Wasser spalten, Zukunft gestalten

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Von zwei Gemeinden in Deutschland, die voll auf grünen Wasserstoff setzen.

Zwei Orte in Deutschland machen es vor: Um ihren lokal erzeugten, erneuerbaren Strom zu speichern, werden sie schon bald grünen Wasserstoff herstellen – oder tun es bereits. Dabei setzen der Landkreis Düren und die Gemeinde Wunsiedel auf unterschiedliche Konzepte, jedoch mit einem gemeinsamen Nenner: Sie produzieren ihren Wasserstoff nicht nur vor Ort, sondern nutzen ihn auch in der Region. Das spart Transporte und erhöht auch die Wirtschaftlichkeit der Projekte.

Kein Element kommt auf der Erde häufiger vor als Wasserstoff. Und Hydrogenium, so sein lateinischer Name, ist weltweit auf dem Vormarsch als leistungsstarker, sauberer Energieträger. Grüner Wasserstoff, der ausschließlich aus erneuerbaren Energien hergestellt wird, gilt als Hoffnungsträger in der Bewältigung der Energiewende. Deutschland ist, gemeinsam mit Südkorea und Japan, einer der Vorreiter beim Einsatz von grünem Wasserstoff.

Im Rahmen der Dekarbonisierung aller Verbrauchssektoren bis 2050 steuert die Bundesrepublik auf ein Versorgungssystem zu, das im Bereich Strom von Photovoltaik- und Windstromerzeugung dominiert wird. Laut Klimaschutzplan der Bundesregierung ist Deutschland auf dem Weg, treibhausgasneutral zu werden.

Um von den fossilen Energien wegzukommen, braucht es zur Sicherstellung der Versorgungseinheit zwingend industrielle Speichermöglichkeiten für erneuerbaren Strom. Denn: Insbesondere zu Zeiten hoher erneuerbarer Produktion fällt mehr Strom an, als verbraucht werden kann. Dieser bleibt heute noch größtenteils ungenutzt.

 

Neue Podcast-Episode: Einen grünen Schritt voraus – Energiewende hautnah
Podcast: Energiewende hautnah

Neue Podcast-Episode: Einen grünen Schritt voraus – Energiewende hautnah

"Energiequellen findet jeder vor der Tür. Unsere wachsen sogar nach.“ Klingt nach einer Zukunftsvision? Keinesfalls! Die 10.000 Einwohner Kommune Wunsiedel im Fichtelgebirge ist bereits auf dem Weg zur Smart Energy City, dank einer konsistenten Klima- und Energiestrategie. Wir haben uns mit dem Geschäftsführer der Stadtwerke unterhalten und erzählen im Podcast, wie die Energiewende aktiv von Städten vorangetrieben werden kann.

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Während sich Batteriespeicher und Elektromobilität für die kurzzeitige Speicherung und spätere Verwendung von Strom bewähren, ist zur langfristigen Speicherung des überschüssigen Stroms Wasserstoff eine vielversprechende Option. Das Gas lässt sich mittels Elektrolyse aus Wasser herstellen. Dieses Verfahren erlaubt es, den Strom aus Wind und Sonne für lange Zeitperioden zu bevorraten.

Der Wasserstoff kann bei Bedarf wieder in Strom umgewandelt werden – sei es in einer Kraft-Wärme-Kopplungsanlage oder in einem Fahrzeug – oder als Gas in der Industrie eingesetzt werden. Letzteres ist insofern bedeutsam, als Wasserstoff bereits heute breite Anwendung findet. „Allein in Deutschland besteht ein Bedarf von mehr als 1,8 Millionen Tonnen Wasserstoff pro Jahr“, sagt Bernd Koch, Leiter Dezentrale Energiesysteme bei Siemens Smart Infrastructure. „Wenn dieser statt durch grauen, fossil erzeugten Wasserstoff durch grünen gedeckt würde, könnten 18 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden.“

Überall dort, wo die Transportwege lang sind, kann es sich schon heute lohnen, lokal grünen Wasserstoff zu produzieren.
Bernd Koch, Leiter Dezentrale Energiesysteme bei Siemens Smart Infrastructure Deutschland 

Diesem Wandel stehen heute jedoch noch die höheren Gestehungskosten von grünem Wasserstoff im Weg. Es ist jedoch nach Einschätzung des Clean Energy Technology Networks damit zu rechnen, dass bis 2030 Preisparität mit Flüssigerdgas (LNG) erreicht ist.

