„Gebäude und Nutzer müssen kommunizieren können“

Smarte Gebäude müssen smart geplant werden. Um ihr Potenzial zu entfalten, sind sie zudem auf gute Kommunikation mit ihren Nutzern angewiesen. Das sagt Christoph Leitgeb, Leiter des Construction Office bei Siemens Smart Infrastructure.

Neue Bürogebäude sollen möglichst wenig Energie verbrauchen, flexibel nutzbar sein und seinen Nutzern größtmöglichen Komfort bieten. Wie plant man ein Gebäude, das diese Ansprüche erfüllt? Das haben wir Christoph Leitgeb gefragt, der für Siemens ein Smart Office in Zug realisiert hat. Er sagt, warum ein smartes Gebäude einen digitalen Zwilling benötigt, wie Bestandsbauten intelligenter werden und weshalb Büroangestellte öfter mit ihrer Arbeitsumgebung sprechen sollten.

Warum brauchen wir smarte Gebäude?

 

Christoph Leitgeb: Gebäude sind derzeit für rund 40 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs verantwortlich. Dieser hohe Anteil lässt sich deutlich reduzieren, wenn man Gebäude mit intelligenten Systemen ausrüstet, die für einen maximal effizienten Betrieb und einen niedrigeren Energiekonsum sorgen. Aus klimapolitischer Sicht sind smarte Gebäude somit ein Gebot der Stunde. Hierbei kommt der Digitalisierung eine entscheidende Rolle zu, da sie über den gesamten Lebenszyklus der Immobilie für alle Beteiligten neue Chancen bietet, ihre jeweiligen Geschäftsziele zu erreichen.

Wie meinen Sie das?

 

Früher verstand man unter einer Immobilie, wie der Name schon sagt, etwas Starres, Unbewegliches – einmal konzipiert und in Betrieb genommen, gab es nur wenige Möglichkeiten für Anpassungen. Moderne, smarte Gebäude hingegen sind adaptiv und auf die Bedürfnisse der beteiligten Personen ausgerichtet: Für den Eigentümer steht die gute Vermarktbarkeit und der Verkehrswert der Immobilie im Vordergrund. Die Aufgabe des Betreibers ist es wiederum, das Gebäude hinsichtlich Energie- und Unterhaltskosten stetig zu optimieren. Und der Nutzer respektive der Mieter hat ein berechtigtes Interesse an modernen, attraktiven Flächen für seine Mitarbeitenden, damit sie sich wohl fühlen und in ihrer Produktivität gefördert werden. Für all diese unterschiedlichen Aspekte bietet die Digitalisierung eine Fülle von Anwendungsfällen.

Aus klimapolitischer Sicht sind smarte Gebäude ein Gebot der Stunde. 

Die Arbeitswelt verändert sich aktuell rasant. Welchen Einfluss haben neue Arbeitsweisen auf Planung und Bau von Bürogebäuden?

 

Der Trend zu flexiblen, agilen Arbeitsweisen besteht schon seit Längerem – und er wird noch an Bedeutung gewinnen. Man geht heute davon aus, dass in zehn Jahren rund 30 Prozent der Büroflächen von Unternehmen flexibel genutzt werden. Für die Gebäude bedeutet das, dass sie sich in erhöhtem Maß immer wieder ändernden Bedürfnissen anpassen lassen müssen, ich denke etwa an die Schaffung von zusätzlichen flexiblen Arbeitsplätzen oder an Innovationsflächen, aber natürlich auch an die Erwartungen der Mitarbeitenden, die sich über die Zeit wandeln. Zudem stellen wir fest, dass sich Mieter kaum noch langfristig binden wollen. Waren früher Mietverträge über zehn Jahre normal, sind mittlerweile fünf Jahre die Regel. Nur ein flexibel geplantes Gebäude lässt sich später effizient und kostengünstig nutzen und bei Bedarf umgestalten.

