"Ein Gebäude ist smart, wenn es einen schlankeren Fußabdruck hinterlässt"

Grimshaw-Direktor Andrew Whalley über seine Ideen für intelligente Gebäude und den Nachhaltigkeits-Pavillon, den er als ein Herzstück der Expo 2020 in Dubai entworfen hat.

An der „Größten Show der Welt“, der Expo 2020 in Dubai, werden Innovationen unter dem Motto „Connecting Minds, Creating the Future“ gezeigt. Im Vorfeld der Weltausstellung laufen die Arbeiten an den drei Pavillions zu den Themen „Chancen“, „Mobilität“ und „Nachhaltigkeit“. Unser Korrespondent Dan Whitaker traf sich zu einem Gespräch über Klimaneutralität und intelligente Gebäude mit dem Chef von Grimshaw, dem Architekturbüro, das den Pavillion zum Thema Nachhaltigkeit entworfen hat.

 

Interview: Dan Whitaker

Beim Betreten des Londoner Architekturbüros Grimshaw an einem verregneten Dienstagmorgen fühlt man sich an die “Tardis” erinnert, die Zeitmaschine aus der britischen Science-Fiction-Serie “Dr. Who”. Hinter einer bescheidenen und schlichten Fassade verbirgt sich ein lichtdurchfluteter Komplex. Fliessende Übergänge verbinden die Arbeitsplätze von fleissigen Kreativen mit einem steil aufragenden Hörsaal und führen schliesslich zu dem Büro, das Andrew Whalley benutzt, wenn er zu Besuch aus dem New Yorker Büro der Firma anreist. Andrew Whalley erzählt enthusiastisch von der Expo in Dubai. Für die Weltausstellung beteiligen sich Grimshaw und Siemens am Bau eines wahrlich intelligenten Gebäudes sowie vielen weiteren Elementen auf dem Gelände.

Dan Whitaker: Wir hören oft von „smarten“ oder intelligenten Gebäuden. Was bedeuten diese Begriffe für Sie?

 

Andrew Whalley: Für mich ist ein Gebäude dann „smart“ oder „intelligent“, wenn es einen schlankeren Fußabdruck hinterlässt – das heisst, wenn es auf seine Umgebung  und die Art, wie es genutzt wird, reagiert. Zum Beispiel durch einen geringeren Energieverbrauch, eine stärkere Nutzung von Potenzialen und die Verwendung von Recyclingmaterialien. Ohne diese Effekte werden wir es nicht schaffen, das UN-Ziel zu verwirklichen, demzufolge alle neuen Gebäude bis 2030 CO2-neutral sein und alle älteren Gebäude bis 2050 entsprechend nachgerüstet werden sollen. Wir bei Grimshaw wollen noch weiter gehen und haben die Absicht, bis Ende 2020 alle unsere Gebäude CO2-neutral zu machen.

Für mich ist ein Gebäude dann „smart“ oder „intelligent“, wenn es einen schlankeren Fußabdruck hinterlässt – das heisst, wenn es auf seine Umgebung  und die Art, wie es genutzt wird, reagiert. 

Und wie intelligent ist der Nachhaltigkeits-Pavillon, den Sie für die Expo 2020 in Dubai entworfen haben?

 

Der Pavillon wird Aussentemperaturen von bis zu 50 Grad Celsius und mutmasslich einem Ansturm von bis zu 4.400 Besuchern pro Stunde ausgesetzt sein. Deshalb hoffen wir, dass er als Vorzeigeprojekt dafür dienen wird, was alles möglich ist. Zum Beispiel wird das Gebäude seine Reaktionsfähigkeit demonstrieren, indem es die enorme Luftfeuchtigkeit und Hitze, die die Besucher erzeugen, für die Kühlung nutzbar macht.

 

Die mobilen Schattenspender im Außenbereich des Pavillons [sog. „E-Trees“; Anm. d. Red.] folgen dem Sonnenstand. Genauso wie der große Baldachin wurden sie von Bäumen wie dem Ghaf inspiriert, die in der Wüste wachsen, und fangen den Luftzug ein. Wir verwenden außen zudem echte Wüstenpflanzen, zum Beispiel Salzpflanzen, mit denen Wasser entsalzt werden kann. Die Galerien im Innenbereich sind unterirdisch angelegt, fern von dem starken Lichteinfall, den sie nicht brauchen.

Wie nachhaltig wird der Pavillon schlußendlich sein?

 

Im Gegensatz zu manchen Gebäuden, die für frühere Weltausstellungen errichtet wurden, soll dieses Projekt als langfristiges Vermächtnis eine permanente und resiliente Erweiterung der angrenzenden Stadt bilden. 

Wird der Pavillon auch mit eigener Energieerzeugung seine CO2-Bilanz verbessern?

 

Nach dem Vorbild der Natur wollen wir alle Möglichkeiten der Erzeugung nutzen. Der Pavillon ist vollständig mit Photovoltaik-Modulen verkleidet, die für die Reinigung leicht zugänglich sind. Mit der Ausrichtung nach dem Sonnenstand, ähnlich einer Sonnenblume, imitiert das Gebäude die Verlagerung von Wüstenpflanzen, die so ihre Samen schützen; gleichzeitig steigert es so den Energieertrag um 25 Prozent.