Gleichwohl gibt es schon heute wirtschaftliche Projekte mit grünem Wasserstoff. Weil das flüchtige, explosive Gas schwer zu transportieren ist, verursachen lange Lieferwege hohe Kosten. „Überall dort, wo die Transportwege lang sind, kann es sich schon heute lohnen, lokal grünen Wasserstoff zu produzieren“, sagt Bernd Koch. „Entscheidend ist, dass Erzeugung und Verbraucher nahe beieinander liegen.“

Wunsiedel: Kombination von erneuerbarer Erzeugung und Wasserstoffproduktion

Prädestiniert sind dafür ländliche Regionen, die lokal viel erneuerbare Energie produzieren. Es ist daher kein Zufall, dass ausgerechnet in der Gemeinde Wunsiedel eine Elektrolyseanlage entsteht: Der oberfränkische 73.000-Einwohner-Kreis gilt heute mit Blick auf erneuerbare Energien aus Wind und PV als Vorreiter in Bayern.

Da hier die Anteile der Stromerzeugung aus volatilen Quellen wie Wind und Sonne oft über 100% erreichen, suchte die Gemeinde nach Möglichkeiten, die erzeugte Energie besser zu nutzen – und entschloss sich, auf grünen Wasserstoff zu setzen.

Wenn wir die Wasserstoff-Erzeugungsanlagen dort bauen, wo der Strom entsteht, können wir auch die übergeordneten Netzebenen entlasten.
Andreas Schmuderer, Leiter Projektentwicklung Energy Performance Services bei Siemens Smart Infrastructure Deutschland

Allerdings ist dabei nicht eine maximal hohe Produktion das Ziel. Vielmehr soll dann Wasserstoff produziert werden, wenn die Region Stromüberschüsse verzeichnet. „Weil die Produktion von Sonnen- und Windenergie fluktuiert, müssen wir auf diese Volatilität reagieren“, sagt Andreas Schmuderer, Leiter Projektentwicklung Energy Performance Services bei Siemens Smart Infrastructure Deutschland.

So kann die Wasserstoffproduktion zur Flexibilität des Energiesystems in der Region beitragen und Netzengpässen vorbeugen. „Wenn wir die Wasserstoff-Erzeugungsanlagen wie in Wunsiedel dort bauen, wo der Strom entsteht, können wir auch die übergeordneten Netzebenen entlasten, weil temporäre Überkapazitäten vor Ort abgebaut werden“, so Schmuderer.

In der Region, für die Menschen 

Mit einer elektrischen Anschlussleistung von 6 Megawatt (MW) in der ersten Ausbaustufe ist die Anlage eine der größten ihrer Art und hat in Deutschland Modellcharakter. Sie kann für die Region bis zu 1000 Tonnen Wasserstoff pro Jahr bereitstellen. Zum einen geht der Wasserstoff an regionale Endkunden in den Regionen Oberfranken, nördliche Oberpfalz, südliches Thüringen und Sachsen sowie Westböhmen. Zum anderen wird er im Falle sogenannter Dunkelflauten – Zeiten sehr geringer erneuerbarer Energieproduktion – vor Ort rückverstromt, um die Energieversorgung sicherzustellen.

 

 

Wir denken in Systemlösungen, nicht nur in Produkten. Was zählt ist, wie wir sie zusammenführen.
Marco Krasser, Leiter der Stadtwerke Wunsiedel (SWW)

Außergewöhnlich am Projekt in Wunsiedel ist, dass neben dem Wasserstoff auch der Sauerstoff genutzt wird, der bei der Elektrolyse von Wasser zusätzlich entsteht: Dieser findet in einem nahegelegenen Industriebetrieb Abnahme. Überdies soll die Abwärme ebenfalls einem industriellen Prozess zugeführt werden. In Summe ergibt sich dadurch eine im Sinne möglichst hoher Energieeffizienz einzigartige Anlage, da alle Medienströme einer Verwendung zugeführt werden. Diese Kombination von Nutzen, auch bekannt unter dem Begriff „Sektorkopplung“, ist nur an wenigen Standorten deutschlandweit in dieser Form möglich. Es lässt sich damit, ähnlich einer KWK-Anlage, ein Wirkungsgrad im Bereich von 90 Prozent erzielen. 