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Sie waren als Gesamtprojektleiter für den Bau des neuen Siemens Campus in Zug verantwortlich, der im Sommer 2018 in Betrieb ging. Wie plant man ein smartes Gebäude?

 

Wir hatten uns früh entschieden, die Möglichkeiten der Digitalisierung schon bei der Planung voll auszuschöpfen. Deshalb haben wir auf das sogenannte Building Information Modeling, kurz BIM, gesetzt. Die Besonderheit hierbei liegt in der gewerkeübergreifenden, integrativen Planung an einem digitalen Gebäudemodell. So konnten wir beispielsweise die Planung in regelmäßigen Abständen zuverlässig und vollautomatisiert auf mögliche Kollisionen zwischen den Tätigkeitsfeldern einzelner Planer prüfen. BIM ermöglichte es zudem, noch vor dem ersten Spatenstich virtuell verschiedene Lösungsansätze zu testen und deren Auswirkungen auf Bauabläufe und Kosten aufzuzeigen. Aus dieser integrativen Planung ist am Ende ein digitaler Zwilling, ein „Digital Twin“ des Neubaus hervorgegangen.

BIM ermöglichte es, noch vor dem ersten Spatenstich virtuell verschiedene Lösungsansätze zu testen und deren Auswirkungen aufzuzeigen. 

Warum braucht ein smartes Gebäude einen digitalen Zwilling?

 

In einem digitalen Gebäudemodell sind nicht nur die Planungsdaten dokumentiert und verfügbar, sondern auch alle Informationen, die für den Betrieb relevant sind. Jetzt, wo das Gebäude in Zug genutzt wird, dient der Building Twin, wie wir den digitalen Zwilling nennen, als Plattform für die Interaktion zwischen Menschen und Gebäude. Er ermöglicht es, über Applikationen auf die technischen Gebäudeinstallationen zuzugreifen, Echtzeit-Daten abzufragen und sich diese für die jeweiligen Anwendungsfälle zum Nutzen zu machen.

Können Sie ein Beispiel für eine konkrete Anwendung machen?

 

Ein Building Twin schafft eine ganze Reihe neuer Möglichkeiten. Für den Betreiber interessant sind beispielsweise Performancekontrollen, Fehleranalysen und vorausschauende Wartungen – all das ist dank dem Internet der Dinge heute auch aus der Ferne möglich. Für die Nutzer intelligenter Bürogebäude wiederum bieten sogenannte standortbezogene Dienste wie etwa das Indoor-Positioning spannende, neue Perspektiven.

Können auch Bestandsbauten schlauer gemacht werden?

 

Es gibt durchaus Möglichkeiten, auch bestehende Bauten zu digitalisieren. Diese müssen allerdings bereits ein bestimmtes Maß an Gebäudeautomation aufweisen respektive entsprechend nachgerüstet. Ein digitaler Zwilling ist nämlich nur dann sinnvoll, wenn Daten verfügbar sind. Zudem können dann die Gebäude mit einer 360-Grad-Kamera gescannt werden, um darin wichtige Zugangspunkte zu bestehenden haustechnischen Installationen als sogenannte Points of Interests zu integrieren. Am Ende des Tages können wir somit auch für Bestandsbauten eine Art Building Twin generieren, über den sich Anwendungen mit der Gebäudeinstallation verknüpfen lassen.

Und was hat ein Nutzer, sagen wir ein Angestellter, davon, in einem Smart Office zu arbeiten?

 

Wir glauben, dass Gebäude mehr und mehr zu einer Art persönlichem Assistenten der Mitarbeitenden werden. Das Gebäude hilft ihnen, Arbeitsabläufe effizienter zu gestalten und produktiver zu sein. Dazu müssen Gebäude und Mitarbeiter miteinander kommunizieren können. Siemens bietet hierfür die Comfy-App an. Einmal auf dem Smartphone des Mitarbeiters installiert, kann er über diese Software mit dem Gebäude auf verschiedene Weise interagieren.

