verbindet. „Der Building Twin schlägt die Brücke zwischen der Architektur, der Platzierung der Geräte und Sensoren im Gebäude und den Daten, die sie produzieren“, sagt Andrea Hofmann.
Gewusst, wo
Durch diese Kombination von statischen und dynamischen Daten entsteht eine Vielzahl neuer Anwendungsmöglichkeiten: So können Facility Manager Störungen nicht mehr „nur“ feststellen, sondern Fehlerquellen exakt im Gebäude lokalisieren und vom Bildschirm aus analysieren. Das beschleunigt die Störungsbehebung deutlich – und erlaubt eine verfeinerte prädiktive Wartung.
Weil das smarte Gebäude nicht mehr nur weiß, wie viele Menschen sich in einem Gebäude aufhalten, sondern auch in welchen Räumen, wird es möglich, den Nutzer in den Mittelpunkt zu stellen: Beleuchtung, Heizung und Kühlung können präzise dem Bedarf angepasst werden – und auf Wunsch sogar persönlichen Präferenzen der Gebäudenutzer.
Welche Daten wie verknüpft werden, hängt immer vom Anwendungsfall ab respektive vom Nutzen, der daraus entstehen soll.Andrea Hofmann, Produktmanagerin Building Twin bei Siemens
Analysiert man Daten zur Raumnutzung über eine gewisse Zeit, lässt sich zudem herausfinden, ob es Gebäudebereiche gibt, die kaum genutzt werden. Solche Erkenntnisse könnten dann etwa in die Planung der Gebäudereinigungstouren einfließen. Oder sie könnten Anlass geben, unbeliebte Flächen anders zu gestalten oder anders zu nutzen.
Doch letztlich sind das nur Beispiele. Die eigentliche Pointe des Building Twin liegt darin, dass die Daten ganz nach Bedarf genutzt werden können. „Welche Daten wie verknüpft werden, hängt immer vom Anwendungsfall ab respektive vom Nutzen, der daraus entstehen soll“, sagt Andrea Hofmann. Damit ist der Ansatz offen und zukunftssicher: Je nach Bedarf können jederzeit und mit überschaubarem Aufwand neue Applikationen entwickelt werden.
Alle Daten an einem Ort
Es liegt auf der Hand, dass das Konzept des Building Twin sein volles Potenzial nur ausschöpfen kann, wenn alle Gebäudedaten an einem Ort abgelegt werden. Damit wird der Building Twin zugleich zur zentralen Datenbank, in der alle Informationen verfügbar sind, die bis anhin in verschiedenen, anwendungsspezifischen Datenbanken abgelegt und unterschiedlich gut gepflegt wurden. Damit wird der Building Twin zur „Single Source of Truth”, einer verlässlichen Quelle für alle Gebäudeinformationen – und damit zum Rückgrat künftiger smarter Gebäude.
04.06.2020
Bilder: Siemens AG
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