Mit diesem Projekt treibt Wunsiedel, gemeinsam mit Siemens als Technologiepartner, seine Entwicklung hin zu einer ganzheitlichen Lösung für die Erzeugung und optimale Verwendung von erneuerbaren Energien konsequent weiter.  „Wir denken in Systemlösungen, nicht nur in Produkten. Was zählt ist, wie wir sie zusammenführen und das macht den Kick der Technologiepartnerschaft aus“, sagt Marco Krasser, Leiter der Stadtwerke Wunsiedel.

Und Andreas Schmuderer von Siemens fügt an: „Entscheidend für den Wert des einzelnen Projektes ist es, dass es in ein regionales Gesamtkonzept eingebettet ist, das neben dem Energiesystem auch die Verwendung sowie den Absatzmarkt des Wasserstoffs berücksichtigt.“ 

Düren fährt auf grünen Wasserstoff ab

Ein weiteres innovatives Wasserstoffprojekt ist im Kreis Düren geplant: Wie Wunsiedel hat der Landkreis mit gut 270‘000 Einwohnern ehrgeizige Ziele: Bis 2025 soll die Kreisverwaltung klimaneutral werden, bis 2035 der gesamte Kreis.

Derzeit entsteht bis Ende 2022 am Brainergy Park bei Jülich ein Solarpark mit rund 18.000 Modulen und einer Leistung von 9 MWp, sowie ein Elektrolyseur mit 8,5MW Leistung, der die Sonnenenergie in Wasserstoff umwandelt. Dieser soll im Kreis Düren eine nachhaltige Mobilität ermöglichen: Der Landkreis stellt derzeit den Öffentlichen Nahverkehr auf Elektromobilität um. Dabei setzt der Kreis Düren auch auf Wasserstoffantriebe. 

„Grüner Wasserstoff ist die Technik der Zukunft. Sie ist ein Schlüsselfaktor, um unseren Öffentlichen Nahverkehr zu elektrifizieren. Das ist ein wichtiger Schritt, um unser Ziel der Klimaneutralität zu erreichen“, so Wolfgang Spelthahn, Landrat des Kreises Düren, und weiter: „Wir freuen uns bei diesem Projekt auch eine Förderung durch das BMVI erhalten zu haben, die zeigt den klaren Weg in Richtung Dekarbonisierung des Verkehrs.“

Grüner Wasserstoff ist die Technik der Zukunft. Sie ist ein Schlüsselfaktor, um unseren Öffentlichen Nahverkehr zu elektrifizieren.
Wolfgang Spelthahn, Landrat im Kreis Düren

Die Elektrolyseanlage verarbeitet den Strom aus der lokalen PV-Anlage und arbeitet zusätzlich netzdienlich, so wie auch in Wunsiedel.  Der gesamte Strom der PV-Anlage wird so den Bedarf des Kreises Düren für die Wasserstoffbusse und die zunächst geplanten vier Wasserstoffzüge decken (9 Megawatt). Die Anlage ist grundsätzlich erweiterbar, so dass noch größere Mengen des grünen Wasserstoffs hergestellt werden könnten.

Zum Betanken von Wasserstofffahrzeugen steht bald die erste Wasserstoff-Tankstelle an der Auffahrt der Autobahn A4 bei Düren bereit. Landrat Wolfgang Spelthahn: „Wir werden im Kreis Düren zeitnah fünf Wasserstofftankstellen bauen. Damit lösen wir das bekannte Henne-Ei-Dilemma: Wer sich ein mit Wasserstoff betriebenes Fahrzeug anschaffen will, muss sich dann in unserer Region nicht um den Kraftstoffnachschub sorgen. Und je mehr Wasserstoffautos es gibt, umso mehr weitere Tankstellen werden eingerichtet.“ 

Gehört grünem Wasserstoff die Zukunft?

Die Projekte in Wunsiedel und Düren zeigen, wie die Produktion von grünem Wasserstoff schon heute gewinnbringend in regionale Energiekonzepte eingebunden werden kann – und dabei zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt: Sie ermöglicht es, erneuerbaren Strom optimal zu nutzen und schafft zugleich eine Grundlage für die Dekarbonisierung weiterer Sektoren.

Dabei besticht Wasserstoff mit seiner Vielseitigkeit: Nicht nur als Speichermedium für Energie, sondern auch in industriellen Anwendungen hat er sich längst bewährt und erobert zunehmend den Mobilitätsbereich. Sowohl bei der Bahn, dem ÖPNV, Lastverkehr, dem Flugverkehr und sogar im Individualverkehr ist der breite Einsatz von grünem Wasserstoff zukünftig denkbar.

4. März 2021; aktualisiert am 23. Februar 2022

Bilder: Siemens AG