Wir glauben, dass Gebäude mehr und mehr zu einer Art persönlichem Assistenten der Mitarbeitenden werden.

Was kann man mit einer solchen App konkret tun?

 

Die Mitarbeitenden können unter anderem Temperatur und Lichtverhältnisse im eigenen Arbeitsbereich steuern, Besprechungsräume sowie Arbeitsplätze suchen und buchen oder sich im Gebäude zu ihren Kollegen navigieren lassen. Das System lernt mit und kann dem Mitarbeiter genau den Arbeitsplatz empfehlen, der seinen persönlichen Präferenzen am meisten entspricht, beispielsweise was die bevorzugte Raumtemperatur betrifft. Auch zusätzliche Dienste von externen Anbietern können in der App integriert werden, beispielsweise Informationen zum öffentlichen Verkehr, Staumeldungen, Öffnungszeiten des nahegelegenen Fitnessstudios oder auch die Mittagsmenüs in der Kantine. Während eines Arbeitstages kann es zudem immer mal vorkommen, dass etwas nicht wunschgemäß funktioniert. Eine App wie Comfy ermöglicht es den Mitarbeitenden, solche Probleme direkt ans Facility Management zu melden. Damit wird die App zum unverzichtbaren Assistenten und Helfer durch den Arbeitstag hindurch.

Was bringt es dem Arbeitgeber, eine solche App einzuführen?

 

Wenn die Nutzer mit dem Gebäude interagieren, erhält der Arbeitgeber automatisch die volle Transparenz hinsichtlich Flächennutzung, und damit eine belastbare Grundlage, um Optimierungen am Layout vornehmen zu können oder auch um Flächenpotentiale bei anstehendem Mitarbeiteraufbau zu bewerten. Zudem ist in Zeiten von „War for Talents“ die Attraktivität und das Image des Arbeitgebers von zentraler Bedeutung. Für Millenials, die in zehn Jahren mehr als 75 Prozent der Erwerbstätigen ausmachen werden, ist die Identifikation mit dem Arbeitgeber ein wesentliches Entscheidungskriterium. Sie erwarten zukunftsorientierte, smarte Arbeitsmodelle, bei denen neben der Work-Life-Balance auch moderne Büroflächen eine wichtige Rolle spielen.

Wie gelingt es, dass ein smartes Gebäude auch smart genutzt wird?

 

Die Frage, ob ein smartes Gebäude auch smart genutzt wird, hängt sehr stark damit zusammen, wie die Interaktion zwischen Mensch und Technologie erfolgt. Hierbei gilt: Je intuitiver die Bedienung, desto grösser ist die Akzeptanz bei den Nutzern, vom Gebäudebetreiber bis hin zu den Mitarbeitenden. Deshalb fokussieren wir uns im ersten Schritt auf die Bedürfnisse der jeweiligen Zielgruppe und entwickeln daraus smarte Bedienoberflächen. Diese ermöglichen es im Zusammenspiel mit intelligenten Gebäudeinstallationen, das volle Potenzial von smart konzipierten Gebäuden auszuschöpfen. Es ist essenziell, eine Verbindung zwischen Menschen und der Infrastruktur herzustellen.

Christoph Leitgeb arbeitet seit 13 Jahren für Siemens. Bis 2018 war er in unterschiedlichsten Funktionen in der Immobilienabteilung des Konzerns, der Siemens Real Estate, tätig. Als Gesamtprojektleiter verantwortete der gelernte Architekt zuletzt die Planung und den Bau des Siemens Campus Zug. Danach übernahm Leitgeb bei Siemens Smart Infrastructure den Themenbereich Smart Office für die Region Europa, ehe er mit der Leitung des Construction Office betraut wurde. In dieser Funktion ist er bei "Enterprise Business Europe" zuständig für kundenspezifische Weiterentwicklung und Standardisierung von "smarten“ Lösungsansätzen für Projektentwickler, Planer und Generalübernehmer.

28.02.2020 

Bilder: Siemens AG

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