Komplexere Gebäude erfordern ein stärkeres interdisziplinäres Zusammenwirken.

Wenn Sie auf den langen Zeitraum zurückblicken, seit Sie Ihr Architekturstudium abgeschlossen haben, wie schätzen Sie das gegenwärtige Tempo des technologischen Fortschritts im Vergleich zu früher ein?

 

Wie in allen Lebensbereichen ist auch hier eine Beschleunigung festzustellen. Die computergestützte Gestaltung hat die Architektur revolutioniert. Als ich unter Ron Herron [bekannter Londoner Architekt und Mitglied der Archigram-Gruppe; Anm. d.Red.] arbeitete, sah er zum ersten Mal einen Desktop-Computer und sagte richtig voraus, dass damit alles anders würde. Dabei geht es nicht nur um BIM [Building Information Modeling; Anm. d.Red.]. Für die Expo haben wir erstmals Virtuelle Realität als Designtool eingesetzt, so dass wir und unsere Kunden den Gebäudeplan “zu Fuß” erkunden konnten.

 

Inwiefern verändert die computergestützte Gestaltung den Kreativprozess?

 

Diese Technik eröffnet uns eine viel grössere Bandbreite von Optionen – zum Beispiel können wir mittels Algorithmen alle Varianten analysieren, wie externe Windstöße genutzt werden können, um ein Gebäude zu kühlen. So können wir unserer Fantasie nun freien Lauf lassen. Und mit Blick auf die globalen Herausforderungen für unsere Umwelt brauchen wir dringend mehr Kreativität anstatt nur empirisches Denken.

Mit Blick auf die globalen Herausforderungen für unsere Umwelt brauchen wir dringend mehr Kreativität anstatt nur empirisches Denken.

Wie steht es mit der Zusammenarbeit zwischen Architekten und anderen Disziplinen, wenn es darum geht, intelligente Gebäude zu entwerfen?

 

Komplexere Gebäude erfordern ein stärkeres interdisziplinäres Zusammenwirken. Zum Beispiel brauchen Architekten heute Unterstützung durch Ingenieure und Konstrukteure mit vielfältigen Spezialisierungen – Statiker, Maschinenbauer, Informatiker, Fassadenbauer, Lichttechniker. Das Ganze ist größer als die Summe seiner Teile, so lange im Rahmen eines Dialogs alle die Gelegenheit haben, ihre besten Ideen vorzubringen.

Die Architektur hat eine soziale Verantwortung, die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren.

Sie haben in verschiedenen Ländern studiert und gearbeitet. Wie haben Sie die Unterschiede zwischen ihnen wahrgenommen?

 

Wir bei Grimshaw positionieren uns heute bewußt mit verschiedenen Büros auf der ganzen Welt, um tief in die lokale Kultur der Architektur einzutauchen. Zum Beispiel tendieren in den USA die Architekten dazu, Teams von Gestaltern zu leiten und ihre Berater auszuwählen. In Großbritannien wird das meist von Klienten oder einem Ingenieurbüro erledigt. Sogar innerhalb von Australien gibt es ganz erhebliche Unterschiede bei der Gestaltung, etwa zwischen Melbourne und Sydney!

Warum, glauben Sie, hat die Expo 2020 sich bei allen Gebäuden für Siemens als Partner entschieden?

 

Siemens hat als weltweit führendes Unternehmen bei der Gebäudetechnik einen guten Ruf. Ich glaube, die Veranstalter der Expo wollten eine qualitativ hochwertige gemeinsame Plattform – in dem Bewußtsein, dass Einheitlichkeit ein unverzichtbares Element ist, wenn die Strukturen nachhaltig bleiben sollen.

Kann dier Architektur unseren Planeten retten?

 

Die Architektur hat eine soziale Verantwortung, die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren – 36 Prozent des CO2-Ausstoßes stammen von Gebäuden. Und die Problemlösung muß nicht immer Geld kosten. Wir bei Grimshaw haben festgestellt, dass die Umstellung auf erneuerbare Energie sogar zu Einsparungen geführt hat. Wir müssen einfach den Worten Taten folgen lassen!

  • Direktor des Architekturstudios Grimshaw
  • Leitete preisgekrönte Projekte wie das International Terminal am Londoner Bahnhof Waterloo sowie das Experimental Music and Performing Arts Center in Troy, New York (USA)
  • Half mit, im Jahr 2001 das Grimshaw-Studio in New York zu eröffnen, wo er 10 Jahre als geschäftsführender Partner tätig war
  • Projektverantwortlicher für den Sustainability Pavilion, eines der Herzstücke der Expo 2020
  • Hat an sechs Universitäten in Großbritannien, den USA und Italien unterrichtet

20.03.2020

Autor: Dan Whitaker arbeitet als unabhängiger Journalist in London. Seine Artikel wurden in führenden britischen Medien wie der Financial Times und dem Guardian veröffentlicht.

Bilder: Andrea Artz, Grimshaw, Handforth Photography

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